28. Kapitel - Ash

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Ash Lesharo

Nachdem ich mich von Kelly und den übrigen Kollegen verabschiedet habe, bin ich nach Hause gegangen und habe geschlagene zwei Stunden lang die Kurzarbeit korrigiert. Alles in meinem Haus erinnert mich an Violet, lenkt mich ab, dabei war sie erst zwei Tage bei mir.

Es ergibt keinen Sinn. Ganze egal wie oft ich darüber nachdenke, es passt einfach nicht zusammen. Was sie sagt und was sie am Ende tut, sind zwei grundverschiedene Dinge. Und wie ich darauf reagiere, ist auch nicht normal für mich. Normalerweise bin ich ein rationaler Mensch, der sich nur ganz selten von Gefühlen beeinflussen lässt. Aber gelenkt haben sie mich noch nie so sehr, wie bei Violet.

>Ash, was machst du denn hier? Seit wann findet man dich überhaupt in einer Bar?< Überrascht sehe ich von meinem Wasserglas auf, finde Anton, meinen besten Freund aus Kindertagen. Wir kennen uns, solange ich denken kann, und ich wollte mich eigentlich bei Gelegenheit bei ihm melden, aber das ist irgendwie untergegangen.

>Ich bin wieder in die Stadt gezogen<, erkläre ich knapp, deute auf einen der drei Stühle an meinem Tisch. >Setz dich.< Er nimmt das Angebot an, setzt sich mir gegenüber an den runden Tisch.

>Wolltest du diese Kleinstadt nicht hinter dir lassen?< Er hat schon Recht. Als ich nach meinem Abschluss hier weggezogen bin, wolle ich nie wieder zurückkommen. Aber mein Denken hat sich seitdem sehr verändert. Alles hat sich seit damals geändert, wenn ich so darüber nachdenke.

>Nach dem Studium wollte ich dann doch wieder an meine alte Schule und ich bereue die Entscheidung nicht. Was ist mit dir? Was treibst du so?< Er wirkt ein wenig skeptisch, richtet seine vom Wind zerzausten, braunen Haare.

>Ich bin nach wie vor der Laufbursche meines Vaters, aber er gibt das Zepter zumindest langsam ab. Er wird die Firma noch leiten bis er umfällt, aber wenigstens darf ich jetzt auch selbst Geschäfte abschließen und Entscheidungen treffen. Bis vor einem Jahr war ich für ihn eigentlich nur ein gut bezahlter Sekretär.< Sein Vater ist in der Immobilen Branche unterwegs, renoviert und verkauft Häuser im Umkreis, aber auch manche Ferienhäuser im Ausland. Anton hat Architektur studiert und wollte die Firma danach eigentlich direkt übernehmen, was für jeden auch klar war, aber sein Vater lässt sein Lebenswerk wohl nicht los. Obwohl er schon sehr lange gesundheitlich angeschlagen ist, lebt er weiter seinen Beruf.

>Also alles beim Alten, schätze ich?< Er nickt, hebt die Schultern.

>Du weißt, ich bin nicht so spontan, im Gegensatz zu dir. Hat sich eigentlich deine Einstellung zu Jennifer geändert? Gina beschwert sich immer noch, dass sie pausenlos über dich redet, dabei ist sie mittlerweile sogar verheiratet.< Gina ist seine Freundin, vielleicht auch schon seine Frau, wir hatten in den letzten zwei Jahren kaum Kontakt. Gina und Jennifer waren immer gut befreundet und sind es heute noch, was ich nicht nachvollziehen kann. Die beiden sind wie Tag und Nacht.

>Nein, Jennifer ist und bleibt Vergangenheit.< Er schmunzelt, mustert mich eingehend. Er hatte immer einen guten Riecher für Dinge, die ich ihm nicht sagen wollte und ich bete schon, dass er mich nicht auf etwas anspricht, das ich verschweigen möchte, da kommt eine Kellnerin zu uns an den Tisch.

>Was kann ich dir bringen?<, will sie wissen, richtet sich an Anton, denn mein Glas ist noch fast voll.

>Den besten Whisky, den ihr habt. Am besten gleich einen doppelten<, bestellt er und lächelt die Kellnerin auch freundlich an, doch als sie wieder geht, liegt sein Blick auf mir. Und ich weiß schon bevor er seinen Mund öffnet, dass ich nicht hören will, was er sagt.

>Und, wer ist die Glückliche?< Natürlich hat er den Nagel auf den Kopf getroffen. Es heißt immer, dass Frauen einen guten Riecher haben und so etwas spüren, aber Anton steht keiner Frau der Welt in so etwas nach.

>Es gibt keine.< Es ist schon schlimm genug, dass er mir das anmerkt. Dass irgendetwas an mir verrät, dass es eine Frau in meinem Leben gibt, die mir etwas bedeutet. Niemand darf erfahren, wer sie ist. Auch er nicht.

Er hebt eine Braue, mustert mich noch einen Moment lang, dann stellt ihm die Kellnerin seinen Whisky hin. Sie lenkt ihn damit erfolgreich ab, verwickelt ihn auch in ein kurzes Gespräch, bis er bezahlt hat, aber es hilft mir nicht. Mehr als ein paar Sekunden Zeit habe ich dadurch nicht gewonnen.

>Ash, komm schon. Wir sind seit über zwanzig Jahren befreundet und ich habe dir immer alles erzählt. Du warst nie so offen wie ich, aber wenn ich nur fünf Sekunden brauche, um dir nach über zwei Jahren Sendepause anzusehen, dass du verliebt bist, will ich auch wissen wer sie ist.< Mein erster Gedanke ist, dass ich nicht verliebt bin und ich will ihm widersprechen, aber ich kann nicht. Schon mein zweiter Gedanke ist, dass es vermutlich eine Lüge wäre. Ich kann unmöglich sagen, ob „verliebt" das richtige Wort ist, aber verknallt bin ich wohl wirklich. Sonst wäre sehr viel in den letzten Tagen ganz anders gelaufen. Vor allem der Kuss im Schwimmbad. Wobei ich genau daran jetzt nicht denken sollte.

>Ich will nur nicht darüber reden, weil nichts zwischen uns läuft, also gibt es auch nichts zu erzählen.< Das ist durchaus wahr, also die erste Hälfte. Erzählen könnte ich viel, aber das geht nicht. Ich will meinen Job behalten und Violet hat auch so schon genug Probleme.

Er seufzt, nippt an seinem Whisky, lässt mich dabei aber nicht aus den Augen. Am liebsten würde ich das Thema wechseln, aber dann fragt er nur noch mehr nach. Er kennt mich und weiß, dass ich nur dann das Thema wechsle, wenn es doch etwas zu erzählen oder zumindest ein Geheimnis gibt.

>Ist sie verheiratet, verlobt oder hat Kinder mit einem anderen?< Es nervt mich, dass er schon durch meine Ausflüchte irgendwie erraten hat, dass sie nicht einfach nur uninteressiert ist. Das hätte zumindest jeder andere aus meinen Worten geschlossen. Anton dagegen weiß offenbar auch gleich, dass es eine komplizierte Geschichte ist.

>So ähnlich.< Er schüttelt lachend den Kopf, lehnt sich bequem zurück und ich nehme einen Schluck von meinem Wasser, versuche einen Weg zu finden, das Gespräch in irgendeine andere Richtung zu lenken.

>Du und Frauen<, meint er, hebt sein Glas. >Dann bohre ich nicht weiter, aber wir stoßen auf sie an. Sich dein Herz zu stehlen ist nicht leicht, das weiß ich aus Erfahrung.< Er zwinkert mir zu, spielt wohl darauf an, dass ich Jennifer über ein halbes Jahr lang habe zappeln lassen, bevor ich mich auf eine Beziehung eingelassen habe.

>In Ordnung.< Er grinst breit, dann stoßen wir an und jeder nimmt einen großen Schluck. Womit er mich dann selbst vor seinen Fragen gerettet hat und ich werde mein Bestes geben, ihn mit den nächsten Themen ganz weit weg von Liebe und Beziehungen zu lenken.

Vielleicht sollte ich es ihm aber auch sagen. Diesem Gedanken folgen innere Flüche und sogar ein schwaches Kopfschütteln. Ich weiß, dass ich ihm vertrauen kann. Er würde niemandem etwas sagen, es für sich behalten, aber ich weiß auch, was er denken würde.

Ich kann praktisch vor mir sehen, wie er auf mich einredet und mich an meinen Traum erinnert. Wie er mir ganz deutlich macht, was passiert, wenn das jemals rauskommt. Wenn nur eine falsche Person davon erfährt, dass Violet und ich etwas aneinander finden, verliere ich alles, nicht nur meinen Job an dieser Schule, davon bin ich überzeugt. 

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