𝟔𝟕. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Fast eine Woche war vergangen, seitdem ich mich dazu entschlossen hatte, das Angebot anzunehmen und es war nicht wirklich viel passiert. Ich hatte mich in der Firma eingelebt. Zu Beginn meiner ersten Woche war es irgendwie ungewöhnlich wirklich zu arbeiten und hier angestellt zu sein. Ich bekam mein eigenes Büro, hatte viel zu erledigen und musste einmal in der Woche, immer Mittwochs, auf die Journalistenschule. Ich hatte einen strikten Plan, der dafür sorgte, dass ich von acht Uhr morgens bis sechszehn Uhr arbeiten musste und beschäftigt war. Als ich am Montag das erste Mal in mein Büro spazierte, bin ich fast umgefallen. Es war zwar klein, aber die riesige Fensterfont erlaubte mir einen Blick über ganz Toronto zu werfen. Es war wie im Lift, nur noch besser. Es war wirklich atemberaubend und ich fragte mich, ob Leo sich dafür eingesetzt hatte, dass ich so eine schöne Aussicht genießen durfte, denn meine Kollegin Bianca sagte mir noch am selben Tag »Du hast das schönste Büro von allen. Unseres ist nicht so hell und groß«. Ich wusste nicht wirklich, was ich darauf antworten sollte, aber hinterfragte es meinen ganzen ersten Arbeitstag. Falls Leo mir diesen Gefallen wirklich getan hatte, dann wäre ich ihm sehr dankbar dafür.

Logan war seit Montag auch nicht mehr nur der Abteilungsleiter, sondern ab jetzt auch sowas wie mein Chef. Aber dadurch, dass ich ihn schon kannte, war das erste Wiedersehen keinesfalls unangenehm. Er hatte mich sogar umarmt, was ich ziemlich herzlich fand. Er erläuterte kurz und knapp mir den Tagesablauf, sagte mir wann ich Pause machen durfte und erklärte mir noch ein paar wesentliche Dinge, die ich unbedingt wissen musste. Damit war der Montag auch schnell vorbei. Am nächsten Tag ging es für mich dann auch schon an die Arbeit. Ich hatte die Aufgabe, alte Artikel auszusuchen und erneut zu verfassen - also moderner zu machen. Ich war den ganzen Tag mit dieser Aufgabe beschäftigt. Lia kam mich in der Pause besuchen und brachte mir meinen Lieblingstee. Ich schmunzelte darüber, dass sie noch immer wusste, dass Pfefferminz meine Lieblingssorte war. Der Mittwoch verging ebenfalls total schnell und nun saß ich hier, an einem Donnerstagmorgen, trank meinen Tee, formulierte einen älteren Artikel um und starrte auf die Dächer Torontos. Ich war nachdenklich. Diese Situation war neu und die letzten Tage total aufregend.

Nur eine Person hatte ich diese ganzen Zeit über nicht gesehen.

Leo.

Irgendwie war es ja das gewesen, was ich die ganze Zeit über wollte. Dass ich hier arbeitete und ihm nicht mehr gegenüber stehen müsste. Ich hatte ihm klar gemacht, dass ich diesen Job nicht wegen ihm angenommen hatte und wahrscheinlich hatte er auch verstanden, dass das hieße, dass ich ihn nicht mehr sehen wollte. Aber irgendwie hatte ich ihn die ganze Woche erwartet.

Ich wollte, dass er in mein Büro spazierte. Wollte, dass er fragte wie es mir ging und wie ich mich eingelebt hatte. Wollte, dass er sich entschuldigte und mir zeigte, dass er sich nicht nur geändert hatte, sondern sich endlich für mich entschieden hatte. Meine Gedanken kreisten so oft an ihn und der Frage, was wohl mit uns passiert wäre, wenn er mir gesagt hätte, dass er mich liebte. Immer wieder fragte ich mich, wieso er mich gehen lassen musste. Und auf all diese Fragen, die mich manchmal beschäftigten oder nachts nicht schlafen ließen, hatte ich keine Antworten. Ich hatte keine Erklärung, wieso alles so gekommen war, wie es nun mal eben gekommen war. Das war halt mein Schicksal. Auch wenn mir diese Tatsache manchmal wehtat.

Es war für mich einfach hier zu sitzen und zu arbeiten. Ich sah ihn nicht und ich redete auch nicht mit ihm. Eine Woche war vergangen und ich war ihm noch nicht einmal kurz begegnet oder flüchtig über den Weg gelaufen. Es war, als wäre er gar nicht der CEO bei Adams Industries. Es war, als wäre er gar nicht hier. Und trotzdem schwirrte sein Name in meinem Kopf herum. Ließ mich nicht los.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt