36. Kapitel - Ash

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Ash Lesharo

>Sie ist zu spät<, beschwert sich Kelly, sieht zum zehnten Mal auf die Uhr. Penny sollte tatsächlich längst im Lehrerzimmer sein und wenn sie nicht bald auftaucht, werden wir sie suchen. Auch wenn sie gerade meine geringste Sorge ist.

In der ersten Pause habe ich Violet auf dem Pausenhof mit Tristan gesehen und wieder hat sie geweint. Ich will unbedingt wissen, was mit ihr los ist, was sie so traurig macht. Ich könnte ihr eine Nachricht schreiben und sie fragen, aber Tristan weicht ihr nicht von der Seite. Wenn er meinen Namen und die Nachricht liest, wäre das nicht gut.

>Entschuldigen Sie die Verspätung<, platzt Penny plötzlich in das Lehrerzimmer, ist dabei viel zu laut. Die Kollegen sehen auch strafend zu ihr, doch sie ignoriert jeden von ihnen, lächelt mich nur an und kommt auch auf mich zu. Dass Kelly neben mir auf der Couch sitzt, ignoriert sie sehr deutlich und ich denke, Kelly versteht jetzt noch etwas besser, warum ich sie dabeihaben wollte.

>Setz dich<, fordert Kelly und sie tut es, obwohl sie weiterhin nur mich ansieht.

>Willst du bei Herr Zuber nachsitzen oder kannst du Kelly zuhören?<, frage ich sie direkt, um ihr die Grenzen aufzuzeigen, erwarte aber nicht wirklich eine Antwort. Niemand sitzt gerne bei dem bekanntlich strengsten Lehrer der Schule nach. Den Ruf hatte er schon, als ich noch mein Abitur gemacht habe und das hat sich nicht geändert. Ich habe das Gefühl, dass sie nur so empfänglich für dieses Gespräch ist und tatsächlich wirkt sie genervt, sieht aber zu Kelly.

>Was gibt es denn?<, will sie wissen, streicht sich durch ihre langen, blondierten Haare.

>Es geht um deine anzügliche Nachricht an meinen Kollegen, Penny. Es ist nicht in Ordnung so etwas zu schreiben.< Anstatt sich zu verteidigen oder zumindest verlegen zu werden, sieht Penny vorwurfsvoll zu mir.

>Sie haben es ihr gesagt? Die Nachricht war nur für Sie<, betont sie, als hätte ich das nicht verstanden.

>Du hast sie auf meinen Tisch gelegt<, lenkt Kelly ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich, doch Penny wirkt nicht so, als würde sie das glauben.

>Sie stehen auch auf Ash, tuen Sie nicht so. Sie haben seine Sachen durchsucht und ihn dabei zufällig gefunden.< Seufzend reibe ich mir die Schläfen, denn besser ist das hier nicht, als ursprünglich gedacht. Wenn ich allein wäre, gäbe es wohl kaum einen Unterschied.

>Ash ist mein Kollege, Penny. Selbst, wenn ich Gefühle für ihn hätte, wäre das in Ordnung. Du hingegen bist seine Schülerin und das ist verboten. Wenn er sich auf dich einlassen würde, könnte er dafür ins Gefängnis kommen.< Das hier führt in eine vollkommen verkehrte Richtung und falsch ist es ebenfalls, aber ich habe einfach nicht das Bedürfnis einzugreifen. Ich habe kein Interesse an diesem Gespräch, solange Violet kein Teil davon ist.

>In den Knast?<, hakt Penny ungläubig nach, sieht zu mir und ich nicke einfach. Sie wird das hoffentlich nicht recherchieren und herausfinden, dass ich zwar meinen Job verliere, aber nicht ins Gefängnis muss. Sie ist volljährig, sonst wäre das anders, aber das spielt gerade keine Rolle. Dennoch sollte ich auch Mal wieder etwas sagen.

>Hör zu, Penny. Du bist ein hübsches, kluges Mädchen und noch jung. An dieser Schule gibt es viele Jungs in deinem Alter, du findest sicherlich jemanden, der zu dir passt. Wenn du lieber mit etwas älteren Männern zusammen bist, ist das natürlich auch in Ordnung, aber ein Lehrer ist immer die falsche Wahl.< Das mit der kalten Schulter hat bei ihr bisher nicht wirklich funktioniert, darum versuche ich es jetzt auf diesem Weg. Hauptsache, sie unterlässt ab sofort ihre Flirtversuche. Ohne sie habe ich schon genug Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen muss.

>Das ist Mist<, beschwert sich Penny, sieht strafend zu Kelly, dann zu mir. >Wir haben nur Idioten an der Schule.< 

>Dann warte doch bis zur Uni. Ich habe meine Freundin auch erst nach der Schule kennengelernt.< Diese Sache mit meiner Freundin wird mir noch Probleme machen, das weiß ich. Es ist eine Lüge, früher oder später fliegt sie auf, aber bis dahin kann ich mir Kelly und Penny damit hoffentlich gut vom Hals halten.

>Sie hätten auch einfach sagen können, dass Sie eine Freundin haben<, meint Penny, ist plötzlich trotzig und steht auf. >Also wirklich. Dann hätten wir das am ersten Tag schon klären können.<

>Penny, wo willst du hin?< Penny ignoriert Kelly vollkommen, dreht sich einfach um und geht. Mir ist das ganz Recht so, denn es sieht so aus, als wäre das jetzt geklärt. >Diese Teenager<, beschwert sie sich, steht auf und geht an ihren Tisch. Ich dagegen bleibe einfach sitzen. Ich will nach Hause oder zu Violet, aber beides geht nicht. Ich habe gleich wieder Unterricht und nachher noch die Nachhilfe. Dort kann ich Violet sehen, aber nicht mit ihr reden und das stört mich. >Jedes Mal dasselbe<, redet Kelly weiter und nun bin ich doch hellhörig.

>Gab es so etwas schon Mal?< Mein Mund war das, nicht ich. Natürlich wollte ich sie Fragen, herausfinden was sie weiß, aber nicht einfach so.

>Ja, vor zwei Jahren ungefähr. Sven, ein unglaublich netter Mann. Gutaussehend, jung und grade erst raus aus dem Referendariat. Er war nur vier Monate hier, bis man ihn mit einer der Schülerinnen erwischt hat. Er ist seinen Job losgeworden und darf nie wieder mit Kindern oder Jugendlichen arbeiten<, erzählt sie drauf los, sortiert dabei ein paar Blätter. >Dieses unreife Mädchen hat einem guten, anständigen Mann den Kopf verdreht und sein Leben zerstört. Alle verurteilen ihn, aber sie ist das Miststück gewesen<, flucht sie und das wundert mich. So habe ich sie noch nie reden hören. >Zum Glück hat sie ihren Abschluss letztes Jahr gemacht und ich muss sie nicht mehr sehen.<

Kraftlos stütze ich mein Gesicht in beide Hände, versuche meinen Kopf zu klären. Irgendwie hat Kelly recht. Wenn etwas zwischen Violet und mir passiert, das jemand herausfindet und öffentlich macht, ist mein Leben vorbei. Dann muss ich die Schule verlassen, mein Studium war umsonst, meine Freunde werden mich verurteilen. Sie werden mir oder Violet die Schuld geben, dabei ist Schuldzuweisung das unwichtigste daran. Sie verdreht mir nicht zum Spaß den Kopf und auch ohne mich hat sie noch die Schwangerschaft.

Nach wie vor will ich ihr helfen, für sie da sein, aber ich kann nicht. Ich bin nicht bereit meine Karriere, mein Leben, für sie aufzugeben und ich will auf keinen Fall unsere beiden Leben zerstören. Auch, wenn mein Herz sich schmerzhaft bei dem Gedanken zusammenzieht, sie in Zukunft zu ignorieren, werde ich genau das tun. Nur so kann ich es beenden. Mit einer einfachen, kalten Schulter oder einem schlichten Versuch, weniger auf sie zu achten, hat es schließlich bisher nicht geklappt. Besser wird es nicht von allein.

>Kelly?< Sie sieht sich zu mir um, mustert mich fragend. >Gehen wir nachher etwas essen?< Ich brauche eine Ablenkung, eine gute. Da ich keine wirkliche Freundin habe, Kelly das aber glaubt, darf ich nicht zu weit gehen, aber es sollte schon etwas helfen, wenn ich heute Abend mit ihr unterwegs bin, anstatt wieder zu Hause allein zu sein.

>Sicher?<, will sie wissen, wirkt skeptisch, darum schenke ich ihr ein beruhigendes Lächeln, das hoffentlich echt wirkt.

>Ja, natürlich. Meine Freundin ist heute Abend unterwegs und ich bin nicht der beste Koch, also gehe ich sowieso essen und ich möchte mich bei dir bedanken, wegen deiner Hilfe bei Penny.< Sie wirkt ein bisschen skeptisch, aber auch sehr glücklich und ich denke, das reicht für den Anfang. 

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