Ash Lesharo
Sie weicht mir aus. In den Pausen war sie den Freitag über immer bei Tristan oder Tina, ist mir aus dem Weg gegangen. Nachdem ich sie am Donnerstag in der Nachhilfe erfolgreich ignoriert habe und auch am Freitag standhaft geblieben bin, ist das ein guter Erfolg.
Sie geht mir aus dem Weg, vermeidet Situationen, in denen wir allein sind und beobachtet mich auch nie, vollkommen in Gedanken. Wir haben es also geschafft Abstand zu nehmen und das ist genau das, was wir beide wollen, was gut für uns und unsere Leben ist.
>Wow, was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?<, will Anton wissen, hält den Boxsack fest, welcher durch meine Schläge hin und her schwingt. Nach dem Unterricht bin ich direkt in das nächste Fitnessstudio gefahren und habe Anton gefragt, ob er auch kommt, aber er hatte eigentlich gesagt, dass er keine Zeit hat.
>Hast du nicht abgesagt?< Ich weiß, dass ich gereizt klinge und das ist nicht fair, aber ich bin wütend. Auf mich und diese verdammte Welt.
>Ich habe nur gesagt, dass es wahrscheinlich später wird. Also, was ist los?< Wieder verteile ich ein paar Schläge auf dem Boxsack, doch diesmal hält Anton ihn fest und die Stöße lassen meine schmerzenden Muskeln erzittern. Hätte ich meine Kraft eingeteilt, wäre das noch lange nicht so, aber das habe ich nicht. Weil ich wütend bin und ich mich schon wieder von meinen Gefühlen leiten lasse. Ich trage noch nicht einmal Handschuhe, weil das zu lange gedauert hätte.
>Die Welt ist los.< Er hebt skeptisch eine Braue, ächzt unter meinem nächsten Schlag.
>Erzähl schon, bevor der Boxsack explodiert, weil du ihn mit deiner Wut vollstopfst.< Er erreicht mit seinem schlechten Scherz sogar ein leichtes Lächeln, dann lasse ich die Hände sinken, starre aber weiter den Sack an.
>Diese Frau, nach der du nicht fragen sollst. Wir halten Abstand voneinander, weil es für uns beide besser so ist, aber ich hasse es.< Er mustert mein Gesicht, das weiß ich, es spielt aber keine Rolle. >Nicht mit ihr sprechen zu können, ihr Lächeln nicht mehr zu sehen, das macht mich einfach nur fertig und ich kann dir nicht einmal sagen wieso. Ich kenne sie kaum.< Frustriert schlage ich wieder gegen den Boxsack, allerdings nicht sonderlich fest. >Wir haben uns am Mittwoch spontan getroffen, es war alles wunderbar und am nächsten Tag bin ich nur noch Luft für sie. Ich habe verstanden, dass sie Abstand will, dass es für uns beide die beste Lösung ist und es ihr gleichgetan. Seitdem haben wir kein Wort mehr gewechselt und genau so ist es gedacht. Das ist gut so, aber es fühlt sich einfach nur scheiße an.< Ich bin ein erwachsener Mann, ich kann mit Gefühlen umgehen, auch mit Enttäuschung. Aber diese Sache mit Violet reicht irgendwie tiefer. Als wären wir schon seit Ewigkeiten zusammen und diese Gefühle schon viel länger da.
>Du bist schwer verliebt, deshalb fehlt sie dir so sehr. Da kannst du lange nach einem Sinn suchen. Liebe hat nichts mit Logik zu tun.< Das kann ich auf jeden Fall bestätigen, also den letzten Teil. Mit Logik hat das tatsächlich nichts zu tun.
>Wie kann man sich denn in zwei Wochen verlieben, Anton? Das ergibt keinen Sinn und würde ich das alles nicht fühlen, würde ich es auch nicht glauben. Ich wohne noch keine vierzehn Tage hier, war die meiste Zeit in der Schule und habe gearbeitet. Ich habe diese Frau kaum gesehen, sehr wenig mit ihr gesprochen, aber-<
>Die Chemie stimmt eben<, unterbricht er mich mit einem Schmunzeln, seine Augen leuchten regelrecht. >Bei Gina und mir war es auch so, erinnerst du dich? Wir sind nach drei Wochen ein paar geworden und das hat nur so lange gedauert, weil ich sie nicht früher gefragt habe. Heute sind wir verlobt. Manchmal ist das eben so.< Das mag bei ihm alles schön und gut sein, aber Gina ist nur ein Jahr jünger als er, sie haben sich in der Schule kennen gelernt. In einer Schule, in welcher sie beide Schüler waren.
>Bei euch hat es auch keine Hindernisse gegeben. Aber sie ist-< Ich weiß nicht, wie ich ihm das Problem begreiflich machen soll, ohne ihm die Wahrheit zu sagen.
>Es gibt einen Grund, warum ihr nicht zusammen sein könnt<, rettet er mich und das ist sehr vage, aber vielleicht reicht es.
>Um es einfach auszudrücken, ja.< Er nickt langsam, sieht sich um.
>Kann man den Grund verschwinden lassen?<, will er leise wissen, sein Mundwinkel zuckt und deshalb muss auch ich lächeln. Er versucht mich aufzulockern und dafür bin ich ihm sehr dankbar.
>Nein, sie ist nicht verheiratet.< Er seufzt, deutet auf den Boxsack.>Mach mal weiter, solange ich nachdenke.< Mit einem Lächeln tue ich ihm den Gefallen, nehme wieder eine ordentliche Haltung ein. Er beobachtet mich, seine Mine ist verschlossen. So ist er immer, wenn er nachdenkt und ich lasse ihn, übe meine Schläge. Auch wenn nicht viel Kraft dahintersteckt. Zum Boxen gehört ohnehin mehr als Kraft und es macht auch Spaß einfach nur die Ausführung zu üben. Wobei langsam meine Fingerknöchel schmerzen. >Ist sie schwanger?< Mein nächster Schlag geht vollkommen daneben, trifft beinahe Anton, doch ich kann noch rechtzeitig innehalten. >Die Antwort war eindeutig<, sagt er leise, betrachtet meine Faust, welche ihn beinahe erwischt hat. >Aber nicht von dir, schätze ich.<
>Von ihrem Ex, ungeplant<, erkläre ich knapp, versuch mich wieder auf das Boxen zu konzentrieren.
>Ash?< Fragend sehe ich in sein Gesicht, doch er wirkt nicht glücklich. >Wie alt ist diese Frau?<
>Was?< Ich verstehe nicht, wie er jetzt auf diese Frage kommt.
>Wenn sie schwanger ist, von ihrem Exfreund, hat sie bestimmt noch keine neue, ernste Beziehung, wegen der sie nicht mit dir zusammen sein kann. Das hätte alles viel zu schnell gehen müssen. Eine Schwangerschaft ist aber kein Grund, warum man nicht zusammen sein kann. Eine Hürde vielleicht, aber mehr nicht. Also ist die einzige Erklärung, dass sie Minderjährig ist.< Mit seinen Informationen kann ich verstehen, dass er auf diesen Schluss kommt, aber ich weiß nicht, wie ich antworten soll. Eigentlich muss ich ihm die Wahrheit sagen, sonst werden seine Schlussfolgerungen immer schlimmer und er bekommt ein vollkommen falsches Bild von mir.
>Sie ist volljährig<, versichere ich ihm, doch seine Mine verändert sich nicht. Vermutlich schließt er aus meiner Antwort, dass sie zwar über achtzehn ist, aber noch nicht lange. Zur Sicherheit sehe ich mich um, doch niemand ist in der Nähe, könnte uns hören. >Du darfst mit niemandem darüber reden, das musst du mir versprechen, okay?< Er nickt zögernd und ich schließe die Augen, atme tief durch. Ich brauche Hilfe hierbei und er ist der Einzige, dem ich es sagen kann. Nur ihm kann ich weit genug vertrauen und sicher sein, dass es niemand erfährt.
>Ash, rede mit mir<, bittet er mich wieder und ich sehe ihn an, versuche in seinem Gesicht zu lesen, was er denkt.
>Sie ist meine Schülerin.< Seine Augen weiten sich, Unglauben steht darin.
>Was?< Er will nicht wirklich eine Antwort darauf, darum halte ich den Mund. Das schaffe ich ungefähr fünf Sekunden lang, dann halte ich das Schweigen nicht mehr aus.
>Deshalb können wir nicht zusammen sein und ich muss Abstand halten, sie mir aus dem Kopf schlagen. Deshalb ist es auch gut, dass sie genau das macht, aber es tut weh<, erkläre ich ihm so ruhig wie möglich, lege dabei eine Hand über mein Herz. Es schlägt nämlich zu schnell in meiner Brust, zieht sich immer mal wieder schmerzhaft zusammen. >Ich weiß, was ich verlieren kann und sie hat wegen der Schwangerschaft auch schon genug Probleme am Hals, aber ich schaffe das einfach nicht. Ich habe es versucht, wirklich, es ist allerdings jeden Tag schlimmer geworden. Ich weiß nicht mehr weiter.< Er schluckt merklich, sagt aber nach wie vor nichts. Er wird Zeit brauchen und die werde ich ihm geben müssen. Auch wenn ich am liebsten jetzt schon wissen würde, was er zu sagen hat.
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Zu 0,05% schwanger
RomanceWenn die Vernunft gegen das Herz verliert, wenn wir unseren Herzen folgen, entsteht meist ein Geheimnis, das alles zerstören kann. Verliebt zu sein ist etwas Schönes, schwanger zu sein auch. Beides würde prinzipiell in so ziemlich jedes Leben passe...