𝟔𝟒. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 / 𝐋𝐞𝐨𝐬 𝐒𝐢𝐜𝐡𝐭

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Leo

Sie lächelte. Es war schön, sie lächeln zu sehen. Lia hatte lange auf diesen einen Tag gewartet. Und diesen hatte sie sich definitiv verdient. An ihrem Lächeln erkannte ich den harten Kampf, die vielen schlechten Tage und die vielen schlechten Erinnerungen, die wir beide teilten. »Du siehst unglaublich aus«, sagte ich zu ihr. Ich hatte für das Kleid bezahlt, wusste aber nicht, wie es aussah. Bis heute. Bis zu ihrem großen Tag. Ich versuchte mir meine Tränen zu verdrängen. ich war schon lange nicht mehr der kleine Junge der weinte. Ich weinte nicht. Aber gerade jetzt wurde ich emotional. Ich wurde emotional, weil ich wusste, dass wenigstens meine Schwester glücklich war. Sie hatte Jackson gefunden. Sie liebte ihn. Und ich wusste auch, dass Jackson sie liebte und sie niemals verletzen würde.

Es wäre die Aufgabe meiner Eltern gewesen, ihr ein wunderschönes Kleid zu kaufen. Dafür zu sorgen, dass sie einen wunderschönen Tag erleben würde. Aber sie waren nunmal nicht hier. Also hatte ich alles in meiner Macht stehende getan, um ihr diesen Tag zu verschönern. »Danke Leo.«, flüsterte sie und betrachtete sich im Spiegel. Sie stand vor dem Spiegel und strich über ihr Kleid, sah nachdenklich aus. Ich wusste nicht, was genau ihr durch den Kopf schoss. Aber ich wollte nicht, dass sie so verzweifelt in den Spiegel blickte. Vorsichtig legte ich ihr die Hand auf die Schulter.

»Wenn du weglaufen willst, mein Wagen und Andrew warten draußen.«, merkte ich belustigt an und schaffte es, sie zum Lachen zu bringen. »Nein, nein.«, erwiderte sie und schaute mich durch den Spiegel an. »Ich wünschte nur, Mom wäre hier.«

Unsere Eltern vertrugen sich schon seit der Trennung nicht mehr. Sie stritten ständig. Jedes Mal wenn sie sich sahen, zeigten sie sich, wie sehr sie sich hassten. Und deswegen wusste Lia, dass sie keinen von beiden einladen konnte und das wollte sie auch nicht. Die Atmosphäre im Raum wäre nicht auszuhalten. Ich hatte keinen guten Draht zu meinem Vater. Immer dann, wenn er in die Firma kam und mit mir über Geschäftliches reden wollte, stritten wir. Mein Vater war ein materieller, kalter Mensch. Das war er schon immer gewesen. Und deswegen war es ihm recht gewesen, dass Adams Industries so erfolgreich war. Eine Firma, die jeder auf diesem Kontinent kannte. Die unzählige Standorte hatte.

»Ich weiß. Ich wünschte, dass alles wäre nicht so kompliziert, Lia«

Ich seufzte. Wäre doch alles einfacher. Ich hätte mir so sehr gewünscht, dass wir eine richtige Familie gehabt hätten. Unsere Eltern nicht ständig stritten. Uns fehlte es an nichts. Lia und ich bekamen immer die neusten Schuhe oder trugen immer die angesagtesten Klamotten. Wir bekamen jeden Tag Geld und Geschenke. Nur keine Liebe oder Aufmerksamkeit. Mama hatte sich selbstständig gemacht und arbeitete sehr viel, um unserem Vater nicht zu begegnen. Sie besaß ihre eigene Modemarke, mehrere Geschäfte in Toronto und vielen anderen Städten. Man kannte ihre Marke und ihre Kleidung sogar schon in manchen Städten Europas. Mein Vater hatte währenddessen seine riesigen Unternehmen aufgebaut. Keine hatte sich jemals die Zeit für uns genommen, aus dem einfachen Grund dass sie wegen des jeweils Anderen nicht zuhause sein wollten. Die einzige Bezugspersonen, die wir hatten waren Sara, unser Kindermädchen und Andrew, unser Butler, der viel mit uns herumspaßte. Sie hatten uns großgezogen. Bis wir elf waren.

Eines Tages gingen Lia und ich nach Hause. Die Privatschule, auf die wir gingen, fanden wir beide unglaublich schlimm. Die meisten Kinder waren abgehoben oder egoistisch. Sie dachten, sie wären was Besseres als wir und schikanierten Lia teilweise. Wir hatten es nicht wirklich leicht von der High-Society umgeben zu sein, obwohl wir selbst irgendwie ein teil davon waren. Aber trotzdem waren wir beide schon immer anders gewesen. Wir hatten Geld und alles was wir jemals wollten. Aber das Wichtigste fehlte uns. Liebe.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt