50. Kapitel - Ash

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Ash Lesharo

Es ist angenehm warm in meinem Wohnzimmer und sehr geräumig. Ohne die Kartons fühlt es sich schon fast wie ein Zuhause an, aber es wird noch eine Weile dauern, bis ich mich an die neue Umgebung gewöhnt habe. Wenigstens bleibt hier jetzt alles so, wie es ist. Mir reicht es vollkommen, dass sich mein Leben gerade immer wieder in viel zu großen Schritten ändert. Irgendetwas festes, beständiges brauche ich einfach, um mich wohlzufühlen.

>Entspann dich mal<, fordert René, obwohl er gar nicht auf mich achtet. Er macht irgendetwas an seinem Handy, ich dagegen laufe durch das Erdgeschoss und suche nach einer Ablenkung. >Es wird schon alles gutgehen<, murmelt er vor sich hin und das würde ich ihm vielleicht auch glauben, wenn er wenigstens so tun würde, als wäre er als meine moralische Stütze hier.

>Tu wenigstens so, als würdet du mir helfen wollen.< Er schnaubt, sieht von seinem Handy auf.

>Bin ich grade hier oder bereite ich den Unterricht für morgen vor?< Es ist noch nicht allzu spät, aber ich weiß auch nicht, wie viel er noch zu tun hat. >Würde ich dir nicht helfen wollen, hätte ich keine drei Stunden mit dir bei diesem Griechen verbracht, wäre mit meiner Unterrichtsvorbereitung fertig und auf dem Weg in eine Bar, um mich da ein bisschen umzusehen. Ich bin schon viel zu lange Single. Sogar du hast jetzt eine Freundin<, meint er und irgendwie hat er mit allem davon recht. Wir haben sehr lange geredet und er hat mir auch unheimlich viel geholfen, aber das hier ist schon wieder etwas vollkommen Unerwartetes.

Violet kann ihre Eltern nicht in die Frage einbeziehen, ob sie das Kind bekommen soll oder nicht, ihre Schwester allerdings schon. Sie will deshalb gleich mit ihr vorbeikommen, uns einander vorstellen, aber ihr nicht sagen, dass ich ihr Referendar bin. Wenn das aufkommt und sich nicht vermeiden lässt, werden wir es ihr sagen, damit auch Violet wenigstens eine Person hat, mit der sie offen reden kann. Aber wenn es geht, behalten wir das vorerst noch für uns.

>Dann-< Es klingelt und innerhalb einer Sekunde habe ich vergessen, was ich sagen wollte.

>Soll ich aufmachen?<, zieht René mich auf, aber das schaffe ich dann schon noch selbst. Aktuell verhalte ich mich zwar eher wie ein Teenager, aber ich bin keiner mehr. Ich sollte mich langsam mal wieder zusammenreißen.

>Hey.< Violet hat ein schwaches Lächeln im Gesicht und leicht gerötete Wangen. Hinter ihr steht vermutlich Scarlet, die ihr wirklich unheimlich ähnlich sieht, mit ihrer Tochter auf dem Arm.

>Kommt rein.< Violet folgt der Aufforderung sofort, Scarlet hingegen zögert kurz, folgt ihr dann aber.

>Hey Elly.<

>Was...?<, höre ich Violet fragend murmeln, dann stürzt sie schon auf René zu. >Warum hast du nicht gesagt, dass du wieder in der Stadt bist?<, verlangt sie zu wissen, die beiden umarmen sich und René lacht erst einmal nur als Antwort. Ich weiß nicht so ganz, was ich machen soll, warte einfach ab und schließe die Haustür wieder.

>Tristan hat dir nichts gesagt?< Sie schüttelt den Kopf, dann winkt sie ihre Schwester zu sich.

>Das macht er doch nie. Na komm rein.< Mit einem Nicken folgt sie Violet in das Wohnzimmer, wo wir uns nun alle einen Platz suchen. Getränke habe ich schon auf den Tisch gestellt, dazu auch ein paar Snacks. Damit habe ich einen Teil der Wartezeit überbrücken können, auch wenn die Snacks vermutlich eher nicht angerührt werden. Es sind auch viel zu viele.

>Also gut. Scarlet, das sind Ash und René. Von Ash habe ich dir erzählt, René ist der ältere Bruder von Tristan<, stellt sie uns vor und ich beschäftige meine Hände mit meiner Teetasse. Er ist zwar nur noch lauwarm, aber immerhin muss ich mir dann nicht so viele Gedanken darüber machen, wie ich mich hinsetzten soll.

>Freut mich<, erwidert Scarlet, stricht ihrer Tochter sanft über den Kopf, welches uns aufmerksam beobachtet. Um ehrlich zu sein hat Violet zwar erwähnt, dass ihre Schwester ein Kind hat, aber ich hätte nicht gedacht, dass dieses kleine Mädchen Violet so ähnlich sieht. Das ist schon klar, immerhin ist sie die Nichte von Violet, aber es könnte genauso gut ihre Tochter sind.

>Ihr beiden, das sind meine ältere Schwester Scarlet und ihre Tochter Maja.< Die kleine reagiert auf ihren Namen, kichert und beobachtet Violet eingehend. >Wir sind hier, weil ich dich meiner Schwester vorstellen möchte. Ich habe sie um Rat gefragt, wegen dem Baby und wir waren uns einig, dass es bei der Frage wichtig ist, alle Faktoren so gut es geht zu kennen. Luca kennt sie schon, aber dich noch nicht<, erklärt sie uns, schließt dann mit einem auffordernden Nicken in meine Richtung. Allerdings habe ich keine Ahnung, was ich sagen soll.

Scarlet will ihre Schwester beschützen und diese ganze Geschichte kommt mit Sicherheit nicht sehr gut bei ihr an. Sie weiß vielleicht nur, dass ein Mann, der deutlich älter ist als ihre Schwester, mit dieser ausgeht. Scarlet könnte in meinem Alter sein, zwischen mir und Violet liegen noch immer sieben Jahre.

>Hat es dir jetzt die Sprache verschlagen, oder was?<, versucht René mich aufzulockern, aber das hilft mir nicht. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. >Na gut, dann mache ich das mal. Mein Freund hier hat sich schwer verliebt und viel mehr gibt es da gar nicht zu sagen. Seine letzte und einzige Freundin war eine Katastrophe, dadurch hat er sich lange von Frauen im Allgemeinen distanziert, aber die beiden haben sich einfach gefunden. Obwohl sie das gar nicht wollten.< Das hat er schön gesagt, obwohl ich nicht weiß, was Jennifer damit zu tun hat. >Ich war am Anfang auch skeptisch, aber ich kenne mittlerweile alle Umstände und so viele Gedanken wie er sich macht, um Violet, das Baby und ihre Zukunft, denkt man manchmal, dass die beiden schon ewig zusammen sind.<

>Manchmal fühlt es sich wirklich so an<, ergänzt Violet und wirkt einfach nur glücklich. Das nimmt mir etwas von meiner Anspannung, sodass auch ich endlich Mal wieder lächeln kann.

>Ich verstehe es nicht<, höre ich mich sagen, spüre die fragenden Blicke auf mir. >Wie das alles passieren konnte. Ich wollte hier neu anfangen, ein ganz normales Leben führen und sehen, wohin mich das alles führt. Es war nicht geplant, dass so bald wieder eine Frau in meinem Leben eine Rolle spielt. Schon gar nicht so früh und ohne das wirklich zu begreifen. Es ist einfach passiert, innerhalb weniger Tage und heute gehört es schon zu meinem Leben.<

>Obwohl sie schwanger von einem anderen ist?<, wirft Scarlet ein, wirkt skeptisch, aber ich kann das nicht ganz nachvollziehen. Rein theoretisch schon, aber sie kennt Violet.

>Du kennst doch Violet besser als jeder andre. Sie ist eine wundervolle, liebenswerte und herzensgute, junge Frau. Dass sie Schwanger ist, macht diese ganze Sache nicht leichter, es ist ein wichtiges Thema, das geklärt werden muss, aber kein Hindernis. Ich will mit ihr zusammen sein, sie besser kennen lernen, mit ihr so viel Zeit verbringen wie möglich. Mit und ohne Kind, von mir oder einem anderen. Es geht in erster Linie um sie selbst, nichts anderes.< Scarlet schwimmen Tränen in den Augen und das freut mich. Obwohl ich nicht viel nachgedacht, sondern einfach nur gesagt habe, was mir in den Sinn gekommen ist, war es wohl genau das Richtige.

>Ich brauche einen Moment<, meint sie, drückt Violet ihre Tochter auf den Schoß und geht ins Badezimmer.

>Ich glaube, das war heute alles ein bisschen viel für sie<, meint Violet, versucht gefasst zu wirken, aber ich sehe ihr durchaus an, wie glücklich sie ist. Es ist schön, sie wieder so zu sehen. So entspannt und auch ein bisschen, mit einem kleinen Mädchen auf ihrem Schoß. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass sie eine gute Mutter wäre. Selbstverständlich ist es für uns beide zu früh für Kinder, als Paar und auch, wenn wir keines wären. Ich würde jetzt noch keine Kinder haben wollen, aber im Augenblick haben wir nicht die Möglichkeit, uns ohne Konsequenzen frei dafür oder dagegen zu entscheiden.

>Es ist auch sehr viel auf einmal<, stimme ich ihr zu und wir lächeln uns an. Es ist schön, dass sie hier ist. Mit ein bisschen Glück bleibt sie auch noch eine Weile bei mir, wenn die anderen gegangen sind. Ich hätte sie heute gern noch ein bisschen für mich allein. 

>Entschuldigt die Frage, das ist jetzt vermutlich absolut unpassend, aber ist Scarlet glücklich verheiratet?< Violet und ich starren René überfordert an, Maja gluckst leise. Ich verstehe nicht gleich, was die Frage soll, aber Violet versteht es offenbar sofort. 

Zu 0,05% schwangerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt