Opfer für Tlaloc - Teil 6

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Ein paar Schritte vor den großen Holzkäfigen hatte Coyote Mildes Chili abgelegt, weil er sie einfach nicht länger tragen konnte. Jetzt lag er selbst wie tot neben ihr. Obwohl er die Augen geschlossen hatte, bekam er alles mit, was um ihn herum passierte. Schnell wurde es stiller, die Krieger, die sie hier her gebracht hatten, gingen fort. In der Ferne sangen mehrere Priester und tanzten zum Klang einer Trommel. Ein Mann zählte mit lauter Stimme die Kinder in den Käfigen und sobald er fertig war, hörte er eine Frau, die jemanden anbettelte.

Coyote vermutete, dass man auch ihr ein Kind genommen hatte, aber er war zu müde, sich für ihr Schicksal zu interessieren. Er war noch nicht einmal in der Lage, die Augen offen zu halten. Die Stimme der Frau war jedoch so nervig, dass sie ihn wach hielt und irgendwann kam ihm diese Stimme ganz nah. Jemand leuchtete ihm mit einer Fackel kurz ins Gesicht und als er die Augen kurz öffnete, sah er das Gesicht der Frau als dunklen Schatten direkt über sich.

Sofort war die Fackel wieder verschwunden. Ein mit vielen Federn hochdekorierter Offizier ging damit wieder weg, aber die Frau blieb bei ihm. In der Dunkelheit befühlte sie den Jungen am ganzen Körper, konnte aber keine Verletzung feststellen. Sein Körper und sein Gesicht waren zwar voller Blut, aber das konnte auch von dem Mädchen stammen. Vielleicht hatte er sich nur den Schweiß abgewischt und so das viele Blut in seinem Gesicht verteilt. Mesquiteblüte war sich ziemlich sicher, dass er nur erschöpft war, trotzdem log sie den Offizier an.

„Diese beiden sind schwer verletzt! Schau sie dir an, sie sind voller Blut, sie leben kaum noch! Die kannst du unmöglich an Blutige Wolke übergeben! Der würde dich in Stücke reißen!" 

Die Frau lachte ein wenig zu laut und war sehr aufgeregt. Hier ergab sich für sie eine richtig gute Gelegenheit. Obwohl der Offizier kein einziges Wort zu ihr sagte, redete sie einfach weiter.

„Außerdem hast du ohnehin schon zu viele Kinder und wenn du diese beiden auch in den Käfig sperrst, dann sterben sie noch heute Nacht! Aber wenn ich mich um sie kümmere, dann kannst du sie vielleicht beim nächsten Fest opfern." 

Lauernd schaute sie hinüber zu dem Offizier mit seiner Fackel.

Coyote konnte nicht glauben, was er da hörte und dachte gar nicht daran, sich zu bewegen. Sollte vielleicht doch noch nicht alles verloren sein? Als er die Frau erneut lachen hörte, klang dieses Lachen sehr viel fröhlicher. Hatte der Offizier ihr wirklich einen Wink mit der Hand gegeben? Sollte es wirklich wahr sein? Hatte er sie tatsächlich dieser Frau überlassen?

Vorsichtig öffnete er erneut die Augen. Der Offizier war in der Dunkelheit verschwunden und hatte die Fackel an einen der Wachtposten übergeben. Nur zwei in Weiß gekleidete Krieger aus dem jungen Mais konnte er im Flackerlicht erkennen. Starr wie Statuen standen sie da und bewachten die Käfige mit ihren Lanzen. Sie interessierten sich nicht dafür, was hier mit ihnen geschah. 

Doch die singenden und tanzenden Priester waren näher gekommen. Anscheinend waren sie alle im Drogenrausch vollkommen weggetreten. Ein unheilvolles Flüstern ging von ihnen aus, als würden die Götter selbst über das Schicksal der beiden Kinder beraten, die vor den Käfigen lagen. Einer hatte sich die frisch abgezogene, blutige Haut eines Menschen angezogen und tanzte mit einer Rassel in der Hand um Mesquiteblüte und die Kinder herum. 

Bei jedem Schritt schwankte er bedenklich in seinem Rausch und es sah so aus, als ob er etwas dagegen hätte, dass die Frau mit den Kindern fortgehen wollte. Doch sie beachtete diese schauerliche Gestalt gar nicht. Sie versuchte sich zumindest den Jungen aufzuladen, denn das Mädchen war sicher schon tot.

Als er sich aber von ganz allein erhob, begann sie leicht zu grinsen und als er sich Mildes Chili erneut auf die Schulter lud, klatschte sie vor Freude in die Hände.

Der letzte JaguarkriegerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt