43. Kapitel - Violet

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Violet Elaine Craig

Mein Gesicht tut weh, genau wie mein Herz, aber das ist mir egal. Ich kann nicht mehr in meinem Bett liegen und warten. Einfach nichts tun und zusehen, wie die Welt an mir vorbeizieht. Das habe ich schon viel zu lange gemacht.

Den ganzen Samstag über bin ich meinen Eltern aus dem Weg gegangen, habe Tristan und Tina erzählt, dass ich keine Zeit habe. Dass ich lernen muss oder so, ich bin mir gar nicht mehr sicher. In Wahrheit habe ich mir die volle Zeit über den Kopf zerbrochen und langsam halte ich das nicht mehr aus.

Diese ganze Ungewissheit wegen Ash und dazu noch Luca, das ist mir grade einfach zu viel. Mit Luca kann und will ich grade nicht reden, der Embryo kann ebenfalls noch warten, aber mein Herz kann es nicht mehr. Es zerreißt mich einfach, dabei ist nichts passiert. Abgesehen davon, dass ich von ihm geträumt habe. Von einem glücklichen Leben an seiner Seite, das ich niemals haben kann.

>Mach auf<, fordere ich Ash auf, klingle zum dritten Mal. Ich habe keine Lust mehr, ihn in meinem Kopf Herr Lesharo zu nennen, darum tue ich es auch nicht. Es macht sowieso keinen Unterschied.

Tatsächlich öffnet sich die Tür, als ich zum vierten Mal klingeln will und er steht vor mir. Die Haare vom Schlaf zerzaust, einen leichten Abdruck von seinem Kissen auf der Wange und trotzdem raubt sein Anblick mir den Atem. Ich muss das beenden, den allerletzten Schlussstrich ziehen, für uns beide.

>Was machst du hier?<, will er wissen, seine Stimme ist belegt, die Frage klingt ganz sanft und mein Bauch flattert schon wieder.

>Du musst es mir sagen. Mein Kopf hat mir den ganzen Samstag über immer wieder eingetrichtert, dass du mir noch gar nicht gesagt hast, dass ich dir egal bin, dass du vielleicht höchstens kurz für mich geschwärmt hast. Ich habe letzte Nacht schon nicht geschlafen, nach dem Gespräch mit dir und Anton, noch eine Nacht mache ich deswegen nicht durch. Sag mir einfach, dass das alles richtig ist, ich sowieso viel mehr für dich empfinde als du für mich und das war es dann. Ich werde vermutlich noch einen heulkrampf bekommen, aber dann kann ich wenigstens damit abschließen und endlich schlafen.< Ich habe das so schnell runtergerattert, dass ich erst einmal wieder zu Atem kommen muss.

Das alles stimmt. Ich bin hundemüde und kann doch nicht einschlafen. Aus Verzweiflung habe ich mir sogar schon das Schlafmittel von meinem Dad geborgt, aber lange gehalten hat es nicht. Und noch Mal will ich es auch nicht nehmen, wenn ich nicht muss.

Anstatt etwas zu sagen, nimmt er meine Hand, zieht mich nach drinnen. Die Tür fällt ziemlich laut zu, ich zucke deshalb zusammen, dann finde ich mich in seinen Armen wieder, an seine warme Brust gedrückt. Was ich nicht verstehe. Er will doch Abstand halten und mich loswerden. Anton hat das ziemlich deutlich rübergebracht.

>Es tut mir leid, aber ich kann nicht. Du bist mir nicht egal, Violet<, flüstert er dicht an meinem Ohr, eine angenehme Gänsehaut jagt über meinen Körper. >Ich musste schweigen und dich gehen lassen, damit ich dir nicht noch mehr wehtue.< Das klingt wie eine faule Ausrede, was zwar nicht zu ihm passen würde, aber ich will trotzdem, dass er mich loslässt. Ich versuche ihn auch von mir zu schieben, doch er gibt mich nicht frei. Sein Herz unter meinen Händen schlägt ziemlich stark und schnell, ungefähr so wie meins. >Ich mag dich, Violet. Weitaus mehr, als ich sollte.< Meine Augen weiten sich, mein Herz setzt aus. Das hat er nicht wirklich gesagt. Das kann gar nicht sein.

>Ash, ich-<  

>Das ist die Wahrheit<, beteuert er, lockert seine Umarmung, damit er mich ansehen kann. >Ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen und auch nicht meinen Job verlieren, aber es ist mir wichtig, dass du das weißt<, sagt er leise, seine angenehme, tiefe Stimme hallt in meinen Ohren wider. Er mustert mein Gesicht aufmerksam, erwartet offenbar eine Reaktion. Ich würde auch gern etwas dazu sagen, aber mir fehlen die Worte. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Ich kann das auch noch gar nicht begreifen, glaube ich.

Er nutzt mein Schweigen, legt seine Lippen auf meine. Er ist vorsichtig und sanft, sodass ich ihm ausweichen kann, aber das will ich gar nicht. Wenn er mich tatsächlich mag, er mir das sagt und dieses Risiko eingeht, will ich meine Gefühle auch nicht länger verstecken.

Langsam lösen sich meine Hände von seiner Brust, wandern nach oben, bis sie wieder in seinem Nacken liegen, ihn zu mir herunterziehen. So kann ich den Kuss vertiefen, die in mir tobenden Gefühle verstärken und noch viel schöner machen.

Er folgt der Aufforderung, drängt mich leicht zurück, bis mein Rücken sanft gegen die Wand stößt und mir entweicht ein Seufzen. Seine Hände finden meine Taille, er zieht mich an sich und es ist wunderschön. Alles ist einfach perfekt und für eine Sekunde kann ich alles andere um uns herum vergessen.

>Hey<, sagt er sanft, löst den Kuss. Ich will ihn fragen, was los ist, doch da streicht er schon eine Träne von meiner Wange. >Nicht weinen. Es gibt keinen Grund dazu.< Ich will ihm glauben, aber ich weiß, dass es nicht so ist. Wenn wir beide wirklich dasselbe empfinden und den Gefühlen nachgeben wollen, fangen die Probleme grade erst an.

>Wie?< Er lächelt über meine wirklich sehr kurze Frage, fährt mit seinem Daumen die Kontur meiner Unterlippe nach.

>Mit Vertrauen und Zeit. Ich bezweifle, dass sich meine Gefühle für dich ändern werden und ich denke, dir geht es genau so. Wir sollten nicht mehr versuchen sie zu unterdrücken. Es dürfte vollkommen ausreichen, wenn wir lernen sie zu kontrollieren. Es macht nichts, wenn in der Schule jemandem auffällt, dass wir uns gut verstehen, solange niemand zu viel hineininterpretiert<, erklärt er ganz ruhig und sachlich, als wäre das so einfach, wie es klingt. >Und wann immer June einen Babysitter braucht, hast du einen Vorwand hier zu sein. Was in nächster Zeit häufiger passieren wird<, spricht er weiter, dann nähern sich seine Lippen wieder meinen.

>Und wenn-< Er hält inne, sein Atem brennt auf meinen Lippen und ich will den kleinen Abstand überwinden. Wenn ich ihn küsse, kann ich meine Sorgen für einen Moment vergessen und mich ganz auf ihn konzentrieren. Das macht es noch verlockender, meine Lippen wieder auf seine zu legen.

>Niemand wird es herausfinden<, stellt er klar, als wäre es nun ein Gesetzt und unumstößlich, dann küsst er mich wieder und ich lehne mich an ihn, genieße seine Nähe, seine Berührungen.

Ich will, dass alles so leicht wird, wie es klingt. Dass wir uns in der Schule normal verhalten können und alles gut ist, wenn ich hier bin. Mit Emil habe ich tatsächlich einen Vorwand hier her zu kommen, aber ihn auszunutzen, um Ash nahe zu sein, fühlt sich nicht gut an. Mal abgesehen davon, dass Emil durchaus alt genug ist, um zu wissen, was Küsse sind. Wenn er uns so sieht, könnte er das jemandem erzählen. >Violet<, seufzt er meinen Namen, packt meine Hüften etwas fester und meine Gedanken huschen an einen ganz anderen Ort, wo es weniger um Kinder, als viel mehr um ihre Zeugung geht.

>Ash, nicht.< Er hat damit begonnen meinen Hals zu küssen, was mir eine ordentliche Gänsehaut beschert hat und mein Herz höherschlagen lässt. Doch dann sind seine Hände dabei unter mein Shirt gekrochen und dafür ist es auf jeden Fall zu früh.

Vor allem, da ich mir überhaupt nicht vorstellen kann, jemals so weit mit ihm zu gehen. Mein Körper ist nichts Besonderes und er ist ein erwachsener Mann. Er hat schon ganz andere Frauen gesehen, ich bin nur normal.

>Entspann dich<, bittet er mich, tritt einen kleinen Schritt zurück. >Kein Grund rot zu werden<, zieht er mich auf, streicht sanft über meine Wange. >Wenn du dich jemals eingeengt oder bedrängt fühlst, musst du mir das sagen. Ich merke so etwas nicht immer<, gibt er zu, lächelt verlegen. >Schon gar nicht, wenn du mich so küsst.< Eigentlich ist er derjenige, der mich immer wieder küsst und meinen Verstand benebelt, aber ich kann nicht behaupten, dass ich ihn nicht erwidern würde. 

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