𝟒𝟕. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Ich hatte nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war. Ich wusste nur, dass es draußen schon dunkel gewesen ist und ich im Laufe des Tages mein Zimmer nicht einmal verlassen hatte. Zu sehr quälten mich meine Gedanken und brachten meinen Kopf zum explodieren. Ich blieb stumm weinend in meinem Bett liegen und versuchte mir die Ereignisse der letzten Tage zu erklären, doch kam auf keine Lösung. Mein Leben war komplett auf den Kopf gestellt und ich versuchte zu verstehen, weshalb diese ganzen Dinge passierten. Ich fand keine logische Erklärung und akzeptieren konnte ich mein Leben so wie es in diesem Moment war auch nicht. 

Ich schreckte kurz zusammen, als es an meiner Tür klopfte und wischte mir schleunigst die Tränen mit meinem Ärmel weg. Ich wusste, dass ich von dem ganzen Weinen schon rote Augen haben musste, doch diese Tatsache konnte ich in diesem Moment leider nicht ändern. Es war mir egal. 

Mary spazierte in mein Zimmer und betätigte zuallererst den Lichtschalter, wodurch es wieder hell in meinem Zimmer gewesen ist. Denn ein Blick auf mein Handy, welches neben mir lag bestätigte mir, dass es schon spät Abends gewesen ist und ich den ganzen Tag damit verbracht hatte, weinend in meinem Bett zu liegen.

»Hey Liebes«, ertönte ihre sanfte Stimme und brachte mich dazu, mich aufzusetzen. Das gelang mir nicht sofort, da ich im ersten Moment viel zu verwirrt gewesen bin. Doch schließlich kam ich zu mir und blickte in ihre besorgten Augen, während sie sich neben mir auf meinem Bett niederließ. Ich konnte die Tränen, welche gerade noch meine Wange heruntertropften, leider nicht vertuschen, egal wie oft ich mir gerade mit meiner kalten Hand durch mein Gesicht wischte. Mary brauchte nur einen einzigen Blick um zu registrieren, dass ich weinte und um zu verstehen, wie schlimm es gerade meiner Psyche ging.

»Ich habe es mitbekommen«, sprach sie nun in die Stille hinein, da weder ich noch sie genau wussten, was wir sagen sollten. Es schien für beide schwer die richtigen Worte zu finden. Doch meine Gedanken, welche in meinem Kopf herumflogen und mir dermaßen Kopfschmerzen bereiteten, konnte ich nicht für mich behalten. Ich brauchte nicht nur Marys Rat, ich brauchte ihren Beistand.

»Habe ich falsch reagiert?«, fragte ich und schniefte, um mir die weiteren Tränen in meinen Augenlidern zurückzuhalten. »Habe ich übertrieben?«, hakte ich nachträglich nach und versuchte die Situation in meinem Kopf in eine Struktur zu bringen, konnte es jedoch einfach nicht. Für mich schien diese Situation ausweglos, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass meine beste Freundin mit meinem Stiefbruder zusammengesessen ist. Sondern weil meine beste Freundin mich mehr als nur belogen hatte. So etwas hatte ich noch nie erlebt und ich wollte wissen, ob ich korrekt gehandelt hatte. 

»Sei nicht allzu sauer auf die beiden« sie seufzte und zog mit ihrer Antwort meine Aufmerksamkeit auf sich. Etwas perplex musterte ich meine Stiefmutter, welche nun auf ihre Hände schaute um eine beruhigende Antwort zu finden.

»Mary, wusstest du davon?« Meine Augen glitten über ihre Gesichtszüge, damit ich genau sehen konnte, wie sie auf meine Frage reagieren würde. Und tatsächlich bewahrheitete sich meine Befürchtung, denn sie schloss kurz ihre Augen um in Ruhe Luft zu nehmen.

»Ich wusste es nicht sicher, ich hatte nur so eine Vorahnung. Ich denke sie hatten Angst, Ava«, erwiderte Mary und ich nickte, da ich mich nicht nur schlimmer fühlte, sondern noch betrogener. »Hey, es tut mir leid und ich bin mir sicher, dass es ihnen genau so leid tut. Molly würde dich doch niemals absichtlich verletzen«, sprach sie ruhig auf mich ein und ich dachte über ihre Worte nach. Natürlich würde mich Molly niemals absichtlich verletzen, aber das bedeutete nicht, dass sie es nicht schon längst getan hatte. Ob gewollt oder ungewollt, sie hatte mich angelogen und mir eine wichtige Sache verheimlicht, die erst jetzt Sinn in meinem Kopf machte. Weshalb sie letztes Mal zusammen an der Tür klingelten, weshalb Molly nach meinem Interview hier wartete. Sie wartete war nicht auf mich, da sie mit Alex beschäftigt gewesen ist. Alles schien nun Sinn in meinem Kopf zu machen und ich verstand mehr als vorher. 

»Ich mache Niemandem Vorwürfe, ich bin doch auf Niemanden sauer. Wieso lügt mich denn jeder an?«, fragte ich verzweifelt und gleichzeitig weinend. Mir kamen schon wider die Tränen. Diese Frage stellte ich weniger Mary sondern eher mir selbst. Erst Leo, welcher mir etwas vormachte und so tat als würde er mich mögen und jetzt auch noch meine beste Freundin Molly. 

»Jeder?«

Verblüfft schaute Mary auf mein aufgelöstes Gesicht und legte mir beruhigend und vorsichtig ihre Hand an meine Schulter, weswegen ich sie anschaute. Ich war nichts mehr als ein einziges Wrack, weil ich nicht einordnen konnte, weshalb jeder es vorzog mich anzulügen. Molly hatte nichts großartig schlimmes gemacht, sie hat keine Drogen genommen und umgebracht hat sie auch keinen, doch ich nahm dieses Lügen ernst. Ich nahm es ernst, weil sie es noch nie mit so einem Ausmaß getan hatte. Natürlich würde ich die Beziehung zwischen Alex und Molly anfangs komisch finden, schließlich hatte ich kaum bis keine Bindung zu meinem Stiefbruder, obwohl ich mir eine wünschte. Ich kannte ihn nur genervt oder böse. Ich konnte mir demnach also nicht vorstellen, dass sie glücklich mit ihm sein konnte, aber ich würde ihr doch niemals vorenthalten glücklich zu sein, wenn sie es wirklich mit ihm sein würde. Und wenn sie es mit ihm gewesen ist, dann noch weniger. Also wieso log sie mich an? Sie ist doch Diejenige gewesen, die mich am besten kannte und wusste, dass ich ihr so etwas niemals Übel nehmen würde. Ich würde sie immer unterstützen und ihr helfen wo ich nur konnte, denn ich war ihre beste Freundin. Wieso also verheimlichte sie mir ihre Beziehung? Wieso wollte sie mich lieber anlügen, als mir die Wahrheit zu erzählen? 

»Ist nicht weiter wichtig. Ich möchte schlafen«, murmelte ich, wischte mir ein letztes Mal meine Tränen weg und legte mich wieder hin. Ich hatte keine Kraft dazu, um mich mit Mary darüber zu unterhalten, dass ich mich auf keine gesegnete Beziehung eingelassen hatte. Ich wollte nicht aussprechen, was mir so tief in meinem Magen lag und mich plagte, weil ich selbst im Endeffekt schuld war. Ich war schuld daran gewesen, dass ich mich auf Leo eingelassen hatte und mir einbildete, er würde mich aufrichtig lieben. 

»Ich bin für dich da, Ava. Und ich hoffe, dass weisst du auch«, merkte sie an und schaute zu mir. Sie atmete durch, als würde sie meine Traurigkeit selbst traurig machen.

»Und es wird alles wieder gut, hörst du?«, fragte sie, stand auf und beließ es bei der Sache. Sie wusste, dass sie keine Antwort erhalten würde. Ich bemerkte zwar, wie sie noch ein paar Sekunden vor meinem Bett stehenblieb und mich bemitleidend musterte. Danach jedoch ging sie. Ich wusste auch, dass alles wieder gut werden würde - ich wusste nur nicht wann.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt