Martín hatte das Gefecht vollkommen unverletzt überstanden. Er saß in einer verlassenen kleinen Stadt der Tlaxcalteken auf der untersten Stufe einer Pyramide und auf seinen Knien lagen seine Notizen. In eleganten Buchstaben schrieb er die Ereignisse des Tages nieder.
Am Abend dieses 2. September 1519 hatten sie erneut einen Toten zu beklagen und 15 Verwundete. Weil sie kein Schweinefett für die Versorgung der Wunden mehr hatten, gaben ihnen die Totonaken Fett, welches sie aus den toten Körpern der Tlaxcalteken gewonnen hatten. Zu ihrem eigenen Glück sagten sie den Spaniern nicht, woher dieses Fett stammte.
Martín hatte jedoch gesehen, wie die Totonaken ein gutes Stück abseits, das Fleisch ihrer toten Gegner über dem Feuer brieten und das herunter tropfende Fett auffingen, aber das behielt er für sich. Sie hatten den Toten so viel Fett abgewinnen können, dass es sogar noch für die Behandlung der 5 verletzten Pferde reichte.
Bosco war den Totonaken dafür sehr dankbar. Liebevoll kümmerte er sich um die verletzten Tiere. Ein Pferd musste er fesseln und auf die Seite legen. Erst dann konnte er die große Wunde nähen. Dafür verwendete er eine von Martíns Nähnadeln. Eine weitere Nadel gab er den Frauen der Totonaken. Die wunderten sich sehr über dieses winzige Kunstwerk und nähten damit die Wunden der Männer.
Alle Reiter, deren Pferde unverletzt waren, erkundeten die Gegend. Auch eine starke Abteilung der Fußsoldaten war mit 200 Männern unterwegs und brachte Vorräte zurück. Begleitet wurden sie von den Totonaken, denen sie alles aufluden. Auf diesem Streifzug durch die Dörfer machten die Spanier ein paar Gefangene.
Aber nach dem sie die Leute in ihr Hauptquartier gebracht hatten, lösten sie ihre Fesseln und gaben ihnen zu essen. Malinche schaute sich die Leute an und wandte sich dann an einen älteren Mann. Nach der namentlichen Vorstellung war klar, dass sie hier einen guten Fang gemacht hatten, denn es handelte sich um den Edlen Freigiebige Hand.
„Warum greift ihr uns an?", fragte Malinche den Mann. „Wir sind doch nicht hier, um die Tlaxcalteken zu berauben oder sie zu versklaven! Wir sind hier, weil wir eure Freundschaft wollen!"
Ein wenig spöttisch schaute Freigiebige Hand die junge Frau an.
„Seid ihr deshalb mit einer so starken Truppe gekommen? Habt ihr deshalb die Totonaken zu eurer Unterstützung mitgebracht, weil ihr uns nicht berauben und nicht versklaven wollt?"
Martín wunderte sich, denn Cortés stand daneben und verlangte keine Übersetzung von ihr. Anscheinend vertraute er ihr voll und ganz. Er ließ sie einfach mit dem Edlen Freigiebige Hand verhandeln und schaute nur zu.
„Diese Armee ist doch nicht gegen die Tlaxcalteken gerichtet." Milde lächelte sie dem alten Mann ins Gesicht und ließ ihn im Ungewissen darüber, gegen wen diese Macht denn sonst gerichtet sein könnte. Der dachte darüber nach und als sich plötzlich eine Regung in seinem Gesicht zeigte, wurde das Lächeln im Gesicht von Malinche breiter.
„Willst du damit sagen, ihr wollt es mit den Mexica aufnehmen?" Erneut lächelte Freigiebige Hand spöttisch. „Selbst wenn ihr eine starke Truppe seid, mit den Mexica könnt ihr euch nicht messen!"
„Allein können wir das nicht. Da gebe ich dir recht, aber mit den Tlaxcalteken an unserer Seite schon. Das ist der einzige Grund, aus dem wir hier sind. Wir wollen mit den Tlaxcalteken Freundschaft schließen und gemeinsam mit ihnen überlegen, wie wir Moctezuma von seinem Thron stoßen können."
Dieses Argument klang tatsächlich schlüssig. Zudem hatte niemand Hand an sie gelegt. Keiner der Gefangenen trug einen Holzkragen. Niemandem hatte man die Haare geschoren. Man hatte sie wie Gäste behandelt, ihnen zu Essen gegeben und jetzt ließ der Herr von Malinche sie einfach gehen.
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Der letzte Jaguarkrieger
Tarihi KurguBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...