„Diese Wolke sieht aus wie ein Hase", sagte ein kleiner Junge. Er saß mit seiner Mutter auf einer Picknickdecke auf einer Wiese.
Am Himmel schwebten ein paar vereinzelte, schneeweiße Wolken. Die Wiese war grasgrün. Es roch nach frisch gemähtem Gras und um die beiden liegenden Menschen herum standen einige Bäume deren Blätter sich langsam verfärbten und den Herbst ankündigten.
Am Rande der Straße stand ein roter Mercedes. In seinen Scheiben spiegelten sich zwei auf dem Boden liegende Menschen. Der kleine Junge von etwa vier Jahren rümpfte seine Nase. Die dunkelblonden Haare wehten im Wind und er kniff seine blauen, von der Sonne geblendeten Augen leicht zu. Seine Haut war vom Sommer gebräunt und wenn er lachte, kamen seine Grübchen zum Vorschein.
Die Grübchen hatte er von seiner Mutter geerbt. Sie lag neben ihm. Gemeinsam wollten die beiden die letzten Sommertage genießen, bevor der Herbst hereinbrechen würde.„Mama, bin ich dann eigentlich immer länger im Kindergarten wenn du wieder arbeiten gehst?", fragte der Junge. „Nicht immer Levi, nur manchmal. Aber ich hol dich dann immer sofort ab".
Ich dachte an die kommenden Monate. Nachdem ich mich die letzten Jahren allein um meinen Sohn Levi gekümmert hatte, wollte ich nun endlich eine Ausbildung beginnen und mich um meine Zukunft kümmern. Schon seit meiner Schulzeit wollte ich Sozialassistentin werden. Dafür musste ich einiges aufgeben, unter anderem die viele Zeit die ich für Levi hatte, denn er war mein ein und alles und vor allem das letzte was mir aus meiner Vergangenheit geblieben war.
Trotzdem empfand ich hauptsächlich Vorfreude auf die kommende Zeit, als ich zu Beginn des neuen Schuljahres Levi in die Kita fuhr um danach zur Berufsschule zu fahren. Ich hatte die letzten Tage ohne schulische Verpflichtungen mit Levi genutzt und war nun bereit für den Ernst des Lebens.
Die Fahrt zur Berufsschule dauerte fast 40 Minuten. Ich hörte meine Lieblingsplaylist und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Es war erst 9:00 Uhr morgens als ich ankam. Die Schule sah aus wie jede andere. Ein trister Klotz mit ein paar Containern im Schulhof. Einer dieser Container war der Ort an dem ich meinen ersten Unterricht haben sollte.
Davor hatten sich bereits einige Grüppchen gesammelt. Offenbar fast alle Mädels die genau wie ich auf die Klasseneinteilung warteten. Ein glatzköpfiger Mann mit Brille brachte die Liste mit den Namen und hängte sie an die Tür des Containers. Ich suchte die Liste ab. „Luna Díaz 2BKSA1 Con 1". Die Ausbildung konnte offiziell beginnen. Ich lief in den Raum der auf der Liste stand und setzte mich auf einen der Blauen Plastikstühle in die dritte Reihe.„Darf ich?", fragte ein Mädchen mit braunen Haaren. Ihre grünen Augen stachen hervor und ließen die relativ dunkle Haut strahlen. „Klar", antwortete ich. „Ich bin Emilia", stellte sie sich vor. „Luna, freut mich". Wir hatten kaum Zeit uns noch mehr auszutauschen, denn eine Frau mittleren Alters stellte sich vor die Tafel und stellte sich als Klassenlehrerin vor.
Ich genoss diesen ersten Schultag. Seit über 7 Jahren war ich nun nicht mehr in einer Schule gewesen. Es hatte sich nichts verändert außer dass die Grünen Tafeln durch Whiteboards ausgetauscht worden und die Inneneinrichtung moderner geworden war.
Die Lehrerin begann damit, uns einige Infos über das kommende Jahr zu geben und wollte dann mit der Klasse ein paar Spiele zum Kennenlernen machen. Ziemlich schnell stellte sich heraus, dass ich mit meinen 23 Jahren der alte Hase unter den Schülern war. Die meisten meiner Mitschüler bewegten sich zwischen 15 und 18 und nur vereinzelte waren 19 oder auch 20. Das Mädchen neben mir war auch erst 17. Trotzdem wirkte sie sehr aufgeweckt und freundlich.
In der Pause fanden sich sofort einige Grüppchen die sich untereinander unterhielten. Ich schloss mich Emilia und zwei anderen Mädchen aus meiner Reihe an. "Wie kommt es, dass du schon 23 bist? Was hast du die letzten Jahre so gemacht?", fragte Emilia mich irgendwann. Ich lachte nervös. Ich hatte Respekt vor dieser Frage und stotterte als ich antwortete: "Ehh, ich hab ein Kind. Ich hab mich in den letzten Jahren um die Erziehung gekümmert, ein Haus renoviert und ein bisschen gejobt". Innerhalb der Gruppe wurde es für einen Moment ruhig. Man konnte den Mädchen ansehen wie erstaunt sie waren. Die Augen von Emilia waren groß wie Wagenräder und ihr Mund stand offen. Als sie es bemerkte schloss sie ihn, räusperte sich und antwortete: "Ach krass das hätte ich jetzt nicht gedacht".
Die letzten zwanzig Minuten dieses Schultages zogen sich. Ich sah immer wieder nervös auf die Uhr. Immer wieder schweiften meine Gedanken zu Levi ab. Die Fahrt zur Kita waren wie eine Erlösung. Gerade weil er das letzte war was mir geblieben war fiel es mir schwer so weit weg von ihm zu sein. Unterwegs dachte ich über den Tag nach. Meine Klasse war mir sympathisch. Ich war schon gespannt wenn es mit der Arbeit im Kindergarten losgehen würde, doch bis dahin hatten ich noch drei Wochen Berufsschule. Und in dieser Zeit würde auch noch der Geburtstag von Levi sein. Ich dachte seit Tagen darüber nach. Levi hatte mir bereits genaustens erklärt wen er alles bei seinem fünften Geburtstag dabeihaben wollte, jedoch konnten wir uns bisher nicht auf ein Motto einigen. Wie sein Vater fand Levi Tennis spannend, doch meiner Meinung nach konnte man mit lauter vier- und fünfjährigen auf keinen Tennisplatz gehen. Vielleicht würde es ein einfacher Geburtstag in unserer Wohnung werden. Oder wir würden ins Kinderland gehen.
Bis ich bei der Kita ankam dachte ich darüber nach, doch ich schob das Thema wieder beiseite, als Levi mir am Holztörchen der Kita förmlich entgegengeflogen kam und mir in die Arme sprang. Ich drückte ihn fest an mich. Levi strahlte. Er fing sofort an von dem Tag zu erzählen und im tiefsten Innern wusste ich, dass es gut so war wie es war. Auch wenn ich Levi liebte musste ich anfangen mal wieder mehr an mich und meine eigene Karriere zu denken.
Die Sonne strahlte mit aller Kraft vom Himmel hinunter und die Bäume bewegten sich im Wind. Als würde die ganze Umwelt zustimmend applaudieren.
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Two Miles apart
RomanceTwo Miles apart, eine Geschichte über eine junge Frau inmitten ihrer zwanziger, deren Leben sich um 180° dreht, als sie sich Hals über Kopf in einen Mann verliebt. Die Hürden die ihre Beziehung bereitstellt, scheinen durch das Schüler-Lehrer Verhält...