„Schaut euch diesen alten Mann an! Wollt ihr etwa so enden? Wollt ihr wirklich so alt und gebrechlich werden wie er? Jeder muss irgendwann sterben! Ist es da nicht besser, jung und ehrenvoll auf dem Opferstein zu sterben und mit dem eigenen Blut die Götter zu nähren? Niemand von euch muss so unwürdig enden wie dieser Alte hier..."
Noch immer klangen die Worte ihres obersten Priesters in Coyotes Kopf. Dabei war Blutige Wolke selbst nur ein paar große Sonnen jünger, als der alte weißhaarige Krieger, den er ihnen als schlechtes Beispiel gezeigt hatte. Coyote wollte sich nicht einfach so auf den Opferstein legen, wie es die Ballspieler taten. Die freuten sich, wenn sie an hohen Feiertagen nach dem Spiel auserwählt wurden und sterben durften. Was für ein Irrsinn!
Coyote wollte das nicht. Er wollte auf dem Blumenfeld kämpfen und dort viele Gefangene machen. Damit wollte er Ansehen, Ruhm und Ehre erwerben. Aber auch Besitz war ihm wichtig. Er wollte ein großes Haus und eine schöne Frau, am besten gleich eine Adlige wie Schneeflocke. Doch am wichtigsten waren ihm viele Sklaven und Land.
Auf gar keinen Fall wollte er sein Leben als Bauer fristen, wie sein Vater. Stattdessen wollte er selbst Bauern besitzen, die sein Land für ihn bearbeiteten. All das lag hier auf dem Blumenfeld für ihn bereit. Er musste es nur mit der stumpfen Spitze seines neuen Obsidianschwertes aufheben.
In tagelanger Arbeit hatte er dieses Schwert aus Hartholz selbst gefertigt. Nur beim Einkleben der scharfen Klingen hatte Korallenschlange ihm geholfen. Jetzt trug er die lange, schwere Waffe stolz mit sich und stellte sich vor, wie er damit seinem Gegner auf den Leib rückte.
Ja! Er wollte unbedingt kämpfen! Er wollte unbedingt einen Gegner im Zweikampf schlagen. Nur so konnte er im Rang aufsteigen. Nur dafür hatte er sich doch in der langen Zeit seiner Ausbildung so sehr gequält. Im Calpulli war das Leben reduziert auf das aller Nötigste. Dort gab es keinen Luxus, sondern nur Strapazen und Schmerz. Das musste sich doch irgendwie auszahlen.
Hoffnungsvoll stand Coyote in der ersten Reihe der Krieger auf dem Blumenfeld und konnte es kaum erwarten. Aus dem Augenwinkel sah er, wie mehrere Priester Rauchopfer in den Himmel steigen ließen und die Waffen segneten. Kaum waren sie mit ihren Ritualen fertig, stimmten die Krieger die Gesänge an. Aus vielen Tausend Kehlen schallte es über das Blumenfeld und Coyote sang aus voller Kehle mit.
„Wir leben und sterben für den Sieg,
Kein Opfer ist zu groß!"Am ganzen Körper spürte er wie die Worte des Liedes ihn berührten, wie sie ihm jedes einzelne Haar an seinem Körper aufstellten. Genau wie die Männer an seiner Seite fühlte auch er eine unbändige Kraft und Entschlossenheit.
Doch die Krieger aus Cholula nahmen ihren Gesang auf und antworteten ihnen ebenso entschlossen aus Tausenden Kehlen.
„Mit dem Herzen des Adlers steigen wir auf,
Zum Himmel steigen wir auf, steigen wir auf."Erneut antworteten ihnen die Mexica.
„Mit der Kraft des Jaguars stehen wir fest,
Auf der Erde stehen wir fest, stehen wir fest."Hin und her flogen die Gesänge, die Spannung stieg und Coyote spürte das Herz in seiner Brust pochen. Was für ein Erlebnis! Endlich wusste er, was die erfahrenen Krieger meinten, wenn sie mit leuchtenden Augen von ihren Erlebnissen auf dem Blumenfeld berichteten. Seine Vorfreude auf den Kampf steigerte sich ins Unermessliche.
Aber wurde er auch auserwählt? Durfte er heute endlich auf das Blumenfeld und dort gegen einen Gegner antreten? Bereits gestern hatte der Blumenkrieg begonnen. Gestern hatte man es ihm verwehrt. Würde sich das heute ändern?
Ganz vorn stand Coyote und dachte gar nicht daran, seinen Platz zu verlassen. Sehnsüchtig schaute er auf das Blumenfeld und immer wieder auf seinen Offizier. Noch immer wurden Schlachtlieder gesungen, doch jetzt mischten sich die Schreie der Krieger, das Aufeinanderschlagen der Waffen und das dumpfe Poltern der Schilde mit den Gesängen. Sein Herz raste, doch die Frustration in ihm wuchs. Er war bereit, mehr als je zuvor. Doch sein adliger Offizier schickte auch heute immer wieder andere auf das Blumenfeld
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Der letzte Jaguarkrieger
Historical FictionBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...