𝟒𝟒. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥

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Es war schon spät. Lia hatte mir einen Tee auf mein Zimmer gebracht und schlürfte gerade - wer hätte es gedacht - an ihrem schwarzen Kaffee. Sie hatte mich nicht mehr befragt, was das Geschehnis des Abends betraf und ich konnte mich beruhigen. Mir flog nur die ganze Zeit der selbe Gedanke durch den Kopf und ich fand einfach keine Ruhe.

»Schmeckt dein Tee? Willst du noch einen?« Sie stand schon auf um sich auf den Weg zu machen, doch ich streifte ihren Arm bei dem Versuch, sie davon abzuhalten. »Alles gut, ich möchte keinen mehr trinken«, erwiderte ich und bedankte mich dafür, dass sie so lange für mich da war. Auch wenn wir nicht wirklich viel sprachen und einfach stumm auf dem Balkon saßen, fühlte ich mich sicher und geborgen.

»Ist es normal, dass Leo so.. reagiert?« Diese Frage platze einfach aus mir heraus und ich hatte vorher nicht wirklich darüber nachgedacht. Ich wollte einfach nur eine Antwort, um mein Gewissen stillen zu können.

»Das ist kompliziert, Ava«, seufzte sie und trank den letzten Schluck ihres Kaffees aus. »Und eine lange Geschichte. Denk nicht zu viel darüber nach«, fügte sie ernst hinzu und ich nickte, während sie mich mit ihrer Antwort noch mehr verwirrte. Was war ihm in seiner Vergangenheit so schlimmes widerfahren, dass aus dem ernsten, höflichen Leo Adams ein solcher Schläger wurde?

Mich hatte die Situation im Büro schon erschrocken und ich bemerkte seine Neigung zur Aggressivität, als er auf Lias Tisch haute und das mit so einer Wucht, dass alle Blätter von Lia durcheinander auf den Boden wirbelten. Aber ich hätte nicht gedacht das es Leo so einfach fiel, eine Person so herzurichten.

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Lia war schon seit ein paar Minuten aus meinem Zimmer verschwunden und hatte mich alleine gelassen. Sie wollte, dass ich nicht mehr darüber nachdachte und schlafen ging, aber einen ruhigen Schlaf konnte ich in dieser Verfassung vergessen und ich konnte meine Augen nicht schließen, ohne diese Prügelei vor meinen Augen zu sehen oder Davis ekligen Hände an meinem Körper zu spüren. Ich war alleine und hilflos und musste Leo einfach sehen. Sonst würde ich nicht einschlafen können.

Der letzte Augenblick, in welchem ich in seine Augen schaute war mir nicht genug. Ich erkannte diesen ganzen Schmerz und diese ganze Aggression in seinen Augen und ich kam nicht damit klar, das er meinetwegen so etwas erleben musste. 

Schnell stand ich auf, zog mir nur eine Jacke über meine kuscheligen Pyjamas an und verschwand aus meinem Zimmer. Meine Zimmerkarte steckte ich schnell ein und versuchte so leise wie möglich über den Flur zu spazieren. Und plötzlich fiel mir auf, dass es hier vier weitere Zimmer gab und ich keine Ahnung hatte, in welchem sich Leo befand. Seufzend musste ich akzeptieren, dass ich ihn nicht finden würde, ohne vorher Lia zu fragen. Doch keinesfalls wollte wieder zurück in mein Zimmer, sondern machte mich auf den Weg zu der riesigen Dachterrasse, welche uns in unserer Etage geboten wurde. Ich wollte nicht schwimmen gehen, ich wollte bloß etwas frische Luft schnappen.

Das Ereignis dieser Nacht hatte mich sehr durcheinandergebracht und die Einzige die davon wissen durfte, war Molly. Das alles dürfte niemals in die Ohren meines Vaters oder von Mary gelangen, denn ich hatte Angst vor ihren Reaktionen und den Auswirkungen. Ich lehnte mich an das Gitter der Terrasse und hatte den perfekten Blick auf die gesamte Stadt.

Mein Blick glitt über Denver - eine lebendige Stadt bei Nacht, wie ich am eigenen Leib zu spüren bekommen habe. Der Gedanke, das dieser Davis mir etwas angetan hätte, wenn Leo nicht dazwischengekommen wäre, ließ die Panik förmlich in mir aufsteigen. Ich hatte sowieso schon wenig Erfahrung mit Jungs, die aller erste Erfahrung machte ich mit Leo und es war ungewohnt, so eine Erfahrung gegen seinen eigenen Willen machen zu müssen.

Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie Frauen oder sogar junge Mädchen sich fühlten, wenn keiner sie rettete. Ich wollte mir diesen schrecklichen Gedanken aus dem Kopf schlagen, doch es ging nicht. Es ging nicht, weil ich heute eine ähnliche Erfahrung gemacht hatte. Und ich würde diese nicht so schnell aus meinem Kopf kriegen können. Mir fuhr eine unwohle Gänsehaut über meinen Körper, sobald ich an das Ereignis des Abends dachte. Mein Kopf fand keine Ruhe und ich konnte mich nicht dazu bringen, einzuschlafen.

the interview | ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt