„Willst du mich verarschen?", fragte ich. „Wieso sollte ich?", stellte sie die Gegenfrage.
Innerlich fing ich an zu brodeln. Diese Frau die mich angeblich vor vierundzwanzigeinhalb Jahren aus ihrem Geburtskanal gepresst hatte, behauptete seit daher meine Mutter zu sein, doch ich kannte sie mittlerweile gut genug um mir vorstellen zu können, dass das nur wieder eine ihrer seltsamen Maschen war.
„Hast du Nierenkrebs und willst jetzt ne Niere von mir oder wieso rufst du an?", sagte ich fast wütend in den Hörer. Dieser gab nichts als Stille von sich. Dann das Tuten. Meine Mutter hatte aufgelegt. Ich verdrehte die Augen und legte mich wieder ins Bett.
"Und was war das jetzt?", fragte Johannes zögerlich. Ich grunzte und drehte mich weg. "Erzähl ich dir morgen, jetzt bin ich zu sauer", brummte ich.
Am nächsten Morgen war ich müde. Ich hatte die halbe Nacht damit verbracht über meine Mutter nachzudenken.
"Darf ich jetzt fragen was los war?", fragte Johannes kaum das wir am Frühstückstisch saßen. "Meine Mutter behauptet sie hat Krebs", erwiderte ich kurz und knapp. Johannes sah mich an, als hätte ich ihn mit dem Bus überfahren und ihn dann mit Bastelkleber geflickt. "Bitte was hat sie?", fragte er nachdem er sich wieder gefangen hatte. "Sie behauptet sie hat Krebs. Und mich nervt das, denn eigentlich interessiert mich das nicht, ich hab ihr gesagt sie soll mich in Ruhe lassen, denn sie war sicherlich nicht eine überwältigende Mutter. Und ich bin mir auch ziemlich sicher, dass sie mich nur angerufen hat weil sie jetzt irgendwas von mir braucht. Oder es stimmt noch nicht mal", führte ich aus.
Johannes kam gar nicht dazu zu antworten, denn in diesem Moment klingelte es an der Tür. "Ist Luna da?", hörte ich die Stimme von meinem Vater fragen. Johannes nickte und mein Vater trat ein. Er sah sich neugierig um und kam dann zögerlich zu mir und setzte sich mir gegenüber an den Tisch. "Hat Mama dich als ihren Laufburschen geschickt?", fragte ich provokant. Es gab nichts was ich meiner Mutter nicht zu traute. "Du bist unfair", stellte mein Vater fest. "Nein. Die Frau hat mich allein in den letzten sieben Jahren behandelt als wäre ich ihr Erzfeind. Und bei Gott, ich hab ihr nichts getan. Die kommt jetzt doch sicher nur angekrochen weil sie was braucht", erwiderte. "Luna. Sie hat wirklich Krebs. Und sie will nichts von dir. Zumindest keine Organspende. Sie wünscht sich einfach nur, dass ihr redet und du ihr vielleicht irgendwann verzeihst", gab mein Vater zurück.
In meinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Hatte ich ihr unrecht getan? War ich vielleicht wirklich unfair? Die Sekunden verstrichen und wurden zu Minuten. Johannes hatte unter dem Tisch nach meiner Hand gegriffen und drückte sie leicht.
"Was für Krebs hat sie? Und wie ernst ist es?", fragte ich dann. Irgendwie hatte ich Respekt vor seiner Antwort. "Sie hat Schilddrüsenkrebs. Im Anfangsstadium. Sie war letzte Woche beim Arzt für ihren jährlichen Check. Und der Arzt hat Knötchen entdeckt. Und jetzt hat sich herausgestellt, dass es Krebs ist. Nächste Woche wird die Schilddrüse entfernt und nächsten Monat muss sie eine Radiojodtherapie machen. Die Prognosen sind relativ gut, denn der Kreb hat noch nicht gestreut", fasst er zusammen.
Wieder verging Minute um Minute. Ich musste das Gesagte verarbeiten. "Und was ewartest du jetzt von mir?", fragte ich dann weiter. "Ich erwarte nichts von dir. Du weißt selbst, dass ich das Verhalten von Mama nicht gut fand. Aber sie wünscht sich sehr, dass du zumindest nochmal mit ihr redest. Wenn du das nicht tun willst kann ich dich verstehen, aber du würdest ihr eine Freude machen. Und nur reden heißt ja nicht gleich, dass du ihr verzeihen musst", sagte die raue Stimme. Langsam nickte ich.
In diesem Moment kam Levi aus seinem Zimmer. "Hallo Opa", sagte er mit verschlafener Stimme. Also schluckte ich die Fragen herunter die ich eigentlich auch noch stellen wollte und fokussierte mich auf Levi.
Dieser legte sich nach dem Frühstück auf den Spielteppich im Wohnzimmer und begann, mit seinen kleinen Spielzeugautos über die aufgenähten Straßen zu fahren. Mein Vater war wieder gegangen und ich saß noch immer am Tisch und kaute nervös auf meiner Unterlippe herum. Johannes hatte inzwischen den Tisch abgeräumt und setzte sich wieder neben mich.
"Meinst du ich sollte mit ihr reden?", fragte ich Johannes. "Ich weiß es nicht mein Schatz. Und ich denke meine Meinung sollte hier auch keine Rolle spielen, denn du allein musst wissen, ob du noch mal mit ihr reden willst", sagte Johannes. Manchmal mochte ich es nicht wenn er recht hatte.
Am ersten Weihnachtsfeiertag sollte meine Mutter operiert werden. Am Morgen vor Heiligabend entschloss ich mich dann dazu, meine Mutter zu besuchen. "Hallo", sagte ich als sie die Tür öffnete. "Luna! Gott sei Dank bist du da. Ich hatte so Angst, dass ich dich nicht mehr wiedersehen würde", sagte meine Mutter. In ihren Augen standen die Tränen. "Nur weil ich hier bin, heißt das nicht, dass ich dir verzeihe", erwiderte ich knapp.
Die ersten paar Minuten in denen wir uns am Küchentisch gegenüber saßen waren seltsam. "Ich will mich bei dir entschuldigen. Ich weiß, dass Ganze ist eigentlich unentschuldbar, denn ich habe dich absolut schrecklich behandelt. Ich war dir vorallem in den letzten Jahren eine grausame Mutter. Und ich weiß, dass du es verdient hättest, eine Mutter zu haben die zu dir steht, dich unterstützt und für dich da ist. Und Levi hat eine bessere Oma verdient. Ich weiß selbst, dass ich für niemanden der Mensch war, den er gebraucht hätte und ich erwarte nicht, dass du mir verzeihst. Ich möchte einfach nur, dass du weißt wie leid es mir tut", sagte meine Mutter dann mit zittriger Stimme.
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Two Miles apart
RomanceTwo Miles apart, eine Geschichte über eine junge Frau inmitten ihrer zwanziger, deren Leben sich um 180° dreht, als sie sich Hals über Kopf in einen Mann verliebt. Die Hürden die ihre Beziehung bereitstellt, scheinen durch das Schüler-Lehrer Verhält...