𝟑𝟐. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Mühsam und lustlos war ich gerade dabei gewesen, meine Sachen für morgen zu packen. Gestern Abend hatte ich noch ein paar Filme mit Mary geschaut und sie beließ es einfach dabei, dass ich mit ihr nicht reden wollte. Es war nicht wegen ihr, ich meine, ich mochte sie und irgendwie waren wir gerade dabei, eine richtige Mutter-Tochter Beziehung zueinander aufzubauen. Aber ich wusste nicht, was ich bezüglich Leo sagen sollte. Wie sollte ich ihr erklären, dass ich etwas mit einem fünfundzwanzigjährigen, reichen Unternehmer hatte, welcher für diese zwei Wochen auch noch so etwas wie mein Vorgesetzter gewesen ist? Sie würde es nicht verstehen und ich konnte nicht riskieren, dass mein Vater davon erfuhr. Zumal es noch nicht einmal etwas Richtiges gewesen ist, laut Leo.

»Hast du schon alles?« ,schnaubte Molly. Sie war den ganzen Tag schon genervt gewesen, nachdem ich ihr davon erzählte. »Dieser Mann ist verantwortungslos und verdient sein göttliches Aussehen nicht.« Hatte sie auf meine Erzählung geantwortet und hatte mich zumindest damit etwas aufgemuntert. Aber es änderte nichts an der Tatsache, dass ich ihn die nächsten drei Tage ertragen musste, und zwar ununterbrochen.

»Ja, nur noch mein Buch. Es liegt dort auf der Kommode, reichst du es mir eben rüber, bitte?«, bat ich sie und sofort nahm sie es in die Hand. »Es heißt nicht mehr der Besuch der alten Dame sondern der Besuch der bösen Molly wenn ich mit ihm fertig bin.« Sie warf es mir unvorsichtig zu und ich war froh, dass ich es gefangen hatte. Ich lachte auf und schaute mir für einen kurzen Moment noch einmal den Einband an. Schnell packte ich das Buch in meinen Rucksack und schloss diesen, weil es mich zu sehr an Leo erinnerte.

»Du bist hübsch, du bist schlau, du hast einen wundervollen Charakter und du eine sogar Jungfrau. Was will ein Mann denn bitte mehr?«, fluchte Molly herum und versuchte gerade, eine Weintraube hochzuwerfen, um diese mit ihrem Mund wieder zu fangen.

»Molly, woher soll er denn bitte wissen, dass ich noch nie Sex hatte? Und ich glaube nicht, dass ihn das irgendwie umgestimmt hätte. Er hat mir klar und deutlich gesagt, was er für mich fühlt. Nämlich gar nichts«, seufzte ich und ließ mich neben ihr ins Bett fallen. »Und du besitzt diese schönen Eigenschaften doch genauso. Bis auf.. ja, die Tatsache mit der Jungfrau«, erzählte ich weiter und entlockte ihr damit ein kleines Schmunzeln.

»Ich bin so dumm wie ein Stück Brot, Ava«, lachte sie. »Aber nein, im Ernst. Du bist viel zu lieb, um so abserviert zu werden. Niemand darf dich verletzen«, gab sie von sich und ich musste lächeln, weil ich ich darüber freute, dass sie mich beschützen wollte.

»Wir werden sehen, was die nächste Woche bringt«, fantasierte ich und hoffte, Leo würde seine Meinung ändern, obwohl ich genau wusste, dass dies wahrscheinlich nicht der Fall sein würde. Wieso sollte er seine Meinung denn noch einmal ändern? Er klang abgeklärt und er war sich sicher gewesen, mich nicht zu lieben.

»Na hoffentlich eine Einsicht für ihn«, waren Mollys letzte Worte, bevor wir uns einen Film aussuchten. 

✦✦✦

Normalerweise wäre ich jetzt gerade nervös dabei, meine Hände zu kneten oder mit meiner goldenen Armbanduhr zu spielen, aber ich saß etwas geknickt am Esstisch mit meiner Familie. Ich hatte nicht wirklich Hunger doch Mary bestand darauf, dass ich eine Kleinigkeit zu mir nahm.

»Du hast eine lange Reise vor dir«, sagte sie nun und deutete auf die eigentlich leckeren Pancakes vor mir. Doch irgendwie bekam ich vor Kummer nichts runter. 

»Bist du denn gar nicht aufgeregt? Du fliegst zum ersten Mal«, betonte mein Vater und ich erkannte, dass er sich etwas für mich freute. Ich hatte eher das Gefühl, als würde ihn das nicht stören. Er hatte so oft darüber gesprochen, dass er mich als Anwältin in seiner Kanzlei sah und deswegen dachte ich, er würde mir für immer böse sein, je mehr gefallen ich an diesem Unternehmen fand. Doch vielleicht hatte er endlich akzeptiert, dass ich lieber dort arbeiten würde, als bei ihm in der Kanzlei?

»Oh, ehm, ja. Ich freue mich aber ich habe kaum geschlafen.«, erwiderte ich etwas wahrheitsgemäß. Ich hatte nämlich angefangen das Buch von Leo zu lesen. Der Besuch der alten Dame handelt von der sehr reichen, alten Dame Claire, welche nach vielen Jahren in ihre verarmte Heimatstadt zurückkehrt, in welcher sie ihre Jugend verbracht hat. Während die Einwohner auf einen Geldsegen hofften, wollte sie Rache an ihrem Exfreund nehmen, welcher sie schwängerte, aber dann verleugnete, dass er der Vater war. Mir hatte der Anfang des Buches wirklich sehr gefallen, zumal ich den Inhalt sehr lustig fand. Es hat mich gestern amüsiert, dieses zu lesen und ich musste zugeben, dass Leo einen außerordentlich guten Geschmack hatte, was Literatur und alte Bücher anging.

Nachdem ich etwas gegessen hatte, schaute ich auf mein Handy, nur damit mein Herz für einen kurzen Moment stehen blieb. Ich hatte eine Nachricht von ihm bekommen. Leo stand dick und fett auf meinem Display und schnell nahm ich mein Handy in die Hand, damit die anderen nicht sehen würden, dass mein Vorgesetzter mir schrieb. Niemals könnte ich diese Situation erklären und hoffte inständig, sie würden erfahren, dass ich diese Nacht bei ihm verbracht hatte.

Guten Morgen Ava,

Wir sind in ungefähr fünf Minuten bei dir.

Stell dich doch schon mal vor die Tür.

Seufzend stand ich auf um mir schon mal meine Jacke anzuziehen. Ich hatte gelogen. Ich freute mich recht wenig. Ich fand es zwar schön, eine neue Stadt zu sehen, zum ersten Mal zu fliegen und zu sehen, was Unternehmer wie Leo in ihrer Freizeit gerne machten. Aber er hatte mir mit seiner dämlichen Aktion meine Laune verdorben.

»Bye Dad« ich ging auf ihn zu und gab ihm eine kurze Umarmung. Er drückte mir einen Kuss auf meinen Kopf und lächelte. »Machs gut und pass bitte auf dich auf«, warnte mein Vater und ließ mich gehen. Alex schenkte mir nicht wirklich seine Aufmerksamkeit, aber auch von ihm verschiedene ich mich höflicherweise.

»Bye, Alex«, murmelte ich und zum ersten mal schien er irgendwie nett. Ob er das war, weil er langsam anfing mich zu mögen oder weil er sich freute, mich drei ganze Tage nicht mehr im Haus zu haben, wusste ich nicht. Ich wollte keinen Gedanken an ihn verschwenden. »Viel Spaß in Denver«, kam es vom ihm und ich ging zur Haustür vor.

»Ich begleite Ava«, rief Mary ihnen zu und kam mir hinterher. Ich setzte mich auf die Bank, welche vor unserem Haus stand und atmete die frische Morgenluft ein. Mary setzte sich neben mich und schien auch kurz zur Ruhe zu kommen.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt