Chapter 25

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Ich hatte in der Nacht kein Auge mehr zu gemacht. Mir war nichts besseres eingefallen, als neben Levi zu sitzen und ihn beim Schlafen zu beobachten. Johannes hatte ich irgendwann nach Hause geschickt, denn er musste am nächsten Tag arbeiten und konnte sich nicht einfach krank melden.

Als Levi aufwachte, hatte er ganz verquollene Augen. „Was ist passiert?", fragte er mit heiserer Stimme. „Weißt du noch was du letzte Nacht geträumt hast?", fragte ich zurück. Levi schien nachzudenken und sagte dann: „Ich glaub ich hab von Papa geträumt". Ich spürte wie sich in mir ein Unwohlsein ausbreitete. Ich hatte gewusst, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem Levi so richtig verstehen würde, was es bedeutete, dass sein Vater gestorben war. Ich hatte allerdings nicht mit so einer heftigen Reaktion gerechnet.

„Weißt du noch was genau du geträumt hast?", fragte ich weiter. „Wir waren auf einer Wiese und dann ist er einfach tot umgefallen, glaube ich. Wie in Bambi", sagte er. Stumm sah ich ihn an. Innerlich fragte ich mich, ob ich Levi zu viel zugemutet hatte und zu offen damit umgegangen war. Ich schob den Gedanken beiseite und erzählte Levi was passiert war.

Später kam der Arzt wieder vorbei. Er stellte sich Levi vor und fing dann an ihn auszufragen. Er nickte und sagte dann zu mir: „Meine Theorie hat sich bestätigt. Ihr Sohn hat allergisches Asthma. Er hat eine erhöhte Gesamt-Konzentration des Immunglobulin E, also einen erhöhten IgE Wert. Es passt auch vom Alter. Liegt denn in der Familie ein Asthma Fall vor?". Ich nickte: „Ja, sein Vater hatte auch Asthma". Der Arzt antwortete: „Dann hat er es vermutlich einfach geerbt. Ich würde ihnen noch ein paar Fragen stellen und ihnen dann ein Bedarfsmedikament ausstellen".

Ich kannte das Prozedere schon von Ilay. Die Dinge die mir der Arzt erklärte, hatte ich alle schon mal gehört. Ich war heilfroh, als ich mit Levi wieder gehen konnte. Johannes hatte zum Glück nur bis nach der Vierten Stunde Unterricht und kam dann wieder nach Hause. Ich erzählte ihm alles und schlief dann völlig erschöpft auf dem Sofa ein, während er mit Levi leise auf dem Teppich spielte.

Als ich wieder aufwachte hatte ich eine Decke über mir und Johannes saß neben mir und tippte etwas auf seinem Laptop. „Ich hab Levi vorhin ins Bett gebracht", sagte Johannes. Ich rieb mir das Gesicht und setzte mich. „Weißt du, er hat mir erzählt, dass er von Ilay geträumt hat. Das macht mir Angst. Er kann doch kein Trauma haben oder so?", sagte ich zögerlich. Johannes sah mich aufmerksam an. „Mach dir darüber nicht so viele Gedanken. Ich bin sicher er hat da irgendetwas anderes gesehen und projektiert das jetzt auf Ilay", sagte Johannes. Doch er schien sich genau so unsicher zu sein wie ich.

In der Woche nach dem Vorfall hatte Johannes Geburtstag. Der Abstand zwischen unseren Geburtstagen war nicht sonderlich groß. An seinem Tag kam seine ganze Familie vorbei. Da das Wetter schön war, grillten wir auf unserem Balkon.

Johannes Freunde waren auch gekommen. Irgendwann setzte sich Valentin neben mich. „Na? Wie geht es dir? Johannes hat mir von dem Vorfall mit Levi erzählt", sagte er. „Naja, geht so. Ich weiß, dass ich die Schuld nicht bei mir suchen muss, aber manchmal hab ich doch Angst, dass es ihn belastet", erwiderte ich. „Ich will dir was erzählen, okay? Mein Vater ist auch gestorben. Zwar erst als ich ein Jahr alt war, aber trotzdem konnte ich mich als ich älter war nicht mehr an ihn erinnern. Ich schätze ich hab ihn sehr lieb gehabt und so, aber ich konnte mich nie wirklich an ihn erinnern und hab nie in dem Sinne getrauert. Ich fand es zwar immer schade, dass ich keine Erinnerungen an ihn hatte und nicht wirklich mit ihm aufwachsen durfte, aber im Endeffekt war ich nur über das traurig was ich eh nie hatte", erklärte er mir. Minutenlang dachte ich darüber nach. Irgendwie hatte er recht.

Ich verglich es damit, dass ich eine Zwillingsschwester hätte haben sollen. Sie war noch vor der Geburt gestorben. Vielleicht war es genauso mit dem Beispiel von Valentin oder Ilay. Nachdenklich blickte ich Valentin an. „Weißt du, meine Mutter hat irgendwann auch einen neuen Mann kennengelernt, aber da war ich schon in der vierten Klasse. Ich hatte auf einmal Träume von meinem Vater, aber ich glaube ich hatte sie in Wirklichkeit von meinem Stiefpapa mit dem Gesicht von meinem leiblichen Vater weil ich Angst hatte ihn auch zu verlieren. Ich kannte ihn ja von Fotos und vielleicht hab ich das so verarbeitet", fuhr Valentin fort. „Ich danke dir", antwortete ich einfach nur und lief dann zu Johannes.

Bis die letzten Gäste gegangen waren, war es schon weit nach Mitternacht. Johannes und ich räumten nur das nötigste weg und verschwanden dann ins Schlafzimmer. Es war Vollmond. Die silbrige Kugel erleuchtete den Raum. Wir lagen nebeneinander auf Seite und blickten uns in die erleuchteten Gesichter. „Was ist los? Ich seh, dass du etwas auf dem Herzen hast", sagte Johannes in die Stille hinein. Nur von draußen erklang durch das gekippte Fenster das Zirpen einer Grille. „Wusstest du das von Valentin, also das mit seinem Vater?", fragte ich. „Meinst du, dass der auch gestorben ist?", stellte Johannes die Gegenfrage. „Das auch, aber ich meinte, dass er auch so Träume hatte wie Levi jetzt", erwiderte ich. Johannes drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. „Nein, wusste ich nicht. Das hat er mir nicht erzählt. Aber das hilft dir, oder?", sagte er. Ich nickte und legte meinen Kopf auf seine nackte Brust. Johannes begann meinen Nacken zu kraulen und wenige Minuten später war ich eingeschlafen.

Two Miles apartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt