Nur für einen kurzen Moment hatte Coyote nicht aufgepasst, weil ein wunderschönes Mädchen an ihm vorbeigegangen war. Schon flog er durch die Luft und landete hart im Dreck. Sein Übungspartner Pumakralle war ein erfahrener Otonin und etwa sechs große Sonnen älter. Er hatte ihn mit seinem Schild gerammt und sein ganzes Gewicht in diesen Stoß gelegt. Jetzt hielt der Krieger ihm die stumpfe Klinge seines Übungsschwertes triumphierend an die Kehle. Diesen Kampf hatte Coyote verloren, aber gleich darauf reichte Pumakralle ihm eine Hand und half ihm hoch.
„Schlag dir dieses Mädchen lieber aus dem Kopf! Sie ist unerreichbar für einfache Krieger wie uns!", sagte er und grinste.
Ein anderer Krieger nickte und schaute ihr ebenfalls verstohlen hinterher. „Sogar der Wind hält den Atem an, wenn sie vorbeigeht. Sie ist wirklich beeindruckend."
„Ist sie von hoher Geburt? Wer ist ihr Vater?", fragte Coyote als er wieder auf seinen Füßen stand.
Auf gar keinen Fall wollte Pumakralle in die Richtung des adligen »Geflügels« starren. Deshalb deutete er nur mit seinen Augen und mit einer minimalen Kopfbewegung auf einen mit vielen Federn geschmückten Adler.
„Ihren Vater solltest du eigentlich kennen. Es ist unser Heerführer Chicahua!", sagte er mit gedämpfter Stimme.
Zusammen mit seinen beiden Söhnen, die sich selbst schon ein paar Federn verdient hatten, stand der Adler am Rand ihres Übungsfeldes und war in ein Gespräch mit seinen Offizieren vertieft. Anscheinend hatte keiner der hohen Herren gesehen, wie Coyote durch die Luft geflogen war. Nur die Schöne hatte es bemerkt. Sie trug ein Kleid, das sie als eine Priesterschülerin auswies. Doch so eng und körperbetont wie sie, trug keine andere Priesterschülerin ihr Kleid. Sie hatte sich sogar ein Gürtelleder umgebunden. So brachte sie ihre schlanke Taille noch mehr zur Geltung.
Als wäre es vollkommen normal, war sie mit einer Amatl Rolle in der Hand, geradewegs über den Übungsplatz, mitten durch die miteinander kämpfenden Männer gegangen. Jetzt stellte sie sich ganz nah an die Seite ihres Vaters zwischen ihre Brüder. Verstohlen schenkte sie Coyote ein winziges Lächeln, obwohl er diesen Kampf doch verloren hatte und am Boden gelandet war.
Sollte es wirklich so einfach sein, ihre Aufmerksamkeit zu erringen? Musste er sich dafür nur in den Staub werfen lassen? Voller Selbstbewusstsein grinste er die Schöne offen an und sah aus dem Augenwinkel Pumakralle erneut heranstürmen. Verflucht! Das würde weh tun! In diesem Moment erwischte ihn auch schon der gewaltige Stoß mit dem Schild und er landete erneut auf dem Boden. Noch bevor er sich berappelt hatte, suchte er mit den Augen nach ihr, aber sie hatte sich von ihm abgewandt und ging gemeinsam mit ihrem Vater, ihren Brüdern und den anderen Offizieren davon.
Noch immer am Boden liegend und vor Schmerz keuchend, schaute der junge Krieger ihr hinterher. Er konnte kaum atmen, so hart hatte der Stoß seines Gegners ihn getroffen. Trotzdem grinste er und war begeistert vom Gang dieses Mädchens. Noch nie hatte er eine andere Frau gesehen, die so ihre Hüften schwingen konnte. Wie machte sie das nur? Vollkommen natürlich sahen ihre Bewegungen aus. Anscheinend war sie sich gar nicht bewusst, wie sehr sie die Männer allein schon mit ihrem Gang faszinierte.
„Ich bin beeindruckt, Coyote. Du hast es fast geschafft, dir selbst den Kopf zu verdrehen. Aber leider nicht ihr." Erneut reichte Pumakralle ihm die Hand, half ihm auf die Beine und grinste breit. „Ihr Vater wird das niemals zulassen! Wenn du dich seiner Tochter auch nur näherst, wird er dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen", meinte er und schüttelte den Kopf.
Schon hoben sie wieder ihre Waffen und Coyote ging hinter seinem Schild in Deckung. Pumakralle wollte sich nicht ablenken lassen und konzentrierte sich lieber auf seinen Gegner, als auf dieses wunderschöne Mädchen. Zweimal hatte der sie angestarrt und ihm beide Male die Gelegenheit gegeben, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen.
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Der letzte Jaguarkrieger
Historical FictionBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...