Chapter 10

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Die Welt schien stehen geblieben zu sein. Der zuerst sanfte und zögerliche Kuss hatte sich in einen leidenschaftlichen und nie endenden Kuss verwandelt. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ich spürte mein inneres vibrieren. Mein Herzschlag hatte sich mit dem von Johannes synchronisiert. Johannes Lippen waren weich. Er schmeckte nach Schokolade.

Als wir uns voneinander lösten, schnappten wir nach Luft. Sekunden, in denen wir nur nebeneinander saßen und in die Luft starrten wurden zu Minuten. Keiner von uns wagte es ein Wort zu sagen. Uns beiden war klar, dass wir soeben eine moralische Grenze überschritten hatten. Doch ich für meinen Teil war glücklich darüber.

Seit Jahren hatte ich das erste Mal wieder das Gefühl von Schmetterlingen, die bei einem Kuss flatterten verspürt. Das wunderbare Gefühl, das ein Leben so schön macht. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass es richtig war.

Die Luft knisterte hörbar. Auch die romantische Spannung zwischen den mit Dopamin gefüllten Menschen, war nicht übersehbar.

Johannes räusperte sich und öffnete den Mund. Er wollte offensichtlich etwas loswerden. Doch er schloss den Mund wieder. Einen Moment später räusperte er sich erneut und ergriff mit rauer Stimme das Wort: "Das war unglaublich. Wirklich. Ich weiß nicht wie es dir geht, aber ich bereue nichts".

Kaum hatte er den Satz zu Ende gebracht, stürmte Levi aus seinem Zimmer. "Hallo Johannes", sagte er. Er nahm sich etwas zu trinken und wandte sich uns zu. "Spielen wir Uno?", fragte er dann. Ich wollte schon ansetzen und sagen, dass der Moment eher ungünstig war, doch Johannes nickte. Levi schnappte sich die Karten und wir begannen zu spielen.

Immer wieder sahen Johannes und ich uns in die Augen. Ich konnte mich nicht richtig auf das Spiel konzentrieren, denn immer wieder dachte ich an den Kuss. Der Moment der mich so sehr elektrisiert hatte, dass ich das Gefühl hatte, ich müsse jeden Moment zu Johannes sprinten und ihn küssen.

Auch er war offensichtlich nicht ganz bei der Sache, denn auch er verlor, genau wie ich Runde um Runde gegen Levi.

Nicht nur das ich das Verlangen nach einem weiteren Kuss verspürte, sondern auch die vielen ungeklärten Fragen machten es nicht besser.

"Ach Mann, ihr verliert ja ständig. Immer nur zu gewinnen macht kein Spaß, ich geh ins Bett", sagte Levi irgendwann. Also brachte ich ihn nach dem Zähneputzen und dem Umziehen ins Bett und setzte mich wieder neben Johannes auf das Sofa.

Er ergriff das Wort: "Hör zu. Ich denke wir beide sind etwas verwirrt von der Situation, aber ich weiß was ich fühle. Mir ist das egal, ob du meine Schülerin bist, mir ist es egal ob du acht Jahre jünger bist als ich, mir ist es egal ob du durch den Tod von Ilay getrennt wurdest und deshalb noch so viel an ihn denkst und es ist mir egal, ob du einen Sohn mit einem anderen Mann hast. Ich hab mich wahnsinnig -oh und du glaubst nicht wie sehr- in dich verliebt. Und es wär mir eine Ehre mich deinen Freund zu nennen und Levi zu behandeln, als wäre er mein eigener Sohn. Und so sehr ich dich gerne fragen würde, ob du meine Freundin sein willst, so weiß ich auch, dass wir zuerst über die Zukunft reden müssen".

Johannes machte mich glücklich mit seinen Worten, doch der letzte Satz versetzte mir einen dumpfen Schlag in die Magengegend. Allerdings hatte er Recht. Wir konnten nicht die nächsten paar Jahre eine geheime Beziehung führen. Das wäre unrealistisch und würde keinen von uns glücklich machen. Im Gegenteil. Es würde uns eher kaputt machen und uns die Chance auf eine gemeinsame Zukunft nehmen.

"Was erwartest du von deiner Zukunft?", fragte Johannes dann. Ich dachte kurz nach, doch eigentlich lag mir die Antwort schon auf der Zunge: "Ich möchte noch mal Kinder bekommen. Ich hab mir immer gesagt ich möchte nicht, dass meine Kinder so weit auseinander sind, also möchte ich bald mal Kinder. Levi ist immerhin schon fünf. Und außerdem werde ich auch nicht jünger. Und wenn meine Kinder erwachsen sind möchte ich auf reisen gehen. Ich möchte in so viele Länder wie möglich reisen". Johannes atmete glücklich aus: "Ich muss sagen, dass ich etwas Angst hatte, dass sich deine Pläne sehr von meinen unterscheiden und du vielleicht keine Kinder mehr möchtest oder so, aber offensichtlich hast du sehr ähnliche Erwartungen an dein Leben wie ich. Ich hab tatsächlich auch sehr viel über das Kinderkriegen nachgedacht. Ich mein ich bin 31 Jahre alt, ich möchte durchaus in den nächsten paar Jahren Kinder bekommen. Und ich möchte gern ein Haus bauen. Und die Verbeamtung hätte ich auch gern. Und dann will ich auch reisen".

Aneinander gelehnt saßen wir auf dem Sofa. In meinem Kopf ratterten die Gedanken und ich wusste dass es Johannes nicht anders ging.

"Es gibt eigentlich nicht viele Möglichkeiten für uns. Entweder du kündigst und gehst an eine andere Schule, was in Anbrtracht deiner Pläne der Verbeamtung eher ungünstig ist, oder wir setzen da eine andere Idee um", fasste ich meine Gedanken zusammen. Johannes sah mich fragend an, also sagte ich: "Du möchtest bald Kinder und ich auch, also sollten wir vielleicht herausfinden ob wir beide miteinander funktionieren und ob das das richtige ist. Wenn ja mach ich meine nur meine Ausbildung zur Sozialassistentin und wir kümmern uns um unsere Pläne. Immerhin sind das nur zwei Jahre und kann danach aufhören ohne dass ich irgendwann etwas nachholen muss wenn ich dann noch die Erzieherausbildungmachen will".
Johannes sah mich nachdenklich an: "Ja, daran hab ich auch gedacht. Ich mach mir nur ein wenig Sorgen, dass wir überstürzt handeln und vielleicht zu schnell Kinder bekommen weil wir uns von unserem Alter oder von dem von Levi beeinflussen lassen". Ich nickte zustimmend. Der Gedanke war mir auch schon gekommen.

Erneut kehrte Ruhe ein. Ich hörte das leise summen des Kühlschranks. "Vielleicht sollten wir es einfach tun. Lass uns ein Paar werden und einfach mal schauen was passiert. Ich meine wir wissen schon viel übereinander, aber wenn wir wissen ob wir auch für eine Beziehung kompatibel sind, dann können wir ja nochmal darüber reden. Ich kann ja trotzdem erst mal nur die Ausbildung zur Sozialassistentin machen. Ich bekomme ja durch die Wohnung genug Geld. Und vielleicht kann ich dann noch ein anderes Haus renovieren", schlug ich vor. Johannes strahlte.

Two Miles apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt