33. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Normalerweise bin ich um diese Zeit todmüde, aber die Sorge, gemischt mit Panik, hält mich wach. Ungeduldig halte ich mein Handy ans Ohr, taste mit der anderen Emils Stirn ab. Er ist eindeutig zu warm und ich habe keine Ahnung, was ich machen soll. Bei Erwachsenen vielleicht, aber Emil ist noch so jung. Da habe ich einfach nur Angst, es schlimmer zu machen.

Wir haben nach den Pfannkuchen noch ein paar Stunden lang gespielt und sogar einen Film geschaut. Die ganze Zeit über war alles in Ordnung. Auch beim Vorlesen der Gutenachtgeschichte war er ruhig und entspannt, obwohl er sehr intensiv versucht hat wach zu bleiben. Er hat auch seelenruhig geschlafen, bis ich zu ihm ins Bett gekommen bin, ist nicht aufgewacht.

Allerdings bin ich dann vor ein paar Minuten aufgewacht, habe nach ihm gesehen und gemerkt, dass er eindeutig eine zu hohe Temperatur hat. Und das nicht nur deshalb, weil es unter der Decke sehr warm war.

>Ash?< Ich glaube, er hat abgenommen aber nichts gesagt.

>Violet?<, fragt er zurück, seine Stimme klingt vom Schlaf belegt. Was kein Wunder ist, morgens um drei Uhr. Dennoch erfüllt mich ein wenig Erleichterung, denn endlich habe ich jemanden, der mir hoffentlich helfen kann.

>Emil hat Fieber. Ich weiß nicht, was ich machen soll.<, erkläre ich knapp und hoffe, dass allein das schon hilft, aber natürlich tut es das nicht. Ein Fieber geht nicht weg, wenn man jemandem davon erzählt.

>Leg ihm einen kalten Lappen auf die Stirn und schick mir deine Adresse, ich bin gleich da.< Ich bin wirklich dankbar, dass er her kommt und mir hilft, das lässt meine versteiften Schultern etwas lockerer werden.
Er legt auf, bevor ich etwas sagen kann und ich sehe wieder nach Emil. Er schläft, hat aber das Gesicht leicht verzogen und es tut mir im Herzen weh, ihn so zu sehen. 
Ich hätte meine Mutter gefragt, was ich machen kann, aber sie ist immer noch nicht wieder da und auch nicht an ihr Handy gegangen. Deshalb habe ich Herr Lesharo angerufen, in der Hoffnung, dass er mir helfen kann und offenbar kann er das.

Mit zitternden Händen gebe ich unsere Adresse in mein Handy ein, schicke sie ihm, dann gehe ich ins Bad. Wir haben keine kleinen Handtücher, aber ein Waschlappen ist genauso gut, darum mache ich ihn nass und warte kurz, bis er richtig kalt ist. Vorsichtig drücke ich ihn wieder aus und bete, dass das hilft. Zumindest ein Bisschen. Dann nehme ich noch ein trockenes Handtuch mit, gehe zurück in mein Zimmer und lege ihm den Waschlappen vorsichtig auf die Stirn.

Er wacht nicht auf, bewegt sich nur unruhig und ich bete, dass Herr Lesharo nicht so lange braucht. Tatsächlich würde ich sogar unten an der Haustür warten, wenn ich dazu Emil nicht alleinlassen müsste. Abgesehen davon macht ihn das nicht schneller.

Erschrocken zucke ich zusammen, als es an der Tür klingelt und sehe auf die Uhr. Er muss wie ein verrückter gerast sein, um so schnell hergekommen zu sein. Was aber nicht wichtig ist. Der kleine Kerl in meinem Bett hat jetzt die einzige Priorität.

Kurz sehe ich noch einmal nach Emil, dann eile ich nach unten, öffne die Haustür. Draußen ist es windig, weshalb meine Haare kurz herumfliegen, aber ich bändige sie schnell, lasse ihn reinkommen. Er sieht gut aus, in seiner schwarzen Jacke, aber ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet jetzt darüber nachdenke.

>Er ist oben.< Er nickt nur, beobachtet mich und ich spüre auch seinen intensiven Blick auf mir, aber Emil ist jetzt viel wichtiger.

>Hast du June angerufen?<, will er wissen und ich schüttle den Kopf, führe ihn in mein Zimmer. Das Licht hier ist gedämpft, damit Emil sich wohler fühlt, wenn er aufwacht. >Hol mir bitte eine von seinen Flaschen und fülle sie zur Hälfte mit Wasser.< Tatsächlich hat mir June einen Rucksack mit ein paar Sachen gegeben, darunter eine der Trinkflaschen für Kinder.

Ohne groß nachzudenken, gehe ich nach unten, hole sie und fülle sie in der Küche, bis sie halbvoll ist, bevor ich wieder nach oben eile. >Danke<, sagt er, da hat er die Flasche noch gar nicht in der Hand. Sobald er sie jedoch hat, öffnet er sie, gibt ein paar Tropfen aus einer kleinen, braunen Flasche hinein. >Weckst du ihn für mich?< Mit einem Nicken gehe ich auf die andere Seite von meinem Bett, nehme eine von Emils kleinen Händen, versuche ihn möglichst sanft zu wecken.

>Emil?<, frage ich leise, drücke seine Hand und streiche auch noch einmal über seine Wange. Sie ist auch warm, aber nicht so sehr wie seine Stirn.

>Vio<, murmelt er und ein leichtes Lächeln huscht über mein Gesicht. Ich liebe diesen kleinen, süßen Kerl einfach.

>Mach die Augen auf, ja? Ash ist hier und möchte dir etwas geben.< Tatsächlich öffnet er seine Augen langsam, blinzelt gegen das schwache Licht.

>Warum?<, fragt er benommen, nimmt den Waschlappen von seiner Stirn. >Ich bin müde.<

>Hallo Lieblingsneffe.< Emil lächelt bei dem Kosenamen von Ash, der ihm die Flasche reicht. Schnell setzt er sich auf und ich nehme ihm den Waschlappen ab. >Sei so lieb und trinkt etwas davon, dann geht es dir gleich besser<, verspricht er und Emil nimmt die kleine Flasche mit beiden Händen entgegen. Er fragt auch nicht weiter nach, setzt nur die Flasche an und legt den Kopf in den Nacken.

Ich kann spüren, dass Herr Lesharo mich beobachtet, versuche es aber auszublenden. Emil braucht gerade Aufmerksamkeit, nicht ich. Er soll wieder gesund werden, damit ich mir keine Sorgen machen muss.

>Danke, Onkel Ash.< Er hat die Flasche sogar ausgetrunken, reicht sie Herr Lesharo zurück und reibt sich die Augen. Er sieht dabei unglaublich süß aus und wenn er das noch ein paar Sekunden lang macht, schmelze ich.

>Sehr gern. Geht es dir schon ein bisschen besser?< Er scheint kurz zu überlegen, nickt dann aber. Anstatt sich dann jedoch wieder hinzulegen, streckt er die Arme nach mir aus. Schnell setzte ich mich bequem auf das Bett, nehme ihn auf meinen Schoß und er gähnt ausgiebig.

>Kann ich wieder schlafen?<, will er wissen, hat die Augen im Grunde schon wieder geschlossen und kuschelt sich an mich, was mein Herz höherschlagen lässt.

Ich kann mir richtig gut vorstellen, wie es wäre, meinen Sohn oder meine Tochter so in den Armen zu halten. Aber es würde einige Zeit dauern, bis das Kind vier Jahre alt ist und die Zeit bis dahin wäre nicht einfach. Auch alles andere nicht und für so einen Moment mit meinem eigenen Kind würde ich einiges tun, aber es gehört so viel mehr dazu.

Die Verantwortung, die Pflichten, das Wissen und natürlich würde ein Kind mein gesamtes Leben auf den Kopf stellen. Ich will eigentlich noch ein paar Dinge erleben und auf die Uni gehen, bevor ich Kinder bekomme. Obwohl ich ja eigentlich gar keine haben will.

>Violet?< Er hat ganz leise gesprochen, aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich reagieren will. Vielleicht sollte ich einfach so tun, als wäre ich eingeschlafen. Dann müsste ich ihn nicht wieder ansehen.

Denn jetzt, wo Emil wieder schläft und sogar etwas kühler geworden ist, lenkt er mich nicht mehr so gut ab. Wenn ich aufsehe und sich unsere Blicke begegnen, weiß ich, dass mein Verstand versagen wird. Das versucht er nämlich schon seit mehreren Minuten zu tun. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt