35. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Ich fühle mich schrecklich. Es hat ewig gedauert, bis ich wieder eingeschlafen bin, nachdem Ash gegangen ist und dann habe ich einen schlechten Traum nach dem nächsten gehab, um am Ende nur noch weinend da zu liegen und mein Herz zu verfluchen.

>Elly<, seufzt Tristan wieder, setzt sich neben mir auf die Bank, am Rand des Pausenhofes. Tina ist mal wieder nicht hier und wo Luca ist, will ich gar nicht wissen.

Tristan hat in den letzten beiden Stunden schon versucht mit mir zu reden, aber ich habe ihn immer abgeblock. Jetzt ist allerdings Pause und ich kann ihn nicht mehr auf unseren Lehrer hinweisen, der ihn immer schon mahnend angesehen hat. >Erzähl schon<, fordert er, aber ich kann nicht. Wenn ich darüber rede, wird es noch realer. Aber es soll weggehen. Einfach verschwinden und niemals wiederkommen. Genau wie dieser blöde Embryo, bei dem ich mich einfach nicht entscheiden kann, was ich will. Das Kind zu bekommen, fühlt sich genau so falsch an, wie es abzutreiben. Oder wie meinem flatternden Bauchgefühl zu erliegen. >Elly<, sagt er besorgt und sanft, zieht mich in seine Arme. Ich habe tatsächlich schon wieder angefangen zu weinen, was ich heute Morgen schon eine halbe Stunde lang gemacht habe. Mein Herz hat sich wieder schmerzhaft zusammengezogen, mich an dieses drückende Gefühl von Einsamkeit erinnert. Mir tut auch vom Weinen noch das ganze Gesicht weh, aber leichter wird es deshalb nicht.

>Es tut weh<, bringe ich zwischen zwei Schluchzern hervor, versuche irgendwie in Worte zu fassen, was in mir vorgeht, obwohl es dafür keine Worte zu geben scheint. >Ich darf nicht, aber-< Mein eigenes Schluchzen unterbricht mich, dann geht der nächste Heulkrampf los und Tristan hält mich fest. Mehr kann er nicht machen, aber das ist in Ordnung. Zumindest bin ich nicht allein.

Meiner Mutter könnte ich mich so niemals zeigen. Sie würde jede Information aus mir herausholen und die einfache Antwort, dass Luca und ich getrennt sind, würde sie mir bei so vielen Tränen nicht glauben.

>Schwänzen wir?<, will Tristan wissen, ein kleines Lächeln in der Stimme. Ich weiß, dass er mich damit aufmuntern will und tatsächlich will ich genau das. Einfach weg von hier. Aber dann ruft die Schule meine Eltern an und ich habe nichts gewonnen. Das macht es vielleicht sogar noch schlimmer.

>Das geht nicht.< Er lässt mich los, reicht mir ein paar Taschentücher, damit ich mein Gesicht trocken kann.

>Dann rede mit mir. Wenn du es nicht rauslässt, wird es auch nicht besser.< Das ist mir schon klar, aber es widerstrebt mir. Zumal ich ihm die Wahrheit nicht sagen kann.

>Ich habe mich verliebt, glaube ich.< Der letzte Teil ist gelogen. Ich glaube das nicht nur, ich weiß es. Aber ich weiß nicht warum und schon gar nicht, wie ich mich einen verdammten Referendar verlieben konnte. Ich kenne ihn noch immer kaum, weiß eigentlich nur, dass er fürsorglich ist, aufrichtig und sehr gut küssen kann. Wobei ich letzteres in die Wertung nicht mit einbeziehen sollte. Aus so einem Grund verliebt man sich nicht in jemanden, den man grade Mal etwas mehr als eine Woche lang kennt. Obwohl kennen auch schon wieder zu viel gesagt ist.

>Aber das darfst du nicht?<, greift er meinen abgebrochenen Satz auf, wirkt aber nicht vorwurfsvoll, sondern lediglich besorgt.

>Richtig.< Er wird seine eigenen Schlüsse ziehen und dabei hoffentlich auf niemand spezielles kommen. Am besten wäre es, wenn ich das noch irgendwie beschreiben könnte, damit er mir helfen oder mir zumindest einen Rat geben kann, aber ich weiß nicht wie.

>Aber du hast dich nicht wieder in Luca verliebt, oder?<, fragt er vorsichtig und ich bin durchaus froh, dass ich das mit einem heftigen Kopfschütteln verneinen kann. Meine Gefühle für Luca sind irgendwie verschwunden, als wären sie nie da gewesen. Deshalb habe ich auch ein bisschen mehr Hoffnung, dass die Gefühle für Herr Lesharo genauso schnell verschwinden. Ich muss nur herausfinden, wie das geht. >Ist er etwa verheiratet oder so?<, will er mich aufziehen, aber ich lache nicht. Das Problem ist durchaus vergleichbar, finde ich. Herr Lesharo ist zwar nicht verheiratet, aber sein Leben und sein Job untersagen es ihm, mir nahe zu sein. Ähnlich ist es auf jeden Fall. >Meinst du das ernst?<, hakt er nach, wirkt aber nach wie vor nicht wütend. Nur erstaunt.

>Warum glaubst du weine ich hier die ganze Zeit? Weil mein Leben grade so schön einfach ist?< Mein Herz macht einfach was es will und gibt nichts auf das, was mein Kopf dazu zu sagen hat. Zusätzlich hat meine Pille versagt und mir eine Schwangerschaft beschert, die niemand in meinem Alter gebrauchen kann. Und beides muss ich meinen Eltern verschweigen, die erste Hälfte sogar der ganzen Welt. Weil mein Leben gerade zu einer einzigen Katastrophe mutiert.

>Das war nicht so gemeint<, erklärt er leise, nimmt eine meiner Hände. >Weiß er davon?< Ich nicke langsam, starre unsere Hände an, um seinem Blick auszuweichen.

>Er hat mich gestern geküsst und musste dann weg. Er war grade aus der Tür, da wollte ich ihn nachlaufen und zurück holen, ihn bitten bei mir zu bleiben. Aber das geht nicht und das weiß ich. Das wusste ich die ganze Zeit und ich wollte das auch gar nicht.< Ich war glücklich, als er mich geküsst hat. In diesen Sekunden hat die Welt einfach nicht existiert und alles war perfekt. Aber dann war der Kuss zu Ende und ich habe Angst bekommen. Angst davor, dass ich zu viel für ihn empfinde und es nicht funktioniert. Dass einer von uns oder wir beide unsere Leben zerstören, wegen diesen dummen Gefühlen.

Genau so ist es gelaufen. Ich habe ihn zur Tür gebracht, er ist gegangen und ich habe die Tür wieder geschlossen. Eine Sekunde später hat sich mein Herz krampfhaft zusammengezogen und meine Beine haben nachgegeben. Ich wollte schreien, dass er zurückkommen soll und das nur, weil er mich wieder geküsst hat. Davor war alles noch irgendwie erträglich. Ich konnte mich beherrschen und in meiner kleinen Seifenblase glücklich sein. Lange gehalten hat es jedenfalls nicht.

>Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll<, meint Tristan leise, drückt meine Hand. >Du bist die Letzte, bei der ich mir so etwas vorstellen konnte. Also etwas unvernünftiges. So etwas passt eigentlich nicht zu dir.< Lächelnd sehe ich zu ihm auf, nicke langsam.

>Geht mir auch so. Ich habe mich immer für vernünftiger gehalten, aber mein blödes Herz und meine Hormone überlagern meinen Verstand aktuell ein bisschen.< Das ist maßlos untertrieben, aber ich glaube, er weiß das. Er lacht auch leise, steht aber auf und zieht mich mit sich.

>Dann zweifeln wir jetzt beide an deinem Verstand und suchen eine Erklärung, aber erst nach dem Unterricht. Wir haben noch ein paar Stunden vor uns.< Das hatte ich ganz vergessen. Wobei ich die Nachhilfe mit Herr Lesharo durchaus absichtlich verdrängt habe. Obwohl das auch ganz gut laufen könnte, wenn ich mich einfach zusammenreiße und am Ende gehe, anstatt noch ewig dazusitzen, wie letztes Mal. Als er mich in seinen Arm genommen und ich mich sicher gefühlt habe. Es kommt mir so vor, als wären seitdem Monate vergangen und nicht nur eine Woche.

>Warum ist Tina heute eigentlich schon wieder nicht da?<, wechsle ich einfach mal das Thema, lasse mich von ihm zurück zum Gebäude ziehen.

>Weil ihre Katze krank ist<, meint er, rollt die Augen und wir wissen beide, dass sie nur keine Lust auf den Unterricht hat und im Grunde schwänzt. Auch wenn ihre Eltern ihr dafür tatsächlich Entschuldigungen schreiben. Darum beneide ich sie manchmal, weil ihre Eltern wirklich entspannt bei dem Thema sind und auch bei so ziemlich allem anderen. Allerdings würde ich das zu oft ausnutzen, glaube ich. Besonders zur jetzigen Zeit und diesem ganzen Chaos in meinem Leben. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt