Chapter 31

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Wie in Trance fuhr ich in das städtische Krankenhaus. Die Frau am Telefon hatte mir keinerlei Auskunft über den Gesundheitszustand von Levi und Johannes gegeben. Den Beiden konnte es gut gehen, aber genauso gut könnten sie im Sterben liegen.

Ich hatte aufgehört zu weinen. In mir war die pure Angst. Meine Hände waren schwitzig und zittrig und ein Blick in den Rückspiegel verriet mir, dass ich käseweiß war und ich meine Stirn in Falten gelegt hatte. Als ich vor dem dunklen Betonklotz von Krankenhaus parkte, kamen die Erinnerungen an den Unfall von Ilay wieder hoch. Mit dem Gebäude verband ich hauptsächlich Leid und Sorgen. Die schlimmsten Momente in meinem Leben hatte ich hier verbracht. Die Geburt von Levi war das einzig schöne gewesen.

Ich rannte so schnell ich konnte in Richtung Rezeption. Keuchend fragte ich die Frau: "Mein Sohn Levi Dìaz und Johannes Schulte hatten einen Unfall. Wo sind die Beiden?". Die Frau fing an etwas in ihren Computer zu tippen. Es war die Selbe Frau die bei Levis erstem Asthmaanfall und bei Ilays Unfall da gewesen war. "Warten Sie bitte im Wartebereich. Der Arzt wird sie informieren", sagte sie dann. "Aber können Sie mir sagen ob es den Beiden gut geht?", fragte ich. Bis dahin hatte ich den Ausdruck "rasselnder Atem" nie verstanden, doch ich hörte mich an wie Quasimodo auf Extacy. "Es tut mir leid, ich kann Ihnen keine Auskunft geben", sagte sie.

Erschöpft setzte ich mich auf einen der blauen Stühle im Wartebereich. Es fühlte sich genauso an wie damals. Damals hatte auch mein Telefon geklingelt. Allerdings war es Ilays Mutter gewesen. Unter Tränen hatte sie mir erzählt, dass Ilay einen Unfall gehabt hatte und ich doch bitte ins Krankenhaus kommen sollte. Doch da erzählte man mir nur, dass er tot war.

Auch der Arzt der kam war der selbe wie damals. "Ach Mensch Frau Dìaz. Kommen Sie mit mir", begrüßte er mich. Ich schluckte. Ich bekam mehr und mehr Panik. Ich folgte ihm in sein Büro. "Ich möchte sie gleich beruhigen. Beide leben und es geht ihnen so weit gut", sagte er. Ich merkte wie erleichtert ich war. Die ganze Anspannung fiel ab und ich fing aus lauter Freude an zu weinen. Während ich versuchte meine Schluchzer zu unterdrücken, sagte der Arzt: "Wie das passiert ist kann Ihnen ihr Freund selbst erzählen. Die Beiden sind bei vollem Bewusstsein und abgesehen von einer Prellung am Rücken hat keiner eine Verletzung. Wir behalten Ihren Sohn und Ihren Freund jedoch zur Beobachtung über Nacht hier".

Der Arzt war ein netter Mann. Doch den Weg in den Raum in dem meine Beiden Jungs lagen, kam mir ewig vor. Ich rümpfte die Nase und war kurz davor den Arzt anzuschreien, dass er doch bitte schneller gehen sollte. 

Wie in Zeitlupe drückte er die silberne Türfalle hinunter. Doch so lange der Weg gedauert hatte, so schnell stürzte ich zu Levi und umschlang ihn. Auf seiner Stirn klebte ein kleines Pflaster mit einem Paw Patrol Motiv und in seinem linken Arm hatten die Ärzte eine Infusion gesetzt. "Mama, ich bekomme keine Luft", ächzte er aus der Umarmung hervor. Ich lachte nervös und wich von ihm ab. Meine Hände waren feucht vom kalten Schweiß. Sie zitterten.

Ich drehte mich um. Gegenüber von Levi saß Johannes. Auch auf ihn stürzte ich zu. Er nahm mich fest in seine Arme. Ich begann zu schluchzen. Sämtliche Psychotherapeuten hätten ihre blanke Freude an mir. Ich löste mich und begann auf Johannes Brust einzuschlagen. "Du kannst nicht einfach einen Unfall bauen. Du weißt genau wie viele Sorgen ich mir mache. Und dann noch mit Levi. Hast du eine Ahnung wie schrecklich es ist nicht zu wissen warum es so lange dauert bis ihr kommt? Ich hatte Angst!", weinte ich. Johannes griff nach meinen Armen und zog mich wieder in seine Arme. Bis ich mich ein wenig beruhigt hatte schwieg er.

Der Arzt ließ und alleine nachdem er erklärt hatte, was der weiter Verlauf sein würde. "Hör zu. Der Unfall war nicht unsere Schuld. Da ist einer alkoholisiert gefahren und uns an der Kreuzung am Ortseingang hinten drauf. Das Auto ist jetzt in der Werkstatt. Und die Versicherung von dem Typen wird zahlen", sagte Johannes. Ich sah ihn mit einem grimmigen Blick an. Mag sein, dass er keine Schuld trug, doch selbst wenn er die Schuld tragen würde, wäre ich trotzdem ein wenig sauer auf ihn gewesen. Ich hatte nämlich einen ganz schönen Horror davor nochmal das Gleiche wie mit Ilay erleben zu müssen.

Am nächsten Tag wurden die Beiden entlassen. Levi blieb aus der Kita daheim und Johannes und ich meldeten uns in der Schule ab. Wir verbrachten den kompletten Tag auf dem Sofa.

Nach dem Abendessen war Levi bald ins Bett gegangen. Ich hatte mit Johannes auf dem Sofa noch einen Film geschaut. Einer meiner geliebten, schnulzigen Filme in denen zwei Menschen sich finden, wegen irgendwelchen Hindernissen wieder trennen und der Typ die Frau durch eine äußerst durchschaubare, kitschige Geste zurück gewann. Johannes stand nicht so sehr auf solche Filme, aber ich liebte sie, denn am Ende wartete immer ein Happy End auf die Protagonisten. Egal wie schwer ihre Probleme waren, am Ende fanden sie zueinander und waren wie füreinander bestimmt.

Als ich mich im Bad fürs Bett fertig machte, dachte ich darüber nach. Ich hatte Ilay immer für mich bestimmt gehalten, aber er war nicht mehr und nach dem letzten Jahr war ich überzeugt davon, dass Johannes derjenige war, der für mich bestimmt war. Ich merkte erst, dass ich meinen Verlobungsring wie blöd angrinste, als die Zahnpasta aus meinem Mund auf mein Oberteil tropfte.

„Johannes?", fragte ich in die Dunkelheit hinein. „Mhm?", brummte er. Er hatte schon fast geschlafen, doch das was ich ihm sagen wollte, konnte nicht bis zum nächsten Morgen warten. „Ich will dich heiraten. Nicht in zwei, drei oder fünf Jahren. Ich will dich heiraten sobald die Schule nicht mehr das Problem ist. Mir ist nach dieser Geschichte klar geworden, dass es Quatsch ist zu warten. Ich weiß, dass ich dich liebe und ich hatte so eine Angst, dass ich dich jetzt auch noch verloren hätte", sagte ich.

Two Miles apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt