𝟒𝟖. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Nur schwer war ich heute Morgen aus meinem Bett gekommen. Ich hatte Augenringe, als ich mich im Spiegel betrachtete und sah so aus, als hätte ich tagelang keinen richtigen Schlaf mehr genießen können, weshalb ich noch schnell in die Dusche sprang und mich frisch machte. Keinesfalls fühlte ich mich frisch, als ich in der Firma ankam, doch ich wusste, dass ich die letzten zwei Tage durchstehen musste, egal wie schwer mir der Streit mit Molly auf dem Herzen lag oder wie unangenehm die Situation zwischen Leo und mir gewesen ist. 

Ich erinnerte mich an die verletzenden Worte, welche Leo zu mir gesagt hatte, weswegen ich einfach in den Aufzug stieg, ohne mich anzumelden, und nach ganz oben fuhr. Ich würde normalerweise aus dem Aufzug starren und mir Toronto unter dieser unglaublich schönen Frühlingssonne anschauen, doch in mir herrschte ein Gewitter. Meine Sicht war dunkel und konnte den hellen, sonnigen Tag nicht ansatzweise genießen. An solchen Tagen würde ich mit Molly an den Lake Ontario schwimmen gehen, doch auch Molly konnte und wollte ich in diesem Moment einfach nicht sehen. Nicht einmal an sie denken wollte ich. Wut und Traurigkeit trafen wie Blitze auf mich ein und ich fühlte mich von Sekunde zu Sekunde unwohler. 

Das pling des Aufzugs, welcher gerade in der Etage von Leo angekommen war, erweckte mich schlagartig aus meinen Gedanken und jagte mir eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper. Etwas erschrocken trat ich aus dem Lift und sah Andrew schon, welcher zu warten schien.

»Ava, wie geht es Ihnen?«, fragte er mich sofort, während er mir, wie immer, höflich seine Hand hinhielt. Ich nahm sie an und zwang mir ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. »Ganz gut, und dir, Andrew?«, fragte ich zurück, während wir nach zwei Minuten zum Stehen kamen. Ich starrte etwas nervös auf die Bürotür von Leo. War ich bereit, um mich ganz normal mit ihm zu unterhalten? 

»Gut. Bitte, gehen Sie doch hinein. Mr. Adams wartet schon auf Sie.«, merkte er an und entfernte sich wieder, während ich durchatmete und die Türklinke runterdrückte. Ich hatte mich in diesem Moment wieder einmal so hilflos gefühlt, da ich nicht wusste, was mich hinter dieser Tür erwarten würde. Es fiel mir schwer, meine Gefühle zu verdrängen, um professionell zu bleiben und das weiter zu führen, was ich hier angefangen hatte. Es sollte ein schlichtes und einfaches Interview sein, doch in diesen zwei Wochen waren zu viele Dinge passiert, die ich einfach nicht verkraften konnte. Vor zwei Wochen war mein Leben noch so normal. Doch alles hatte sich ins Unerwartete gewendet. Mein Leben hatte sich in so kurzer auf den Kopf gestellt.

»Guten Morgen«, entkam es ihm. Gerade noch schrieb er etwas auf einen Zettel und schien fokussiert zu sein, doch hielt inne, als er mich entdeckte. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich ihm genau gegenüber. »Guten Morgen«, sagte nun auch ich und fischte meine Notizen aus meinem Heft. Ich hatte mir die Fragen vorhin am Frühstückstisch noch einmal genauer angeschaut wobei mir auffiel, das mir nicht einmal mehr fünf Fragen geblieben sind. Ich brauchte nur noch die letzten drei Fragen zu stellen und ein Foto zu schießen. Dann wäre ich fertig. 

»Ich starte direkt mit den Fragen«, meine Stimme klang leiser und schwacher, als ich wollte. Ich wollte ihm nicht zeigen, dass ich kurz vorm Weinen gewesen bin. Ich wollte ihm nicht zeigen, dass mich die drei Tage in Denver und sein Verhalten so dermaßen mitnahmen, während er doch seelenruhig an seinem Tisch sitzen und so tun konnte, als wäre nie ein Kuss zwischen uns gewesen. Oder der ganze Rest.

»Nur zu«, entkam es ihm und er lehnte sich in seinem Stuhl zurück, während er mit seinem goldenen Kugelschreiber herumspielte. Ich währenddessen laß mir die letzten drei Fragen durch und schluckte.

»Wo siehst du dich in zehn Jahren?« Ich traute mich zuerst gar nicht, zu ihm hochzuschauen. Ich wurde wieder einmal nervös vor ihm. Ich konnte meine Panik und meine Nervosität gar nicht zurückhalten. Ich wusste genau, wo er sich in zehn Jahren sah: Alleine, gezwungen mit einer Frau zusammenzuleben um Kinder zu machen, die eines Tages diese Firma übernehmen konnte. Leo sucht doch keine wahre Erfüllung in seinem und für sein Leben - er hatte mir die letzten zwei Wochen bewiesen, dass er ein kalter Mensch war, wie eine Maschine die nur zum Arbeiten programmiert worden ist. Er empfand so etwas wie Gefühle nicht und das vor Allem nicht für mich.

»Hier auf diesem Stuhl. Ich möchte versuchen meine Firma noch weiter auszubauen und diese mit bis zu fünf weiteren Sitzen überall auf der Welt erweitern. Das weißt du doch schon«, fing er an und schaute mir mit seinen braunen Augen direkt in meine. Er schien zu bemerken, dass meine ihr Funkeln schon längst verloren hatten. Ich war unglücklich und ich konnte mir kein ehrliches Lächeln aufzwingen.

»Und du?«, fragte er plötzlich. Ich hatte war gerade dabei gewesen, mir seine Antwort zu notieren, doch mein Kopf schoss verwirrt in die Höhe. »Bitte?«, fragte ich kleinlaut. Ich hätte mich in diesem Moment mehr als nur tadeln können, dafür, dass meine Stimme kläglich versagt hatte. Man hörte meine Traurigkeit förmlich raus und so schwach wollte ich nicht vor Leo wirken.

»Ich möchte wissen, wo du dich selbst siehst. Ich sehe dich nämlich hier in dieser Firma. Du wärst perfekt für Logans Abteilung. Und ich will wissen, ob du das Angebot, nach deinem Abschluss hier zu arbeiten, annehmen würdest« er redete, doch seine Worte schienen nur so wie der Wind an meinem Ohr vorbei zu rauschen. Meinte er das ernst? Wollte er wirklich das Risiko eingehen, mich jeden Tag sehen zu müssen? Oder noch schlimmer: wollte ich wirklich für so einen Menschen wie Leo arbeiten? Schließlich wusste ich noch immer nicht, ob er nun ein guter Mensch gewesen ist, oder eben nicht.

Vielleicht schien ihn nur das Geschäftliche zu interessieren, denn er wusste, dass er mich gut gebrauchen konnte. Er wusste, dass ich seiner Firma mehr als nur positiven Mehrwert geben würde.

Und in diesem Moment, verstand ich, weshalb er mir dieses Angebot machte. Es störte Leo nicht, mich jeden Tag zu sehen, denn er empfand nichts für mich. Er hatte kein Problem damit.

»Mr. Adams« ich räusperte mich kurz, da es komisch für mich gewesen ist, ihn so zu nennen, wenn er mich doch vor zwei Tagen noch auf sein Bett gedrückt hatte und mich innig geküsst hatte. »Ava, nenn mich doch bitte-« Ich hob meine Hand, da ich genau wusste, was Leo vorhatte mir zu sagen. Ich atmete tief ein und aus und schloss mein kleines Notizbuch, um zu symbolisieren, dass ich ihn nicht mehr weiter befragen wollte.

»Ich.. Ich..« mein Herz pochte und ich hatte das Gefühl, das Leo dieses hören konnte. Es war, als ob es vor Schmerz kaputt ging, doch ich musste stark bleiben und Leo zeigen, dass ich nicht mit mir spielen ließ. Bevor ich ihm endlich das sagte, was ich ihm die ganze Zeit schon sagen wollte, atmete ich tief ein und aus. Was sollte ich nur auf sein Angebot antworten?

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt