Chapter 30

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Das erste Halbjahr meines zweiten Ausbildungsjahres hatte es in sich. Der Asthma Anfall war nicht der Einzige geblieben. Jedoch hatte ich ihn deswegen nicht mehr aus der Kita holen müssen. Und er hatte die Anfälle nicht mehr nur wegen den Albträumen.

Aus der Kita abgeholt werden musste er dann doch noch mal. Und zwar genau an einem Tag an dem wir bei Johannes eine Mathe Arbeit schrieben. Mein Handy hatte mitten in der Stunde zu Klingeln begonnen. Ich hatte es noch nicht mal zu Aufgabe 3 geschafft. Gott sei Dank war es in Johannes Stunde. Ich hatte zwar offiziell die Erlaubnis für eventuelle Notfälle mit Levi meinen Klingelton an zu lassen, doch Johannes lies mich ohne Widerworte gehen und das wäre bei manch anderem Lehrer, zumindest in einer Klausur nicht möglich gewesen.

Levi hatte Nasenbluten. Und zwar so schlimm dass seine Kita es nicht mehr verantworten wollte. Es war nichts wirklich schlimmes gewesen, aber ich mochte Situationen in denen Levi sich verletzte oder auch nur blutete ohnehin nicht. Eine neutrale Person ohne dem Vorwissen meiner Geschichte könnte mich im Umgang mit Levi möglicherweise auch als Helikoptermutti interpretieren.

Doch die Angst um Levi, oder besser gesagt meine Verlustängste im Bezug auf geliebte Menschen wurde im Dezember auch nicht gerade besser. Johannes war am Dienstagabend mit Levi zum Training gefahren. Ich hatte mir zu Hause einen Tee gemacht und auf meine letzten Klausuren vor den Weihnachtsferien gelernt. Außerdem hatte ich damit angefangen mir einen Lernplan für meine Abschlussprüfungen im April zu schreiben. Dabei hatte ich auch die Uhr nicht mehr im Blick. Draußen war es schon lange dunkel und erst als ich den Fernseher anschaltete fiel mir auf, dass es bereits nach 21 Uhr war. Das war ungewöhnlich, denn meistens waren meine beiden Jungs schon gegen halb neun wieder da. Nervös sah ich auf das Display von meinem Handy. Keine Nachricht.

Je mehr Minuten vergingen, desto aufgeregter wurde ich. Ich hatte den Fernseher wieder ausgeschaltet und saß im Dunkeln. Nur die Straßenlaterne warf einen Lichtstrahl ins Wohnzimmer. Ich konnte die Bäume sehen wie sie sich m Wind wiegten. Im Minutentakt öffnete ich WhatsApp. Ich hatte Johannes einige Nachrichten hinterlassen und ihn schon fast zehn Mal angerufen. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe und hörte dem Ticken der Wanduhr zu, während ich das Foto auf dem Sideboard anstarrte. Ich konnte zwar nur die Umrisse sehen, doch es war mein Lieblingsbild, also wusste ich ganz genau was darauf zu sehen war.

Biep, machte das kleine Rechteck. Vor Schreck zuckte ich zusammen und griff so schnell ich konnte nach dem digitalen Wunder. Doch es war nur meine Pillenerinnerung. Agressiv warf ich mein Handy von mir. Mit einem dumpfen Poltern fiel es auf den beigen, flauschigen Teppich. Ich schnaubte sauer und stand auf. Für einige Minuten hatte ich etwas zu tun. Ich trank zwei Gläser lauwarmes Wasser, nahm meine Pille und setzte mich dann wieder auf die Couch. Ich wickelte mich eng in den Teppich ein und sah erneut in die Dunkelheit hinaus. Ich gab den beiden noch eine halbe Stunde. Dann würde ich ins Vereinsheim fahren.

Das Herumsitzen machte mich noch nervöser. Selbst wenn sie nur im Stau standen oder Johannes von irgendjemandem aufgehalten wurde, hätte er sich längst melden können. Meine Angst vermischte sich allmählich mit Wut. Ich hatte Angst davor, dass etwas passiert war und machte mir Sorgen, doch wenn alles gut war, dann würde ich Johannes ordentlich meine Meinung geigen.

Die Sekunden vergingen. Die Minuten verstrichen. Aber es kam mir nicht so vor als würde die halbe Stunde schnell vergehen. Und ich wusste genau, dass ich vorher nicht zum Vereinsheim fahren brauchte. Zwar war ich sehr besorgt, aber ich konnte nicht alles davon abhängig machen.

Also schaltete ich den Fernseher erneut an. Tagesschau. Die düsteren Nachrichten die man aus der Welt hörte waren nichts was man sich antun wollte. Zumindest nicht jetzt. Also zappte ich weiter. Die Simpsons. Einige Minuten sah ich mir die gelben Wesen an, die schlechte Witze machten. Müde grinste ich. Ilay hatte die Simpsons geliebt, aber mein Fall war es nie gewesen. Also der nächste Sender. Family Guy. Auch nicht viel besser. Zwischendurch sah ich immer wieder auf mein Handy. Ich öffnte und schloss den Chat von mir und Johannes immer wieder. Bei Two Broke Girls blieb ich hängen. Endlich mal etwas was ich gerne schaute.

Zwar schaffte ich es nicht meine Sorgen komplett auf die Seite zu schieben, doch für einen Moment rückten sie in den Hintergrund. Doch die Werbepause brachte das volle Sorgenpacket zurück. Und so langsam wurde mir schlecht. Die halbe Stunde war fast vorbei. Ich rief Johannes wieder an. Und wieder nichts. Besorgt schuckte ich.  Ich spürte den Klos in meinem Hals.

Dann hatte ich eine Idee. Ich sprang auf und rannte zur kleinen Pinnwand im Arbeitszimmer. Darauf war eine kleine Karteikarte mit der Nummer vom Vereinsheim. Nervös tippte ich sie in den Zahlenblock meiner Telefon App. Vielleicht waren Levi und Johannes noch dort und jemand würde mir das sagen können. "Diese Nummer ist nicht vergeben", hörte ich die Computerstimme sagen. Ich schrie auf. Das Ganze nervte mich. Ich überprüfte die Nummer und sah, dass ich mich vertippt hatte. Also gab ich die Nummer noch mal richtig ein.

Auf der anderen Seite der Leitung nahm niemand ab. Ganz offensichtlich war niemand mehr im Vereinsheim. Ich ging zur Garderobe. Ich wollte mir die Schuhe anziehen und den Weg abfahren. In diesem Moment vibrierte mein Handy in meiner Hand. Auf dem Handy war eine mir unbekannte Nummer zu sehen. "Ja?", fragte ich fast schreiend. "Ist da Luna Díaz?", fragte eine Frau. Der Stimme nach zu urteilen war sie schon über vierzig. "Ja", erwiderte ich schnell. Das seltsame Gefühl breitete sich mehr und mehr in mir aus. "Hören Sie. Ihr Sohn Levi und ihr Freund Johannes-", sagte sie und dann brach ihr Satz ab. Mit weit geöffneten Augen starrte ich auf das Display. Es war schwarz geworden, denn der Akku war leer.

Ich sprintete so schnell ich konnte zum Ladekabel. "SCHEIß IPHONE!", schrie ich vor mich hin. Bis der Akku auf 5% geladen war, würde der Bildschirm schwarz bleiben. Langsam realisierte ich über wen die Frau reden wollte. Ich ahnte was sie wollte. In Gedanken wurde ich an Ilays Unfall erinnert. Mir schwante schlimmes. Ich fing an zu schluchzen und schon wieder übergab ich mich ins Waschbecken. Als mein Handy wieder anging jubelte ich. So schnell ich konnte rief ich der Nummer zurück. "Entschuldigen Sie bitte, mein Akku war leer. Was ist mit Levi und Johannes", ratterte ich hastig herunter. Ich spürte wie meine Stimme bebte. "Die Beiden hatten einen Unfall".

Two Miles apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt