[𝟏𝟖] 𝐅𝐨𝐫𝐭𝐛𝐢𝐥𝐝𝐮𝐧𝐠

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Noch immer stand ich vor der Tür und lauschte. Mir war bewusst, dass es nicht in Ordnung gewesen ist, ganz im Gegenteil. Aber ich wollte unbedingt wissen worüber sie stritten, zumal ich irgendwie wissen wollte, wer dieser mysteriöse Er war und was es damit auf sich hatte. Schnell schüttelte ich meinen Kopf um diesen Gedanken loszuwerden. Es war ein grausamer Gedanke, wenn ich ehrlich war. Ich verletzte gerade ihre Privatsphäre. Es war weder meine Angelegenheit, noch sollte ich mich in irgendetwas zwischen den beiden einmischen.

»Ich habe dir von Anfang an gesagt, solltest du Kontakt mit ihm haben wollen, mach das privat und ohne, dass ich es mitbekomme. Hier drinnen hat er nichts verloren.« Schnell verschwand ich hinter die Tür als ich mitbekam, wie Leo nun in meine Richtung kam. Glücklicherweise hatte er mich nicht gesehen, jedoch hatte ich einen kurzen Blick auf ihn erhaschen können. Seine Hände hatte er zu Fäusten geballt und seine braunen Augen funkelten gefährlicher als sonst. Ich war wirklich geschockt von der Wut, welche ihn in dieser Sekunde komplett einnahm. Er hatte so eine Wut in sich, dass er die Tür zuknallte, als er ihr Büro verließ. Er entdeckte mich und hielt inne. Eigentlich wollte er weitergehen, aber jetzt stand er fast genau vor mir.

»Guten Morgen.«, brachte ich ertappt aus mir heraus, obwohl er mich Gott sei Dank nicht beim Lauschen erwischt hatte. Ich wollte nicht wissen, wie er dann reagiert hatte. Die Härchen auf meiner Haut stellten sich allein bei seinem strengen, verärgerten Anblick auf.

Und wenn er gerade noch wütend eine Wand hätte einschlagen können, so hatte er jetzt wieder seine Hände geöffnet und einmal tief durchgeatmet, als er mich entdeckte. Er richtete seine Ärmel und räuspert sich, damit ich wahrscheinlich nicht bemerkte, wie sauer er in diesem Moment wirklich war. Schluckend musterte ich ihn ab während er sich von einem wütenden Boss wieder in den ruhigen Mr. Adams verwandelte. Hatte er das getan, weil er mich gesehen hatte? Hatte mein Anblick etwa eine ruhige Wirkung auf ihn? Schon wieder wurde mein Gehirn von so vielen Fragen überschwemmt, welche mich überforderten. Wieso ist er auf einmal so ruhig gewesen?

Ich wusste nicht wieso, aber ich hoffte, ich wäre der Auslöser gewesen.

»Tut mir leid, du kannst jetzt zu Lia. Sobald du fertig bist komm in mein Büro.« Ohne Weiteres ging er an mir vorbei und ich schaute ihm nach, während er den Lift betrat. Es folgte ein letzter Blick zwischen uns beiden. Es war wie das letzte Mal als ich im Lift gewesen bin, nur das es jetzt andersherum gewesen ist. Es war so eine unglaubliche Spannung zwischen unseren Blicken, als würden wir uns beide zueinander hingezogen fühlen. Und das taten wir. Diese Tatsache konnte weder er noch ich verleugnen. Oder empfand er nicht so für mich? Schluckend wandte ich meinen Blick von ihm ab. Zu schockiert war ich über die Tatsache, dass er so dermaßen wütend werden konnte. Und ich musste definitiv aufhören zu denken, dass es zwischen uns etwas Besonderes gäbe. Das sollte es nämlich nicht. Das durfte es nicht. Und vielleicht sah er das ganz und gar nicht genau so, wie ich.

Verblüfft öffnete ich nach einem Klopfen Lias Bürotür und sah, wie sie an ihrem Tisch saß und ihre Zettel ordnete, welche Leo durch den Schlag auf den Tisch wahrscheinlich durcheinandergebracht hatte.

»Liebes, schön, dass du hier bist. Setz dich.«,sagte sie hektisch, während sie die Blätter in ihrer Schublade verschwinden ließ. Mir fiel in diesem Moment auf, wie gut sie ihre Gefühle doch verdrängen konnte. Sie hatte ihr typisches, ehrliches Lia-Lächeln aufgesetzt. Wenn ich den Streit vor ein paar Minuten nicht mitbekommen hätte würde ich denken ihr ginge es gut. Aber ich glaubte nicht, dass sie sich gut fühlte, nachdem sie eine derartige Auseinandersetzung mit Leo hatte.

Ich tat was sie sagte und setzte mich ihr gegenüber.

Natürlich sah ich ihr an, dass sie dieser Streit mitnahm. Und es war logisch, schließlich hatte sie ein enges Verhältnis mit ihrem Bruder. Ich fühle mich auch schlecht, wenn Alex so gemein zu mir war, weshalb ich ihren Schmerz in gewisser Weise nachvollziehen konnte. Und so ein Verhältnis wie die beiden hatten Alex und ich noch lange nicht. Ich kannte Alex zwar erst seit drei Jahren und mein leiblicher Bruder war er auch nicht, aber mich nahm es sehr mit das er noch nicht einmal versuchte, mir ein guter großer Bruder zu sein.

»Guten Morgen, Lia. Alles gut bei dir?«, fragte ich höflich nach und wollte einfach nur das sie weiß, dass Jemand an sie dachte. Auch wenn ich sie erst seit dieser Woche kannte, war sie mir sehr sympathisch und eigentlich einer der Hauptgründe, weshalb ich mich so schnell so wohl hier im Unternehmen fühlte. Sie behandelte mich nicht wie eine Praktikantin, sondern wie eine Freundin und das schätzte ich sehr an ihr. Sie war ein toller Mensch und ich würde sie gerne ab und zu besuchen, wenn meine tolle Zeit hier vorbei wäre. Ich wollte noch nicht daran denken, dass diese Zeit vorbei sein könnte.

»Alsooo...«, begann sie zu erzählen und tippte auf ihrem Laptop herum. »Ich hatte, wie immer, eine geniale Idee und dachte ich teile sie dir mit. Ab nächster Woche Montag findet ein Seminar in Denver, Colorado statt. Wir besuchen so gut wie jeden Monat eines. Es ist so eine Art Fortbildung.« Schockiert musterte ich wie sie seelenruhig davon berichtete, mal eben in die USA zu fliegen. Meinte sie das ernst?

»Diesmal haben wir eine Fortbildung über Medien, Telekommunikation und so weiter gefunden, was auch immer. Mich interessiert nur das es in Denver ist. Ich war noch nie dort.« Lachend wandte sie sich an mich, doch ich saß kerzengerade und steif auf meinem Sitz, während sie sich nun lässig nach hinten lehnte und mich mit verkreuzten Armen anschaute.

»Es sind zwei Nächte. Montag früh fliegen wir hier los und Mittwochabend sind wir wieder zurück in Toronto. Was sagst du, kommst du mit?«, erwartend beharrte sie auf eine Antwort, welche ich ihr jedoch nicht geben konnte. Würde mir mein Vater das erlauben? Woher sollte ich so viel Geld haben? Wie sollte ich das alleine bezahlen? Würde mein Vater mir so etwas erlauben und auch noch bezahlen? Es waren zu viele Fragen.

»Ich höre dich gedanklich gerade empört fragen, wie du das bezahlen sollst. Zumindest sieht es so aus, als würdest du dich das fragen. Ava, das ist eine Einladung von Leo und mir. Das ist für dich völlig kostenfrei. Ich wollte dir von Anfang an alles zeigen, was du sehen solltest. Ein Seminar ist eine wichtige Sache, die ich dir zeigen will. Oder eher Denvers Shoppingmalls.«, gab sie kichernd zu und auch ich stimmte mit ein. Ich konnte nicht fassen, dass sie mir so eine Zwei-Tages-Reise ermöglichen wollte, ohne dass ich ihnen etwas dafür zurückgab. Ohne, dass ich auch nur irgendetwas machen musste.

»Ich... Das kann ich doch gar nicht annehmen.«, murmelte ich, wirklich empört über die Gutmütigkeit der Adams Familie. Ich war zwar sehr hingerissen und erfreut über diese Idee, aber konnte ich das wirklich annehmen, nachdem, was mir in dieser Firma schon alles gegeben wurde?

»Mein eigentliches Problem ist eher mein Vater...«, versuchte ich ihr zu erklären. Er war kein einfacher Mann und das er mich heute Abend schon auf die Party ließ war viel zu viel erwartet.

»Achso, das meinst du.« Verständlich nickte sie und griff schnell nach einem Block und einem Stift. Beides hielt sie mir vor die Nase und verwirrt schaute ich über den Block hinweg zu ihr.

»Gib mir seine Nummer. Ich regle das schon.«, versprach sie mir und zögernd nahm ich ihr die Sachen aus der Hand. Mit einem mulmigen Gefühl, welches in mir aufkam, schrieb ich die Nummer meines Vaters auf den Zettel. Ich fragte mich, ob sie es wirklich schaffen würde, meinen Vater von dieser abstrakten Idee zu überzeugen.

»Und aus welchem Grund sollte Mr Adams, als Chef, mitkommen? Er hat so ein Seminar wahrscheinlich gar nicht nötig. Ich meine nicht, dass ich mich nicht darüber freuen würde. Ich finde die Idee unglaublich«, merkte ich an und Lia lachte auf. Natürlich hatte ein so reicher, erfolgreicher Chef wie Leo so etwas nicht nötig. Was interessierte ihn schon ein Seminar wenn er den ganzen Tag zuhause sitzen könnte?

»Mein Bruder ist einer von der komischen Sorte. Er macht das aus Jux und Dollerei«, gab sie zu und stand auf, weswegen ich es ihr gleich tat.

»Er macht das aus Spaß?«, hakte ich etwas ungläubig nach und fragte mich inständig, weshalb er seine Zeit verschwenden wollte, indem er mitkam.

»Naja«, fing sie an und ging vor. Wir verließen zusammen ihr Büro und ich folgte ihr. »Normalerweise kommt er nur ein, zwei Mal im Jahr mit und das auch nur, wenn wir beispielsweise in für ihn interessante Städte reisen. Aber diesmal wollte er unbedingt mit. Bis Montag dann, Liebes«

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt