Ich war aufgeregt. Ich war mehr als nur aufgeregt. Ich konnte meinen Kakao kaum herunterschlucken, weil meine zierlichen Hände ungewollt zitterten. Nachdenklich saß ich auf meinem Küchenstuhl und versuchte mich die letzten zehn Minuten, die ich noch Zeit hatte, vergebens, zu beruhigen. Doch in meinem Gehirn schwamm immer wieder und wieder die Welle der Aufregung herum.
»Es ist schön, dass sie dir so eine Chance gegeben haben«, hörte ich Mary aus der Küche rufen. Ich nickte, wollte mich aber nicht großartig mit ihr unterhalten. Sie konnte nichts für meine distanzierte Einstellung ihr gegenüber.
Trotzdem schien es meiner Meinung nach so, als würde sie dieses Interesse mir gegenüber nur vorspielen. Sie schien etwas unbeeindruckt, weil ich vielleicht nicht ihr eigenes Kind gewesen bin oder weil sie mich vielleicht nicht leiden konnte, denn wie sie für mich empfand wusste ich nicht genau. Ich wusste nicht, was sie über mich dachte und ich wusste ebenfalls nicht, ob sie mich als ihre Stieftochter anerkannte.
Mein Praktikumsangebot interessierte meine beiden Elternteile nicht wirklich, denn als ich ihnen davon erzählte, aßen sie gemütlich ihr Essen, als hätte ich ihnen gerade nicht erzählt, dass ich ein Interview mit dem reichsten Mann Kanadas führen würde. Vielleicht lag es daran, dass mein Vater in der Anwalt-Branche tätig gewesen ist und mich schon seit langen davon überzeugen wollte Anwältin oder Richterin zu werden. Tatsächlich hatte ich mich eine Weile mit diesem Thema beschäftigt doch fand einfach keinen Anschluss dazu. Das Jurastudium erweckte einfach nicht mein innerliches, berufliches Interesse. Seitdem betrachtete er jeden meiner Schritte in Richtung Zukunft mit zugekniffenen Augen und wollte sich nicht eingestehen, dass ich einfach nicht in die juristische Richtung gehörte. Mein Gewissen wollte nicht bei diesem Beruf mitmachen, denn ich würde nicht nur Unschuldige Menschen vertreten, sondern müsste wahrscheinlich auch schuldigen Menschen, die tatsächlich eine schlimme Straftat begangen hatten, den Rücken freihalten und mit diesem Gedanken konnte und wollte ich nicht leben. Meine Mutter hatte mir immer beigebracht nicht zu lügen, weswegen eine Lüge nur schwer über meine Lippen huschte. Man sah es mir förmlich an, wenn ich nicht die Wahrheit sagte.
Und mein Vater konnte es einfach nicht wahrhaben, dass seine Tochter genau so ein Freigeist wie seine Exfrau gewesen ist, die er mittlerweile verabscheute.Ein Blick auf meine Uhr verriet mir, dass ich mich vielleicht langsam auf den Weg machen sollte und mir meine gute Laune am frühen Morgen nicht mit meinen abwegigen Familiengedanken vermiesen sollte, jedoch dachte ich öfter über diese ausweglose Situation in diesem Haus nach: Es gab meinen Vater, welcher seinen Abstand zu mir hielt weil ich ihn zu sehr an meine toxische Mutter erinnerte, seine neue Frau die mich wahrscheinlich nicht leiden konnte aber so tun musste, und ihr Sohn, welcher mich definitiv aus irgendeinem komischen Grund nicht leiden konnte. Ich atmete kurz auf und schloss meine Augen. Es belastete mich daran zu denken, dass das Bild unserer einst glücklichen Familie in tausend Splitter zertrümmert ist, nachdem meine Mutter uns freiwillig und ohne richtigen Grund verlassen hatte. Seufzend ließ ich mein angebissenes Toast auf meinem Teller liegen und stellte mich auf meine vor Aufregung wackeligen Beine. Ich hatte schon fast vergessen, dass ich gleich und die nächsten zwei Wochen ein wichtiges Interview führen musste.
Ich war zwar noch nicht zu spät dran, aber ich wollte auf keinen Fall zulassen, dass ich die Zeit ansatzweise überschritt. Alles musste seine Richtigkeit haben und ich musste daran denken einen guten Eindruck zu hinterlassen, anstatt die Verhältnisse von mir zu meiner Familie zu analysieren.
Ich nahm mir meinen Rucksack, versicherte mich selbst noch einmal, die Fragebögen mitgenommen zu haben und verließ mit einem leisen »Bis später« das Haus. Ich lief aufgeregt die Straßen entlang und lächelte, auch wenn mich ein paar an mir vorbeilaufende Personen befremdend beäugten. Es war nicht typisch an einem Montagmorgen gute Laune zu haben, aber ich hatte sie nunmal und strengte mich an, diese nicht abzuwerfen, egal wie sehr das Gefühl von familiärer Unvollständigkeit in mir herumschwirrte. Es würde eine neue Erfahrung sein, die ich die nächsten zwei Wochen machen würde. Schließlich würde ich das Gebäude der Firma nicht nur von Außen angaffen, wie ich es sonst immer auf meinem langweiligen Nachhauseweg tat, sondern würde wahrhaftig einen internen Einblick erhaschen können.
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the interview | ✔️
Romance𝐜𝐞𝐨 𝐥𝐨𝐯𝐞𝐬𝐭𝐨𝐫𝐲 Die fleißige aber schüchterne Schülerin Ava Johnson hat während ihres letzten Schuljahres die Möglichkeit bekommen, für die Schülerzeitung ein Interview mit dem jungen, zum dahinknien gutaussehenden Unternehmer Leo Adams zu...