Chapter 49

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Es war schon nach dem errechneten Geburtstermin bis wir uns endlich für einen Namen entschieden hatten. Was auch besser so war, denn spätestens wenn ich zwei Wochen drüber war, würde die Geburt eingeleitet werden.

Und je mehr Stunden vergingen, desto unleidlicher wurde ich. Johannes hatte zum Glück frei bekommen und stand mir bei. Er akzeptierte meine schlechten Launen wortlos und las mir jeden Wunsch von den Augen ab. Doch der einzige Wunsch der mir auf der Seele brannte war, dass unser Baby sich endlich auf den Weg machte, denn mit jedem Tag wurde es anstrengender. Nicht nur, dass ich meinen Schambereich schon längst nicht mehr sehen konnte und ich meine Schuhe nicht mehr alleine binden konnte, sondern auch die Tatsache, dass ich wirklich ständig auf Toilette musste, machte es anstrengend. Zwar hatte ich schon Senkwehen, aber die brachten mir relativ wenig.

„Sex. Haben sie Sex miteinander", schlug die Frauenärztin vor. Johannes sah sie erstaunt an. Ich verdrehte die Augen. Ich kannte die Theorie. Aber schon seit ich in den sechsten Monat gekommen war, hatte Sex nicht gerade den größten Reiz. Denn mal abgesehen davon, dass ich mich einfach nur noch wie ein überdimensionales Walross mit Orientierungsschwierigkeiten fühlte, war es anstrengend und man konnte sowieso nur noch in genau einer Stellung miteinander schlafen.

Ich betrachtete etwas schwerere Menschen in einer Partnerschaft sowieso auf eine ganz neue Art und Weise, seit ich selbst den Umfang eines Bierfasses hatte. Und wie sollte man sich dann zwei Menschen mit dem Umfang eines Bierfasses beim Körperflüssigkeitsaustausch vorstellen? War es überhaupt möglich seine Geschlechtsteile in üblicher Form zusammenzubringen wenn man diese noch nicht einmal mehr ohne Spiegel grüßen konnte?

Doch ich wollte, dass mein Baby endlich das Licht der Welt erblickte, also folgten wir dem Ratschlag der Frauenärztin. Die Metapher des Bierfasses hatte sich in meinem Kopf festgesetzt. Doch ironischerweise wurde bei mir keine Korken herausgezogen, sondern hineingetan.

Und gebracht hatte es schlussendlich auch nicht viel. Gut, für Johannes Befriedigung, doch für mich war es eher ein Mittel zum Zweck, denn man zeige mir mal eine Frau die sich in ihrer 42. Schwangerschaftswoche noch sexy fühlt.

Doch tatsächlich passierte etwas. Einen Tag bevor wir in die Klinik zum Einleiten fahren wollten, platzte mitten in der Nacht meine Fruchtblase. Vor lauter Freude begann ich zu jubeln. Johannes wurde davon wach und sah mich verwirrt an. „Die Fruchtblase ist geplatzt", erklärte ich glücklich und küsste ihn schwungvoll. Man konnte zusehen wie er vom einen auf den anderen Moment fast panisch wurde und sich hastig anzog. Ich dagegen stieg in aller Seelenruhe, noch immer breit grinsend in meine Hose. Erstaunlicherweise hatte ich die Ruhe weg und noch bereitete mir der Gedanke meiner bevorstehenden Geburt keinerlei Angst.

Levi hatten wir Abends bereits zu Abuela gebracht, denn wir hätten uns direkt am Morgen auf den Weg zur Einleitung gemacht. Johannes hatte die Tasche schon längst ins Auto gepackt, so setzten wir uns einfach nur hinein und fuhren in Richtung Krankenhaus. Unterwegs überkam mich auch schon die erste Wehe. Nicht lang und auch nicht sonderlich schmerzhaft, doch sie machte mich wunschlos glücklich und sofort begann ich sie einzutragen.

Im Krankenhaus angekommen, wurden wir von einer Hebamme empfangen, die mich ans CTG anschloss und den Muttermund ausmaß. „Die Wehentätigkeit ist gut, der Muttermund ist bei einem Zentimeter", stellte sie fest. Nachdem ich eine Stunde am CTG verbracht hatte, wurde ich in ein Zimmer gebracht. Die Wehen wurden nur sehr langsam stärker und kamen auch nicht wirklich mit kürzerem Abstand. Nach zwei Stunden kam die Hebamme wieder zu uns. „Na Frau Schulte, das scheint mir ja eine etwas längere Geburt zu werden. Ich würde vorschlagen, dass Sie mit ihrem Mann ein wenig spazieren gehen, dann irgendwo gemütlich frühstücken und dann wieder kommen", schlug sie vor. Ich rümpfte die Nase. Wenigstens lag ich überhaupt in den Wehen.

Also machten wir uns auf den Weg. Wir spazierten über die Kieswege in dem kleinen Park neben dem Krankenhaus. Immer wieder blieben wir stehen, ich atmete meine Wehen weg und Johannes trug sie brav ein, während ich mich an ihm fest hielt. Es war kalt draußen und ich war froh als wir der Luft entkommen konnten und uns in einen Bäcker setzten um uns ein Frühstück zu bestellen. Wir waren die einzigen Kunden. Als die Bäckerin erfuhr, weshalb wir hier waren, tischte sie mir etliche Dinge auf und sagte: „Greifen Sie zu, so wird ihr Sohn im Nu kommen".

So ganz recht hatte sie nicht. Die Schwestern auf der Station hatten angefangen Wetten abzuschließen, ob er noch am 28. Februar oder erst am 1. März kommen würde. Ich selbst tippte auf den 1. März, denn es ging nur sehr langsam voran. Ich behielt Recht.

Es war schon weit nach Mitternacht bis mich die Hebamme in Kreißsaal brachte. Dann ging es relativ zügig. Meine Wehen waren schmerzhaft und ich schrie bei jeder neuen Wehe wie eine Besessene und krallte mich in Johannes Arm fest. Johannes sah käseweiß, verschwitzt und erschöpft aus. Ich konnte es ihm nicht verdenken, denn so wie er aussah fühlte ich mich.

Ich war fast glücklich, als die Hebamme sagt: „So Frau Schulte, jetzt dauert es nicht mehr lange, denn jetzt ist es Zeit zu pressen". Ich brüllte hemmungslos in den sterilen Raum hinein, während ich versuchte das zu tun was die Hebamme mir sagte. „Du schaffst das", flüsterte Johannes ermutigend von der Seite. „WOHER WILLST DU DAS WISSEN? DIESES BABY MUSS AUS EINEM AUSGANG DER DEFINITIV ZU KLEIN IST? UND WIESO? WEIL WIR EIN PAAR MINUTEN SPAß HATTEN!", brüllte ich verzweifelt. Der Arzt der sich inzwischen dazu gesellt hatte, sah höchst verwirrt aus. Er war wohl keine Frauen gewöhnt, die ihre Männer in Deutsch anschreien. Johannes war wohl auch ein wenig verwirrt, denn er sah ein wenig irritiert aus. „Das ist völlig normal, wenn die Gebärenden ihre Männer anschreien", beruhigte eine der Schwestern Johannes.

Nach ein paar weiteren Minuten Schmerzen war es soweit. Ich hörte einen kleinen durchdringenden Schrei und mir wurde mein Baby auf die Brust gelegt. Sämtliche Anspannung fiel ab und ich begann zu schluchzen. Genau wie Johannes. „Das ist mein Sohn", flüsterte er weinend. Die Hebamme ließ uns einen Moment in Ruhe und textete mich dann über die Nachgeburt zu. Doch ich hatte nur Augen für das kleine Bündel in meinem Arm.

Die Nachgeburt klappte ohne Komplikationen und unter Tränen durfte Johannes die Nabelschnur abschneiden. „Haben Sie denn schon einen Namen?", fragte die Hebamme. Johannes sah mich an, ich nickte und mit zitternder Stimme sagte er glücklich: „Er heißt Emilio Sebastiàn". Die Hebamme nickte und nahm ihn zur U1 mit.

Johannes umarmte mich, wischte mir den Schweiß und die Tränen aus dem Gesicht und küsste mich. „Ich liebe dich".

Two Miles apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt