70. Kapitel - Ash

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Ash Lesharo

Nachdenklich mustere ich ihr Gesicht, versuche mich nicht allzu viel zu bewegen. Es ist kurz vor sechs, wir müssen gleich aufstehen, damit sie vor der Schule nach Hause gehen und ihre Sachen holen kann. Bis der Wecker klingelt, möchte ich sie aber noch schlafen lassen. Der Tag gestern war anstrengend und sehr lang, obwohl er relativ entspannt zu Ende gegangen ist. Wenn auch erst heute Morgen.

Gestern Nachmittag ist alles ziemlich schnell gegangen. Scarlet hat mich zur Rede gestellt, wollte noch einmal sichergehen, dass ich es ernst mit Violet meine. Sie hat auch Renè zur Rede gestellt, aber eigentlich wollte sie nur seine Meinung dazu hören. Er selbst hat sich in ihren Augen wohl nicht falsch verhalten und das ist gut. Violet und ich sollten in kleinster Weise zwischen die beiden geraten.

Es wird eine Weile dauern, bis sie unsere Beziehung voll und ganz akzeptiert, aber das ist in Ordnung. Sie hat alle Zeit der Welt dafür, solange sie für Violet da ist und daran zweifle ich nicht. Offenbar hat sie ein paar Puzzleteile zusammengefügt und es so herausgefunden, was zwar nicht beabsichtig oder geplant war, aber wenigstens weiß sie es jetzt. Es ist gut, dass nun auch Violet jemanden hat, mit dem sie uneingeschränkt reden kann. Sie braucht das, glaube ich.

Am späten Abend hat June dann Emil hier abgeholt und war auch noch eine Stunde hier, wir haben uns ein wenig unterhalten, aber den Rest des Abends und die Nacht hatten wir beide dann ganz für uns. Die haben wir ausgiebig zum Reden genutzt, obwohl sie dann gegen ein Uhr so müde war, dass ich sie habe schlafen lassen. Wobei ich nicht viel länger wach war, denn ihr beim schlafen zuzusehen, hat auch mich schnell müde gemacht.

>Ash<, murmelt sie, bewegt sich aber nicht und das lässt mich lächeln. Ich weiß gar nicht, warum ich an unserem ersten Wochenende ihre Stimme gehört habe. Sie war nicht sehr laut und mein Zimmer ist im ersten Stock, ein ganzes Stück vom Wohnzimmer entfernt und dennoch konnte ich sie hören. >Warum bist du wach?<, fragt sie leise, schiebt eine Hand unter ihrer Decke hervor, welche ich sehr gern nehme.

>Einfach so.< Sie lächelt ganz schwach, zieh meine Hand zu sich unter die Decke.

>Uhr?<, will sie wissen, lässt mich schmunzeln.

>Gleich sechs.< Sie runzelt die Stirn, umklammert meine Hand etwas fester. Für einen Moment schließe ich meine Augen, genieße einfach nur diese kleine Berührung.

>Lass uns schwänzen<, bittet sie, was mich tatsächlich lachen lässt.

>Du kannst das ja gern machen, aber bei mir ist das nicht so leicht.< Sie seufzt, lässt meine Hand los, um sich zu strecken.

>Willst du nicht dein Abitur wiederholen? Dann können wir zusammen schwänzen und niemand könnte etwas gegen unsere Beziehung sagen.< Das ist tatsächlich keine schlechte Idee, aber funktionieren wird das wohl eher nicht. >Wir könnten sogar ein Doppeldate mit Tristan und Tina machen<, schlägt sie lächelnd vor, sieht dann zu mir. Ihre Augen sind noch immer nicht ganz offen, trotzdem wirkt sie sehr glücklich.

>Glaubst du, Luca beruhigt sich irgendwann einmal wieder? Ich möchte nicht, dass er dir das Leben noch lange schwer macht.< Sie scheint kurz nachzudenken, dann dreht sie sich auf die Seite, sieht mich an.

>Das hoffe ich auf jeden Fall. Aber wenn ich die Abtreibung am Freitag habe, wird es danach bestimmt besser. Er muss nicht mehr wissen, was in meinem Leben passiert, das geht ihn nichts mehr an, aber davon werde ich ihm erzählen. Ich will nicht gemein klingen oder so, aber er stellt sich selbst immer wieder Steine in den Weg. So mag ich ihn überhaupt nicht.< Das kann ich gut verstehen.

Wortlos schnappe ich mir ihre Taille, drehe sie um und ziehe sie dann an meine Brust. Sie schmunzelt, schmiegt ihren Rücken an meine Brust und ich schließe sie fest in meine Arme.

>Hauptsache, dir geht es gut und du bist bei mir.< Sie brummt unzufrieden, küsst einen meiner Arme.

>Wir sehen uns die ganze Woche über nur in der Schule, oder?< Auch ich finde das nicht unbedingt schön, aber immerhin sehen wir uns überhaupt.

>Ich werde June fragen, ob sie nicht ein Jahr lang ins Ausland gehen will und Emil bei uns lässt.< Sie lacht leise, schließt die Augen wieder.

>Ich will nicht nach Hause. Dass ich auswärts schlafe, habe ich meinen Eltern nicht gesagt<, erklärt sie, ist nun nicht mehr so schön entspannt.

>Brauchst du denn ein Alibi?<

>Das weiß ich noch nicht. Aber ich war offiziell nur Babysitten, also eigentlich nicht. Allerdings ist die Nacht von Sonntag auf Montag schon eher ungewöhnlich. Normalerweise sind die Eltern dann selbst wieder da oder haben das Kind schon abgeholt. Zumindest ist ein Sonntagabend als Übergabe wahrscheinlicher als ein Montagmorgen.< Da muss ich ihr leider zustimmen, küsse ihre Schulter. >Kann ich nicht einfach eine Woche mein Leben schwänzen und hier bleiben? Nicht nur die Schule, ich will auch nicht nach Hause. Meine Mutter hat die Sache mit der Pille bestimmt noch nicht vergessen.< Es wäre wirklich schön, wenn ich ihr dabei helfen könnte. Wenigstens ein bisschen.

>Und ich könnte auch Kelly und Penny verzichten, aber so ist das Leben.< Sie brummt etwas Zustimmendes.

>Noch kann ich bei dir sein.< Lächelnd ziehe ich sie etwas enger an mich, dann vergrabe ich mein Gesicht in ihren langen, blonden Haaren.

>Ich vermisse dich jetzt schon<, muss ich zugeben. Sie liegt ganz still da, doch ich kann praktisch vor mir sehen, wie sie lächelt.

>Wir schaffen das alles, oder?<, fragt sie plötzlich und ich lasse sie los, um sie ansehen zu können. Sie dreht auch den Kopf zu mir, sieht mich bittend an.

>Natürlich, Violet. Ich werde an deiner Seite bleiben, ganz egal, was passiert.<

>Und wenn Anton jemandem davon erzählt? Du hast gesagt, dass du ihn nicht erreichen kannst.< Ich kann verstehen, warum sie so unsicher ist, was Anton angeht, aber ich habe Hoffnung.

>Er glaubt, dass wir Abstand halten wollen und das beenden. Er wird niemandem etwas sagen, bevor er nicht noch einmal mit mir gesprochen hat und wenn er das vor hat, finde ich schon eine Lösung. Er ist sehr umgänglich, mach dir wegen ihm keine Sorgen. In Ordnung?< Sie zögert einen Moment lang, mustert mein Gesicht. Es scheint ihr nicht leicht zu fallen, doch sie nickt. >Wir finden für jedes Problem eine Lösung, ganz egal, wie viele Probleme noch kommen. Versprochen.< Ich verspreche nicht leichtfertig etwas, weil mir Versprechen sehr viel bedeuten. Dennoch habe ich keine Bedenken wegen diesem.

Ich will bei ihr sein. Das hat keine Bedingungen, aber viele Gründe. Sie ist ein wichtiger Bestandteil meines Lebens geworden und das wird sie immer sein.

Sie nimmt eine meiner Hände, legt sie über ihr Herz. Es schlägt schnell in ihrer Brust, genau wie meines.

>Ich vertraue dir<, sagt sie leise. Das weiß ich, sonst wäre sie niemals hier, doch es ist sehr schön, es auch aus ihrem Mund zu hören.

>Und ich dir Violet. Voll und ganz.< Sie lächelt, verschränkt ihre Finger mit meinen und es fühlt sich einfach nur gut an, bei ihr zu sein.

Das schrille, wenn auch nicht sehr laute klingeln meines Weckers lässt sie genervt stöhnen.

>Bitte nicht<, fleht sie, rollt sich zusammen, aber das ändert nichts an der Uhrzeit. Mit einer gewohnten Bewegung habe ich den Wecker abgestellt, ziehe ihre Decke weg.

>Du Sadist<, beschwert sie sich, ihre Hand in meiner verkrampft sich.

>Wir stehen sonst nicht auf.< Sie hebt nur die Schultern, dann löst sie sich von mir, steht tatsächlich auf und ich folge ihr. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt