𝟐𝟑. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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»Ich lasse dich jetzt alleine, bist du dir sicher, dass du mir nicht umkippst bis er kommt, Dornröschen?«, hakte Molly unsicher nach und ich lachte auf, da der Alkohol in meinem Körper mich irgendwie total aufgelockert hatte. Als wir noch einmal zu den Mädels gingen, nahm ich mir noch ein Glas und versuchte verzweifelt, meine Nervosität wegzutrinken.

Normalerweise würde ich vor Aufregung gerade platzen und das vor Allem, weil ich gleich vor dem Mann stehen würde, der mir meinen Verstand raubte und mich die ganze Woche lang in meinen Gedanken verfolgte. Aber ich war ruhig, ich war sogar tiefenentspannt und erfreute mich an der Tatsache, dass ich ihn sehen würde. Ich trank noch einen Schluck.

Irgendwo hatte Molly ja schon recht, ich war ein Mauerblümchen. Nicht nur das. Ich war brav und ich machte mich nie so hübsch, wie ich es heute getan hatte. Vielleicht würde ihm mein Auftreten ja gefallen. Vielleicht würde ihm sogar mein Kleid gefallen? Und was er mir wohl sagen wollte?

»Jaja schon gut«, gab ich sicher von mir und mit einer kurzen Umarmung verabschiedete sie sich von mir. Sie hatte mir mein Glas aus der Hand genommen.

Ich stand also draußen alleine in der Kälte und wartete auf jemanden, den ich geküsst hatte, den ich jedoch normalerweise nicht küssen durfte. Schon wieder versuchte ich meine Gedanken zu ordnen aber vergeblich, schon wieder konnte ich diese ganze Verwirrung in meinem Gehirn nicht strukturieren. Ich verstand nicht wieso ich mich so zu ihm hingezogen fühlte. Ich verstand auch nicht wieso er mich küsste und mich jetzt abholen wollte. Auch nicht, wieso ich gerade nicht nervös war und mich traute, Alkohol zu trinken. Leo veränderte meine Art. Leo ließ mich unartig werden und ich wollte es nicht zugeben, aber es gefiel mir.

Als ein schwarzer Mercedes anhielt überlegte ich mir kurz, ob das wohl Leo war. Mir fiel auf, dass ich sein Auto gar nicht kannte. Doch überraschenderweise bemerkte ich, dass ein anderes bekanntes Gesicht aus dem Auto stieg. Ein Lächeln umschlich mein Gesicht.

»Andrew!«, rief ich freudig. Es war wirklich nicht meine Art so freudig und aufgeregt seinen Namenzu rufen, sodass mich alle Nachbarn vermutlich hören konnten, doch ich merkte, dass es ihm nichts ausmachte. Ganz im Gegenteil, er war erfreut von meiner Geste. Schnell ging ich auf ihn zu, während er mir die Hintertür aufhielt. Freudig stieg ich hinein und schaute mich um. Innerhalb des Autos war es wirklich groß. Größer als ich erwartet hatte. Und als ich sah, dass ich alleine war, schaute ich verwirrt nach vorne, wo Andrew gerade einstieg.

»Mr. Adams erwartet Sie bei sich zuhause.« Er hatte meinen verdutzen Blick wohl bemerkt, denn er informierte mich über Leos Vorhaben, ohne, dass ich fragte.

Nickend versuchte ich zu verinnerlichen, dass ich, Ava Johnson, zu Leo Adams nach Hause fahren würde. Intuitiv stellte ich mir sein Haus vor. Es war bestimmt abseits von Toronto, oder es war irgendwo, wo keine weiteren Häuser stehen würden. Und es musste verdammt riesig sein. Mit Säulen und einer riesigen Eingangshalle.

Ich erkannte eine grüne Flasche und hatte auf einmal das Bedürfnis, wieder etwas zu trinken. Die Tatsache, dass ich Leo in seinem Haus besuchen würde jagte mir nicht nur Angst ein, sondern ließ meinen Mund staubtrocken werden. Ich brauchte Flüssigkeit.

Ich schnappte mir die kalte Flasche und las was genau auf dieser stand. Moet. Ich wusste, dass Sekt nicht gut schmeckte. Ich trank immer welchen, wenn Mary oder Dad ihren Geburtstag feierten. Doch trotzdem nahm ich mir ein Sektglas, welches ich komplett volllaufen ließ.

»Ava, sind Sie sich sicher, dass Sie das trinken wollen?«, fragte Andrew mich mit erhobener Augenbraue und nickend kippte ich den ersten Schluck meine Kehle hinunter. Er beobachtete mich durch den Rückspiegel.

»Ja«, antwortete ich knapp und stellte fest, dass Sekt mir immer noch nicht schmeckte. Meine Füße taten plötzlich weh und ich fühlte mich eingequetscht in Mollys Kleid.

Wieder einmal schoss mir der Gedanke durch den Kopf, was Leo mir wohl sagen wollte. Ich meine, der Kuss sagte irgendwie schon alles aus. Er war so schön gewesen, so ehrlich und voller Verlangen. Mit diesem Kuss hatte er Gefühle in mir erweckt, die bisher versteckt geblieben sind. Ich wollte noch weiter darüber nachdenken, doch er hielt zu schnell an, während ich unerwartet nach vorne kippte und beinahe das Glas fallen ließ, weil ich vergessen hatte mich anzuschnallen. Eigentlich passierte mir sowas nie, es gab nichts Wichtigeres im Auto als den Sicherheitsgurt. Doch meine Gedanken waren von dem Alkohol und Leo benebelt. Ich musste innerlich lachen als ich bemerke, dass Leo eine ähnliche Auswirkung auf mich hatte, wie der Alkohol.

Als ich ausstieg, musste ich mich erstmal festhalten und mich orientieren. Ich hielt mein Glas noch fester in meiner Hand und schaute zu dem mir nur allzu bekannten Gebäude hoch. Wieso waren wir bei der Firma? Bildete ich mir das nur ein? Hatte ich zu viel getrunken?

»Folgen Sie mir bitte, Ava.«, bat mich Andrew und nachdem ich einen kleinen Schluck meines Sektes trank ging ich ihm hinterher. Es war komisch bei Nacht im Unternehmen zu sein, welches wie leergefegt war. Die Lichter waren aus und die einzigen Personen in diesem Gebäude sind Andrew und ich gewesen. Ein Platz, der tagsüber voller glücklich arbeitenden Menschen gewesen ist, war bei Nacht leer. Kein einziges Geräusch erklang. Stille. Als wir beim Lift ankamen, fuchtelte Andrew an seinem Handy herum und es ertönte ein lautes Piepen.

Er begründete dies, als er ebenfalls endlich in den Lift kam, mit dem Wort Alarmanlage und ich verstand was er meinte. Instinktiv fragte ich mich, was wohl passieren würde, wenn jemand hier einbrach. War das wohl schon einmal passiert?

Erst im Lift bemerkte ich, wie meine Beine zitterten. Ich hatte mit dem Alkohol versucht zu verdrängen, wie nervös ich wirklich gewesen bin, aber ich scheiterte. Ich konnte meine Angst und meine Panik vor Leo nicht vergessen oder loswerden, sie wurde nur schlimmer, je mehr ich es versuchte. Mein Kopf brummte und langsam hatte ich nicht einmal mehr die Lust dazu, das Glas auszutrinken. Wieso genau hatte ich es überhaupt mitgenommen?

Andrew drückte einen Knopf. Den dreißigsten. Ich hatte mich am ersten Tag schon gefragt, wohin dieser Knopf führte. Wieso wollte Andrew mit mir auf den Dachboden?

»Andrew, was machen wir... auf dem Dachboden?«, fragte ich etwas lallend und bemerkte, dass dieser Sekt keinerlei positive Auswirkungen auf mich hatte und noch mehr Angst kam in mir auf. Wenn ich gleich mit Leo sprechen würde, musste ich mich zusammenreißen, um mich nicht selbst bloßzustellen.

Lachend schaute Andrew auf mich. Ob er lachte, weil es nicht der Dachboden gewesen ist oder weil ich betrunken war, wusste ich nicht. Zumindest gab er mir eine Antwort, welche mir mehr als nur meine Augen öffnete.

»Das ist keinesfalls der Dachboden, Ava. Dies ist Mr. Adams Apartment. Er wohnt dort«

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt