[𝟖] 𝐞𝐧𝐠𝐥𝐢𝐬𝐜𝐡𝐞 𝐋𝐢𝐭𝐞𝐫𝐚𝐭𝐮𝐫

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Ich war mit dem Lift schon fast oben angekommen, während ich vergebens versuchte unser kleines Häuschen zwischen den vielen Häusern zu entdecken. Ich fand es nicht und stellte fest, dass ich mich schlicht und einfach zu weit oben befand, um etwas zu erkennen.

»Ich weiß, diese Aussicht ist atemberaubend, aber möchten Sie vielleicht aus dem Lift treten, Ms. Johnson?«, erklang die herzliche Stimme von Andrew wieder und ich drehte mich schmunzelnd um. »Andrew, schön Sie heute zu sehen.«, sprach ich drauf los und ließ mir von ihm wieder einmal seine Hand hinhalten, welche ich dankend annahm.

»Geht es Ihnen gut, Ms. Johnson?« Nickend bejahte ich seine Frage und schaute dann zu dem netten, schwarz gekleideten Mann hoch.

»Nennen Sie mich doch bitte einfach Ava. Ich fühle mich sonst so schrecklich alt.«, lachte ich. Er schaute mich zwar nicht an, ich wusste aber, dass er verstand, was ich ihm sagen wollte. Er schmunzelte von der Seite.

»Natürlich, Ava. Setzten Sie sich schon mal in Mr. Adams Büro, er wird gleich eintreffen. Sein Meeting endet in Kürze.«

»Vielen Dank Andrew!«, rief ich ihm noch von dem Büro aus zu und setzte mich wie gestern an meinen Platz. Es war nicht wirklich mein Platz, aber ich könnte mich daran gewöhnen hier öfter zu sitzen, zumal ich ja noch fast ganze zwei Wochen hier sein würde.

»Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass ein Junggeselle von ansehnlichem Vermögen zwingend auf der Suche nach einer Frau ist.« Schockiert schoss mein Kopf nach hinten und ich folgte der rauen, mir nur allzu bekannten Stimme, die dieses Zitat gerade hervorbrachte. Natürlich kannte ich dieses Zitat. Es war aus keinem geringeren Buche als Stolz und Vorurteil.

Mr. Adams lehnte sich gegen den Türrahmen und sein beißender Blick lag auf mir, glitt von oben nach unten, vergnügte sich an meiner erstaunten Reaktion. Und je länger ich versuchte, dieses Zitat, welches noch vor einigen Sekunden aus seinem Mund kam, auf mich einwirken zu lassen, fand ich die Art und Weise in welcher er dies zitierte verdammt reizend. Ich hätte nicht erwartet, dieses Zitat aus seinem Mund zu hören, geschweige denn zu erfahren, dass er das Buch kannte.

»Männer sind entweder von Dummheit zerfressen oder von Arroganz. Und ist einer liebenswert, lässt er sich so leicht lenken, als hätte er keinen eigenen Verstand.« Übernahm ich ein anderes Zitat des Buches und biss mir auf die Lippe, weil nun er derjenige gewesen ist, der es sich nicht verdrücken konnte, seine Augenbraue hoch zu ziehen.

»Interessieren Sie sich für die englische Literatur, Ms. Johnson?«

Immer noch lässig lehne er sich gegen den Türrahmen und schaute mich fragend an.

»Ich kenne die Jane Austen Bücher auswendig, Mr. Adams.« Schmunzelte ich vor mich hin. Sie waren mein Zufluchtsort und halfen mir dabei, wenn ich mal kurz nicht nachdenken wollte.

»Und ich wollte glauben, dies sei nur eine Schullektüre.« Er holte seine Hand hinter seinem Rücken hervor und eine Welle der Erleichterung packte mich. Er hielt meine besondere Ausgabe von Stolz und Vorurteil in die Höhe und augenblicklich schämte ich mich dafür sie hier verloren zu haben.

»Ich habe es überall gesucht.«, gab ich kleinlaut zu und bat ihm mit einem bittenden Blick es mir wieder zu geben. Mir lag viel an diesem Buch, ich hatte es schon unzählige Male gelesen und jedes Mal aufs neue geliebt.

»Darf ich Ihnen etwas Persönliches zeigen, Ms. Johnson?« bei seiner Frage erstarrte mein ganzer Körper und ich vergaß sogleich, wie es funktionierte zu antworten. Ich würde gerne, abgesehen des Interviews natürlich, etwas mehr über ihn erfahren. Ich wollte, dass er meinen Inneren Drang der Neugier stoppte und mir mehr von ihm und seinem Leben zeigte.

Er deutete mir an mich zu erheben, wollte, dass ich mich neben ihn stellte und das tat ich, während er mir mein Buch wiedergab. Ich stand vor ihm und war ihm so nah, wie ich ihm bis jetzt noch nie gewesen bin. Es überkam mich ein warmer Stoß und ich stellte fest, dass er eine unglaubliche Wärme von sich gab. Ich traute mich nicht aufzuschauen, wollte aber endlich wissen was er mir zeigen wollte. Er öffnete einen schwarzen Schrank, welcher links von uns stand. Und während er die Schranktüren aufschob fühlte ich mich so, als würde er mir eine andere Seite offenbaren, welche bis jetzt hinter diesem Zugang gefangen gewesen war. Was ich sah, schockte und erstaunte mich gleichermaßen, ließ mein Herz einen großen Sprung machen und sorgte dafür, dass ich für einen Moment das Sprechen vergaß.

Emily Brontë, Margaret Mitchell, Herman Melville.

So viele Namen und Bücher von Autoren befanden sich in diesem Schrank und wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass Leo Adams ein Fanatiker englischer Literatur gewesen ist, so hätte ich dieser Person den Vogel gezeigt. Aber es stimmte und nun stand ich hier und ließ mich von seinen ganzen Buchsammlungen fast verschlucken. Instinktiv trat ich einen Schritt nach vorne und beäugte diese Meisterwerke mit meinem näheren Auge. Ich schnappte mir, ohne wirklich darüber nachzudenken eines, welches ich noch nicht gelesen hatte.

»Oh Gott, tut mir leid.«, flüsterte ich und wollte es gerade zurücklegen, doch er hatte seine Hand schon sanft auf meine Schulter gelegt und es somit geschafft, meine Bewegung zu stoppen.

»Bitte, Suchen Sie sich doch ein Buch aus. Ich kann jedes Einzelne empfehlen.« Seine Worte beeinflussten mich und wieder schaute ich auf das Einband des Buches, welches den Titel Der Besuch der alten Dame trug. Ich fragte mich innerlich wieso er ausgerechnet wollte, dass ich mir eins aussuchte und fragte mich wie es sein konnte, dass er mir einen Einblick in sein Inneres gewährte. Bücher sagten wirklich viel über den Menschen aus.

»Dies ist aber keine englische Lektüre.« Merkte ich an und versuchte gleichzeitig den Klapptext zu lesen.

»Dies ist aus der Schweiz und ist sehr viel später entstanden, als Jane Austens Werke. Es ist aus dem Jahre 1959. Aber es ist lesenswert, Ms. Johnson.« Während er sprach bemerkte ich, dass er mir näher war als gewollt und spürte bei jedem Wort seinen Atem in meinem Nacken. Sofort schossen alle meine Nackenhaare in die Höhe und ich musste aufpassen nicht zu schwitzen. Er stieß so eine unglaubliche Wärme von sich und erst als er sich entfernte und sich auf seinen Stuhl niederließ konnte ich wieder die Luft, die ich anhielt, freilassen.

»Danke, Mr. Adams.«, sagte ich und steckte das Buch in meine Tasche. Ich würde es demnächst definitiv lesen und ihm meine Rückmeldung dazu geben.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt