𝟔𝟐. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Ich war nervös. Das war mir schon wirklich lange nicht mehr passiert. Meine Nervosität war nicht mehr so schlimm wie vor einem halben Jahr noch und ich hatte während und auch nach der Zeit in Adams Industries gelernt, mit meiner Nervosität umzugehen.  Aber heute, nein, gerade in dem Moment schien es so, als würde die Panik mich einnehmen und nichts mehr von mir zurücklassen. Ich spielte mit meiner goldenen Uhr, mein Herz pochte und ich hatte das Gefühl, Molly und Mary konnten es hören und ich fühlte mich, als würde ich nicht mehr atmen können. Es gab keinen Grund für mich so maßlos zu übertreiben, denn es war eine Hochzeit und nur weil ich Leo sehen würde, hieß es nicht, dass ich mit ihm reden würde, geschweige denn von ihm beachtet werden würde. Aber wollte ich das? Wollte ich von ihm beachtet werden? Wie zum Teufel fühlte ich mich? 

Ich wusste nicht wie ich mich fühlte, oder mich fühlen sollte, als wir durch das große Tor schritten und auf die Halle zugingen. Es standen mehrere Security Männer am Tor und nickten uns zu. Ich wollte gar nicht wissen, wie rot ich unter dem Make Up gewesen bin, dass Molly mir aufgetragen hatte. Ich glühte regelrecht, als wir am Empfang ankamen und uns zwei nette junge Frauen anlächelten.

 »Verraten Sie uns bitte Ihre Namen?«, die Brünette funkelte mich mit ihren braunen Augen an und ich vergaß für einen Moment zu antworten. Braune, eindringliche Augen. Ein markantes Gesicht. Ein charmantes Lächeln. Und eine fremde Frau in seinen Armen. All dies traf wie eine Wucht auf mich ein. Dort stand er. Und seine Augen trafen plötzlich meine. Sein Anzug sah an ihm wie immer perfekt aus und auch die Frau, um die er seinen Arm gelegt hatte, sah aus wie eine Göttin. Natürlich sah sie gut aus, schließlich hatte Leo einen guten Geschmack gehabt. Aber ich glaubte zu merken, wie mein Herz zum zweiten Mal in kurzer Zeit brach. Ich wusste, dass sein Blick auf mir lag und ich wusste auch, dass er jeden einzelnen Millimeter an mir einzustudieren schien. So als hätte auch er nur darauf gewartet, mich wiederzusehen. Aber das hatte er nicht getan. Ich wollte, dass Leo hier stand, auf mich wartete, sich entschuldigte und mir seine Liebe gestand, aber das würde er nicht. Denn er hatte eine andere Frau in seinen Armen. Die junge Frau neben ihm war blond, dünn, hatte lange Beine und sah aus wie die kanadische Gigi Hadid. Ich ertrug diesen Anblick nicht. Ich wusste, es war eine schlechte Idee herzukommen. 

»Ava Maria Johnson und Begleitung«, antwortete meine beste Freundin für mich und stieß mir unauffällig in die Seite um mich aufzuwecken. Doch ich wollte am liebsten Schlafen und das für eine lange, lange Zeit. »Herzlich Willkommen Ms. Johnson«, sagte die andere Dame nach einer kurzen Pause und stand auf, um uns an unseren Tisch zu führen. Die Halle war eine Pracht und die Tische mit goldener Dekoration beschmückt. Überall standen frische, weiße Rosen und der ganze Raum roch förmlich nach frischen Blumen. Aber in mir war es nicht so rosig, wie es hier aussah. In mir wurde es innerhalb ein paar Minuten düster. 

»Ava und ich verschwinden kurz aufs Klo. Ihr Eyeliner ist verschmiert«, murmelte Molly zu Mary und Alex und schnappte sich meine etwas zittrige Hand um mich hinter sich her zu ziehen. Ich wusste nicht, was in mir vorging. Ich wusste nur, dass ich noch Gefühle für Leo hatte und mich dieser Anblick gekränkt hatte. Dass ich den ganzen Abend am Liebsten versteckt verbracht und geweint hätte. »So ein Vollidiot«, knurrte Molly als wir endlich im WC ankamen und sie sich ihren Eyeliner schnappte. »Ich fasse das nicht«, fuhr sie genervt fort und schaute in meine verletzten Augen. Ich war den Tränen nahe. 

»Wehe dir du weinst. Wenn du jetzt weinst ist dein ganzes Make Up kaputt. Ava, nein«, sie wurde etwas ruhiger und umarmte mich nach ein paar Sekunden in denen ich nichts sage. »Wenn du zuhause bist schauen wir uns wieder einen Liebsfilm an, ich besorge uns Eis und alles was du willst, und dann kannst du weinen. Aber jetzt, hier, wirst du ihm zeigen wie stark du bist und wie herzlich wenig dich seine neue, blöde..« Molly hielt kurz an, um sie nicht loszubeleidigen. »interessiert. Guck mich an«

Ich schaute zu ihr hoch und schluckte den aufkommenden Kloß in meinem Hals herunter. Sie hatte recht. Ich durfte jetzt auf gar keinen Fall losweinen und Schwäche zeigen. »Du bist stark Ava.« Molly kümmerte sich in den nächsten zwei Minuten um meinen Eyeliner, der sich wirklich etwas verschmiert hatte und schaute zufrieden in mein Gesicht. In dem Moment öffnete sich die Tür und jemand betrat das WC. 

»Was für eine Überraschung«, murmelte die Frauenstimme und ich erkannte durch den Spiegel, wer sich zu uns gesellte und sich den Lippenstift nachzog. 

»Dich hätte ich ja wirklich am wenigsten erwartet« fügte Sabrina hinzu und etwas ungläubig starrte ich durch den Spiegel in ihr genervtes Gesicht. »Sabrina. Nett dich wiederzusehen«, murmelte ich und Molly seufzte. Ich hatte ihr von Sabrina und ihren blöden Kommentaren erzählt und sie konnte Sabrina genau so wenig leiden wie ich. 

Sabrina kontrollierte ihr make Up und schaute dann zu mir. Für einen Moment schien sie meinen Blick zu deuten und auch ich erkannte etwas in ihrem Gesicht. Etwas.. schmerzhaftes? Hatte sie gemerkt, dass ich angespannt war? Verletzt war? Wegen der neuen Frau an Leos Seite?

»Leah«, Sabrina schaute noch ein letztes Mal in den Spiegel, bevor sie wieder zum Gehen ansetze. ja sie hatte es gemerkt, denn sonst würde sie den Namen der neuen, fremden Frau von Leo nicht erwähnen. Der Name wurde ohne Kontext von Sabrina in den Raum geworfen, doch ich wusste sofort, wer diesen Namen trug.  »Sie heißt Leah und wir beide haben verloren«

Sabrina verließ geknickt das Bad und ich blieb mit Molly und meiner Traurigkeit zurück. »Ich will nur noch hier weg Molly«, ich seufzte und meine beste Freundin schaute mich verständnisvoll an. »Lass uns zu Mary und Alex. Es geht gleich los. Es tut mir leid Ava«, sie drückte kurz meine Schulter und ich nickte, unterdrückte meine aufkommenden Tränen und ging mit ihr zurück an unseren Platz. Die Lichter wurden etwas dunkler und ich wusste, in kurzer Zeit würde das Brautpaar den Saal betreten. Alle freuten sich, als die Musik begann und schauten in die Richtung des Eingangs oder zückten ihre Handys um Lia in ihrem hübschen Brautkleid zu filmen. Nur ich blickte in die eindringlichen braunen Augen, die mir heute ein weiteres Mal das Herz gebrochen hatte. Und Leo blickte auch in meine. 


the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt