[𝟏𝟎] 𝐌𝐞𝐞𝐭𝐢𝐧𝐠

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»Guten Morgen, Ava.«

»Andrew, ich dachte, ich finde Sie nur ganz oben.«, kicherte ich und nahm mal wieder seinen Arm, den er mir anbot, dankend an. »Aber ich muss Ihnen doch zeigen, wo Sie hinmüssen.«, erwiderte Andrew freundlich und führte mich zu meiner Station.

Von Weitem sah ich ihn schon, musste schlucken und versuchte mich auf meinen Gang zu konzentrieren. Allmählich nervte mich die Tatsache, dass mein Magen sich jedes Mal umdrehte, wenn ich mich ihm näherte oder wenn ich ihn erblickte. Er stand mit dem Rücken zu mir, doch dieses Bild von ihm hatte sich seit dem ersten Tag in mir eingebrannt und erinnerte mich an Vorgestern. Gerade redete er mit einem anderen Mann, welchen ich hier noch nicht gesehen hatte. Wahrscheinlich würde dieser auch bei dem Meeting teilnehmen. Nervös fing ich an meine Hände an meinen Rock zu reiben. Ich konnte es immer noch nicht ab mit so vielen Menschen in einem Raum zu sitzen. Es ist in der Schule schon schlimm gewesen, aber zu wissen, dass jeder hier mindestens zwei Jahre älter war, sorgte dafür, dass ich Andrews Arm unbemerkt fester drückte. Und gerechnet hatte ich mit diesem plötzlichen Meeting ebenfalls nicht.

»Ava, ist alles in Ordnung bei Ihnen?«, erkundigte er sich und ich hörte Besorgnis aus seiner Stimme heraus. »Ich mag es nur nicht vor so vielen Menschen auf einmal zu stehen.«, gab ich wahrheitsgemäß zu und wissend nickte er.

»Bitte Ava, Sie sollten keinen Gedanken daran verschwenden. Sie werden doch nicht dazu aufgefordert, etwas zu sagen oder mit jemandem zu reden. Sie hören nur zu und bilden sich eine Meinung in ihrem Kopf. Es ist ein schlichtes Meeting. Und sollte irgendetwas passieren, machen Sie sich keine Sorgen. Ich stehe draußen und kann Sie jeden Moment nach Hause fahren. Mr. Adams hat einen guten Grund Sie mitzunehmen, er sieht Potenzial in Ihnen. Und das passiert nicht oft.«

Verwirrt aber gleichzeitig auch etwas erleichtert ließ ich seine Worte auf mich prasseln und hörte seiner ruhigen und erklärenden Stimme zu. War ich tatsächlich eine Ausnahme? Und sah Mr. Adams wirklich Potential in mir?

Es war irgendwie beruhigend zu wissen, dass Andrew hinter mir stand und mir helfen wollte. Ich fühlte mich nicht mehr ganz so verlassen.

Lächelnd bedankte ich mich bei Andrew. Wenn ich nicht falsch lag, hatte er bestimmt eine Frau und vielleicht sogar schon Kinder, welchen er solche Lebensweisheiten mitgab. So einen Mann wie Andrew hätte man gerne als Vater. Er würde bestimmt immer hinter seinen Kindern und deren Entscheidung stehen. Nicht so wie mein Vater im Moment, der mir lieber nur im Weg stand wenn ich nicht das tat, was er wollte. Er war kein schlechter Vater und er und ich mussten zusammenhalten, seitdem meine Mutter einfach verschwunden ist. Aber er hielt eine gewisse Distanz mir gegenüber ein und ich hatte nicht mehr so ein Verhältnis zu ihn, wie früher. Es war schade zu wissen, dass mein Vater höchstwahrscheinlich nichts weiter als enttäuscht von mir war.

»Ms. Johnson. Freut mich Sie zu sehen.«

Während ich Andrew musterte und mir Gedanken über sein Leben durch den Kopf laufen ließ hatte ich gar nicht bemerkt, das Mr. Adams mich schon erkannt und sich zu mir gedreht hatte. Es folgte wieder sein Blick, welcher über mir schwebte, eilig hoch und runter ging. Er musterte mich. Aber ich tat nichts anderes, als seinen schwarzen Smoking zu betrachten und festzustellen, dass dieser ihm nur mehr als gut stand. Er betonte seine breite Schultern, zeigte, wie viel Macht Mr. Adams besaß und bewies wieder einmal, wie gutaussehend er doch gewesen ist. Sofort tadelte ich mich selbst für diesen garstigen Gedanken. Sowas gehörte sich in meinen Augen nicht. Ich sollte aufhören mir Gedanken über ihn zu machen und mich auf das bevorstehende Meeting vorbereiten, selbst wenn ich nicht wirklich etwas dazu beitragen würde.

»Guten Morgen.«,murmelte ich, während ich mich von Andrews Arm befreite und sah, wie er fortging. Er hatte es gerade tatsächlich ein wenig geschafft, mir meine Angst zu nehmen, aber jetzt wo ich alleine vor Mr. Adams stand, war sie wieder da. Ich spürte, wie sie langsam durch meine Knochen wanderte und mich dazu brachte, mir unsicher eine mir im Gesicht liegende Strähne hinter mein Ohr zu klemmen.

»Sie brauchen nicht aufgeregt zu sein, Ms. Johnson.«

Ich wollte ihn nur ungern anschauen, aber ich konnte nicht anders. Ich schenke ihm ein kleines Lächeln und meinte zu sehen wie sich auch eines in seinem Gesicht bildete. Er lächelte mir zu und ich hatte das Gefühl zu explodieren.

»Nach Ihnen«, sagte er schnell und deutete auf die Tür, welche nun aufging. Das Meeting begann. Auf einmal spürte ich seine sanfte Hand, welche leicht meinen Rücken berührte und mich aus irgendeinem Grund dazu brachte einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Es war seine Hand, welche mich dazu brachte zu gehen und dabei fast meine Fassung zu verlieren. In mir machte sich das mir bekannte Gefühl der Wärme breit und die Stelle an meinem Rücken, welche von ihm berührt wurde, war heiß. Ich spürte eine Hitze obwohl es noch nicht mal warm im Raum war.

»Setzen Sie sich einfach neben mich.«, brummte Mr. Adams und ich nickte etwas verloren zu ihm. Die Worte, welche er gerade so gut wie in mein Ohr flüsterte, bereiteten mir eine Gänsehaut, wie ich sie lange schon nicht mehr erlebt hatte. Ich tat, was er sagte und setzte mich direkt neben ihn. Ich wusste nicht, wieso sein Flüstern es mir antat, aber es war nun mal so.

Ich hatte sogar ein Namensschild. »Ava Johnson« stand auf diesem und lächelnd wandte ich mich zu Mr. Adams.

»Ava Maria.«, verbesserte ich ihn und schmunzelte, während ich auf seine Antwort wartete.

Nun drehte auch er sich zu mir, schaute auf mich herunter und zog seine rechte Augenbraue in die Höhe. »Sie haben einen schönen Namen, Ms. Johnson.«

Und da war es wirklich um mich geschehen. Ich wurde rot und ich spürte förmlich, wie diese Röte mir schnell in mein Gesicht schoss. Ich wusste er würde es bemerken, weswegen ich zügig ein »Danke« murmelte und so tat, als würde ich mich umschauen. Und als ich auf sein Namensschild schaute, las ich mir seinen Namen genau durch. Leo Adams. Ich fand diesen Namen ausdrucksvoll, er strahlte Macht aus. Seine Mutter hatte ihn bestimmt bewusst gewählt und unwillkürlich fragte ich mich, wer sie war.

»Zum Glück bin ich noch pünktlich.« Sofort schoss mein Kopf in die Höhe und ich sah, wie Lia sich neben Mr. Adams setzte. Schluckend schaute ich auf meine Hände und dachte nach. Es konnte nicht sein, die beiden waren doch nicht nur Arbeitskollegen.

»Ausnahmsweise mal.«, brummte Mr. Adams und schaute ihr dabei zu, wie sie ihre Unterlagen auspackte und gleichzeitig einen Schluck aus ihrem Kaffeebecher trank.

»Schau mich nicht so an, ich will meinen Kaffee schließlich noch genießen«, fing sie an zu motzen und seufzte schließlich, als sie seien eindringlichen Blick bemerkte.

»Na gut, nimm ihn dir, Leo.«, entkam es ihr, während sie ihre Augen verdrehte und ihm den Kaffee in die Hand drückte.

»Danke.«, grinste er profitierend und trank einen großen Schluck.

Nein, die beiden waren definitiv nicht nur Arbeitskollegen. Wieso sollte er denn sonst ihren Kaffee wollen? Und wieso sonst nannten sie sich beim Vornamen? Ich versuchte meine Gedanken zu verdrängen und widmete mich dem Mann, welcher gerade aufstand und zum Reden ansetzte. Konzentrier dich, Ava.

Wie ich zu Beginn erfuhr, handelte das Meeting von einem der neuen Hotels, welche Mr. Adams sponsern sollte. Für ihn wäre das sicherlich kein Problem, jedoch gefiel mir die Tatsache nicht, dass sie nicht an Parkmöglichkeiten außerhalb des Hotels gedacht hatten. Wer würde denn ein Hotel besuchen, wenn er keine Parkmöglichkeit hätte? 

Der Mann vorne redete eine ganze Weile über seine Hotelpläne und ich versuchte aufmerksam zuzuhören, während ich instinktiv versuchte Leo und Lia neben mir zu ignorieren. Mich störte diese Enge zwischen den beiden und ich wusste noch nicht einmal, warum.

»Und deswegen ist es ein ideales Angebot, Mr. Adams.« Der Unbekannte, auf dessen Namenschild Evan Reynolds stand, hatte seinen Vortrag endlich beendet und zeigte auf seine Zeichnungen und Bauskizzen. Mr. Reynolds hatte einen guten Grundgedanken und das Hotel wäre ein schönes und zentrales hier in Toronto, aber wie sollte das alles funktionieren, wenn er nicht an die Kunden und ihre Autos dachte? So viele Touristen reisen heutzutage mit dem Auto an, weil es nicht nur bequemer ist, sondern auch billiger. Wie konnte er nicht daran denken?

»Evan, ich bin wirklich begeistert und glaube, dieses Projekt hätte wirklich eine Umsetzung verdient.«, lobte ihn Mr. Adams und ich schüttelte den Kopf. Eigentlich wollte ich den Kopf nicht schütteln und dachte, ich hätte es nur in meinen Gedanken getan, jedoch schaute mich nun alle in diesem Raum vertretenen Kollegen an und ich musste schluckte.

»Ms. Johnson. Gibt es ein Problem?«

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt