Blaue Eidechse - Teil 3

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Auch andere Jungs mussten genau wie Coyote auf den Acker des Dorfes achten, aber keiner von ihnen übte mit der Schleuder. Sie nahmen sich alle nur die Steine aus dem Bach, warfen sie nach den Vögeln oder sie machten eine Menge Krach, wenn die in dichten Schwärmen über die Ernte herfielen.

Nur Blaue Eidechse duldeten sie nicht in ihrer Mitte. Als wäre er einen lästiger Schwarzbär warfen sie Steine in seine Richtung, denn Blaue Eidechse war der Sohn des Murmlers Kakaobohne und damit ihr Feind.

Kakaobohne war dafür verantwortlich, wenn ihre Väter einen großen Teil ihrer Ernte an die Azteken abgeben mussten. Natürlich konnte Kakaobohne nichts dafür, dass die Azteken ihn zum Murmler gemacht hatten und Blaue Eidechse konnte nichts dafür, dass er der Sohn des Murmlers war, trotzdem behandelten ihn die Jungs wie einen Aussätzigen.

So lief er einsam durch das Dorf und hatte keine Freunde. Er war nur eine große Sonne älter als Coyote und er hielt sich gern in der Nähe von Mildes Chili auf. Die war sehr angetan von dem gut aussehenden Jungen und seinen sehnsüchtigen Blicken. Sie konnte ihn gut leiden und hin und wieder sprach sie auch mit ihm. Aber sie hatte auch ein Auge auf Coyote geworfen und für ihn fühlte es sich gar nicht gut an, wenn Mildes Chili mit Blaue Eidechse lachte. 

Er knirschte jedes Mal mit den Zähnen, wenn er die beiden zusammen sah und Blaue Eidechse erging es nicht besser, wenn er Coyote an der Seite von Mildes Chili sah. Deshalb dauerte es nicht lange, bis die beiden Jungs aneinander gerieten und sich schlugen.

Gegen den älteren Jungen konnte Coyote sich nicht durchsetzen und so bezog er die ersten Prügel seines Lebens. Heulend rannte er zu seinem Onkel, denn von seinem Vater hätte er nach den Schlägen von Blaue Eidechse nur harte Worte bezogen. Nur sein Onkel konnte in diesem Moment die richtigen Worte finden und ihn trösten.

Doch als er durch die offene Tür schaute, erstarrte er angewidert und riss die Augen auf. Sein Onkel hatte einen dicken, jungen Mann im Arm und küsste ihn. Es war kein Kuss, wie man einen Welpen küsst, sondern ein richtiger Kuss auf den Mund, voller Inbrunst. Ohne, dass die beiden ihn bemerkten, drehte Coyote sich um, verließ Xochimilco und rannte zurück ins Dorf.

Nie mehr wollte er seinen Onkel wieder sehen! Er wollte noch nicht einmal mehr einen Fuß in diese Stadt setzen! Das war so widerlich! So abartig! So ekelhaft, dass er sich gar nicht wieder beruhigen konnte. Vollkommen verwirrt stellte er sich an den Bach, aus dem sie immer ihre Wurfsteine holten. Er nahm einen Stein in die Hand, drückte ihn fest in das Leder und schoss ihn voller Wut und Verachtung auf eine Krähe ab, die gerade auf einem Busch landen wollte. Nur um Haaresbreite verfehlte er sie und die Krähe machte, dass sie wegkam.

„Du siehst so aus, als hättest du gerade einen Geist gesehen!"

Coyote fuhr herum. Da stand Mildes Chili und lächelte ihn an. Sie war eine große Sonne jünger als er, aber schon fast ebenso groß, nur war sie noch viel schlanker als er. Ihre Mutter hatte ein schönes Muster in den Stoff ihres Kleides gewebt und genau dieses Muster trug sie auch auf ihrem Gürtel aus Baumwolle, den sie an der Seite mit einem Knoten zusammengebunden hatte. 

Mit Mühe gelang ihm ein gequältes Lächeln.

„Hast du so schwer an den Schlägen der Blauen Eidechse zu tragen?", fragte sie ein wenig spöttisch.

„Was?", fragte er ein wenig abwesend und begriff erst jetzt ihre Frage. Sofort schüttelte er den Kopf. Die Prügelei hatte er längst vergessen.

„Ich war gerade bei meinem Onkel und habe etwas wirklich Schreckliches gesehen."

Mildes Chili war nicht nur ein hübsches, sondern auch ein sehr kluges Mädchen und sie konnte sich denken, was ihn so sehr aus der Fassung gebracht hatte. Trotzdem wollte sie sicher gehen.

Der letzte JaguarkriegerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt