𝟑𝟖. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

16.4K 511 7
                                    

»Und sie ist einfach weg gewesen?« 

Lias Augen hatten das Funkeln verloren und ich nickte schwerenherzens. Ich unterhielt mich schon über Stunden mit Lia und wir hatten uns einige Dinge erzählt. Als sie nach meiner Mutter fragte, musste ich ihr eine Antwort geben, so schwer mir diese auch fiel. »Drei Tage zuvor hatten wir noch meinen Geburtstag zusammen gefeiert, alle waren glücklich und ich war dankbar. Und danach ist sie einfach weg gewesen. Sie hat meinen Vater für einen Jüngeren verlassen. Sie war einfach weg« Zum Ende des Satzes hin wurde ich immer leiser, während die Wut in mir aufstieg. Ich hatte noch nie verstanden, wie meine Mutter so einen gutherzigen Mann verlassen konnte. Sie hatte uns nicht nur alleine gelassen, sondern auch mein Verhältnis zu ihm endgültig zerstört. Er konnte mich kaum ansehen, ohne sie dabei zu erkennen. Ich war ihr viel zu ähnlich.

»Ava, das tut mir echt leid für deinen Vater und dich«, sie seufzte und ich bemerkte ihren bemitleidenden Blick. Genau das wollte ich vermeiden. Ich wollte kein Mitleid für das, was meine Mutter uns angetan hatte. Ich wollte den Gedanken an meine Mutter verdrängen, denn er verschwendete meine Zeit.

»Nein, nein das braucht es nicht. Seine Frau Mary ist eine viel bessere Mutter. Und sie ist schwanger.«, erklärte ich und lächelte bei diesem Gedanken. Auch Mary vermisste ich und nachdem sie es geschafft hatte, mich am Samstag so zu beruhigen, war sie mir irgendwie noch mehr an mein Herz gewachsen. Ich hätte niemals gedacht, dass Mary mir so wichtig werden würde. Und ich freute mich definitiv auf das Kind. Ich hoffte nur, auch mein Vater würde sich freuen.

»Wie schön, herzlichen Glückwunsch. Ich will unbedingt Kinder, Ava.«, gab sie träumend wieder und ich lächelte sie an. Nachdem sie diesen Satz ausgesprochen hatte funkelten ihre schönen, braunen Augen. »Leo und ich sind auch nicht besonders gut aufgewachsen. Unsere Eltern versuchten uns natürlich immer zu geben, was wir brauchten, aber sie stritten viel. Als wir beide elf waren, trennten sie sich. Ich musste zu meiner Mutter, während Leo zu unserem Vater zog. Ganze fünf Jahre durften wir uns nicht wirklich sehen. Das war die schlimmste Zeit meines Lebens. Leo ist nicht nur mein Zwillingsbruder, sondern mein bester Freund und der wurde mir von heute auf morgen einfach weggenommen.«, erklärte sie etwas trauriger und ich nickte verständnisvoll. Ich hatte zwar nie vor Alex Geschwister gehabt, doch konnte mir vorstellen, wie schmerzhaft das gewesen sein musste. 

»Das ist schrecklich.«, murmelte ich. Leo und Lia hatten es also genau so schwer wie ich. Ich hatte instinktiv das Gefühl, als wäre ich dem Versuch, Leo zu entschlüsseln, einen Schritt näher.

»Ich will es als Mutter besser machen. Ich würde niemals wollen, dass mein Kind weinend einschlafen muss. So wie Leo und ich damals« Sie zwang sich ein Lächeln auf und ich dachte über ihre Worte nach. War das vielleicht der Grund, weshalb Leo keine Kinder wollte? Weil er selbst keine schöne Kindheit hatte und von Lia getrennt leben musste? Weil er Angst hatte?

»Du wirst eine hervorragende Mutter. Du bist ein guter Mensch, Lia. Und ich bin dir unendlich dankbar dafür, dass du mir diese ganze Woche lang geholfen hast. Du warst sofort so.. nett zu mir.« Sie lächelte, schwamm auf mich zu und umarmte mich fest. Etwas verdutzt erwiderte ich ihre Umarmung und genoß es, eine Freundin hier zu haben und mich nicht so alleine fühlen zu müssen.

»Schade das du nicht länger bleibst, aber ich hoffe du fängst nach deinem Abschluss an bei uns zu arbeiten, wann ist der?«, fragte sie und ich selbst stimmte ihrer Hoffnung zu. Ich wollte definitiv dort anfangen zu arbeiten. Mich hinderte nur meine Liebe zu Leo. Liebe. Ich sprach schon von Liebe. Wie dämlich. 

Instinktiv dachte ich an meine Abschlussprüfungen welche in drei Monaten sein würden, wusste jedoch, dass Mrs. Brown mir dieses Praktikum nicht um sonst ermöglicht hatte. Sie und ich wussten genau, dass ich mein Abschluss schaffen würde, auch wenn ich zwei Wochen fehlte. Am Donnerstag würde ich mir die Arbeitsblätter, welche Molly mit mitgebracht hatte, genau unter die Lupe nehmen und mir die Zeit nehmen, um sie genau zu bearbeiten und meine verlorene Zeit nachzuholen. Trotzdem hatte ich etwas Angst.

»In drei Monaten.«, erwiderte ich und aufmunternd nickte sie. »Das schaffst du mit nichts. Und dann kommst du gefälligst zu uns, klar?«

Ich musste lachen. 

»Hier seid ihr«, ertönte es hinter uns und Lia sprang aufgeregt aus dem Wasser und umarmte ihren Freund, welcher erschüttert versuchte, sie loszuwerden, da sie ihn komplett nass gemacht hatte. Ich lachte auf und stellte mir vor, irgendwann auch so eine schöne Beziehung zu führen. So eine gesunde, ehrliche Beziehung die den Menschen nicht zerstörte, sondern mit Liebe ergänzte. 

»Oh man, Schatz. Super.« Motzte er und Lia lachte auf. »Ich gehe schlafen, kommst du mit?«, fragte er und Lia schaute zu mir. »Ja, wir müssen morgen sehr früh raus. Du solltest auch schlafen Kleine«, sagte sie, ehe sie sich ihr Handtuch packte und mit ihrem Freund verschwand. Ich winkte ihr zu und lehnte mich mit geschlossenen Augen gegen den Poolrand. Ich entspannte und das lauwarme Wasser wärmte meinen Körper, während es draußen schon merklich kälter gewesen ist.

»Ava?« Seine dunkle Stimme löste eine Gänsehaut auf meinem ganzen Körper aus und ich hatte mich etwas erschrocken. Ich wirbelte herum und sah Leo, wie er direkt hinter mir stand. Ich stützte mich am Rand des Pools ab und schaute zu ihm hoch. Er schien zu schmunzeln und sein Blick glitt direkt über meinen Körper. Er selbst war nur mit einer Badehose gekleidet und ich würde normalerweise über seine Pracht staunen, aber ich drehte mich etwas verärgert herum und gab ihm keine Antwort.

Von der Seite sah ich, wie er in den Pool stieg und Lias vorherigen Platz einnahm. Er befand sich also genau gegenüber von mir und zwang mich förmlich dazu, ihn anzuschauen. Denn er selbst ließ seinen Blick keine Sekunde von mir ab.

»Du bist sauer«, bemerkte er und entgeistert musterte ich ihn. Natürlich war ich das?

»Ja, Ja Leo das bin ich.«, antwortete ich und musterte seine breiten Schultern, sein markantes, wunderschönes Gesicht und schließlich fanden meine Augen wiedermal seine. »Du hättest etwas zu Sabrina sagen können. Sie hatte unrecht«, fügte ich hinzu und seufzte. Ich hatte vielleicht etwas zu ihrem Vater gesagt, was ich nicht hätte sagen dürfen, aber sie hatte mich niedermachen wollen. Und er saß seelenruhig daneben und schlürfte an seinenm Wein.

»Ava, was hätte ich denn bitte zu Sabrina sagen sollen?« Nachdem er seine Antwort gegeben hatte, stand ich auf und meine Beine fanden wieder festen Boden. Ich wollte mir nicht länger anhören, was er mir zu sagen hatte. »Vielleicht, dass sie unrecht hatte. Dass sie aufhören soll, mich vor allen zu demütigen? Du hättest viel zu ihr sagen können, Leo. Stattdessen hast du nichts gesagt. Du hast mich nicht in Schutz genommen und das ist nicht richtig.«

Ich schwamm in die andere Richtung, um aus den Pool zu klettern. 

»Jetzt bleib doch hier. Lauf nicht immer weg wenn ich mit dir reden will.« Er schien nun verärgert zu sein und ich drehte mich zu Leo. »Ich laufe doch nicht vor dir weg, ich will schlicht und einfach nicht mit dir reden«, erwiderte ich nun etwas gereizt und schaute ihn an, da er genau so wütend schien wie ich. Zwischen uns war nicht diese lustvolle, schöne Anziehung zu finden, zwischen uns herrschte eine angespannte und streitlustige Atmosphäre.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt