Kakaobohne war in seiner Jugend nur ein paar Mal bei einem Blumenkrieg dabei gewesen. Federn hatte er sich aber keine verdient, denn in einen Zweikampf hatte man ihn nie geschickt. Deshalb hatte er keine großen Erfahrungen als Krieger. Trotzdem hing sein Sohn jetzt an seinen Lippen. Blaue Eidechse wollte alle Erfahrungen seines Vaters aufsaugen, weil er sich so eine bessere Chance ausrechnete, diesen Blumenkrieg unbeschadet zu überstehen.
„Warte ab, beobachte deinen Gegner genau. Suche nach seinen Bewegungsmustern, seinen Schwächen. Du musst nicht immer der Erste sein, der zuschlägt, denn mit der Lanze kannst du ihn dir erst einmal vom Leib halten. Manchmal ist es besser, geduldig zu sein und den richtigen Moment abzuwarten. Denke immer zwei Schritte voraus, kämpfe klug und mit Bedacht."
Kakaobohne kannte seinen Sohn gut und konnte die Angst in seinen Augen sehen. Er konnte sich gut vorstellen, wie schwer sich seine Arme und Beine anfühlten. Stumm saß er mit großen Augen da und sagte kein Wort.
„Du darfst deinem Gegner nicht die Angst in deinen Augen zeigen! Wenn du ihm diese Angst zeigst, dann bist du verloren! Zeig ihm stattdessen deinen Zorn! Mach ein wütendes Gesicht, fletsche die Zähne! Schüttele drohend deine Lanze! Vielleicht kannst du dadurch die Angst in seinen Augen sehen."
Still nickte Blaue Eidechse, doch Kakaobohne hatte noch immer Zweifel. Was konnte er ihm jetzt noch sagen? Mit welchen Worten konnte er ihn jetzt noch zuversichtlicher stimmen?
„Es wird Momente geben, in denen die Angst dich zu überwältigen droht. Doch du musst stark bleiben, innerlich wie äußerlich. Selbst wenn alles verloren scheint, darfst du niemals den Glauben an dich selbst verlieren. Denke daran, wer du bist und kämpfe mit ganzer Entschlossenheit. Deine innere Stärke ist genauso wichtig wie deine Waffe. Sei unerschütterlich, dann wirst du als Sieger vom Feld gehen", sagte Kakaobohne nachdrücklich.
Schließlich erhob sich Blaue Eidechse, reckte sich stolz, straffte seinen Körper, hielt die Lanze hoch und lächelte. Endlich entdeckte Kakaobohne so etwas wie Entschlossenheit in seinem Gesicht. Ob er ihn wohl wirklich verstanden hatte? Zum Abschied umarmte er seinen Sohn und ließ ihn gehen. Sein Herz war ihm schwer und so stürzte er sich in die Arbeit, um sich abzulenken.
Ausgerüstet mit einem stabilen, aber einfachen Schild und einer neuen Lanze lief Blaue Eidechse hinunter zur Straße. Er trug einen weißen Lendenschurz und ein sehr enges Hemd mit langen Ärmeln aus weißer Baumwolle, welches ihm gerade einmal bis zum Gürtel reichte. Seine langen Beine waren unbekleidet, wie es sich für einen Krieger gehörte, der noch keinen Gefangenen gemacht hatte.
Federn trug er noch keine, denn wo hätte er die erwerben sollen?
Sein Vater hatte ihm geholfen, die Lanze mit Obsidianklingen zu bestücken und ihm den »Temillotl« ins Haar gebunden, an dem ihn der Gegner mit einer Hand packen und über das Blumenfeld schleifen sollte, wenn er ihn besiegt hatte. Natürlich hoffte er, dass es nie dazu kommen würde und dass er vielleicht selbst einen Gegner an seinem Haarknoten durch das Gras schleifen konnte. Doch wer konnte schon wissen, welches Schicksal ihm auf dem Blumenfeld begegnete?Zusammen mit ein paar anderen jungen Männern aus Xochimilco wartete er darauf, dass sie sich dem Kriegszug gegen Cholula anschließen konnten. Mit den Jungs aus seinem Dorf wollte er nicht auf das Schlachtfeld ziehen. Die standen ebenfalls in einer Gruppe zwei Pfeilschussweiten hinter ihm an der Straße und warteten genau wie er auf den Moment, in dem sich eine Lücke in der langen Reihe der Krieger auftat und sie sich anschließen konnten.
Dieses Mal hatte der aztekische Dreibund aus Tenochtitlán, Tlacopan und Texcoco wirklich alles aufgeboten. Die drei Städte führten jeden Mann ins Feld. Insgesamt waren sie wohl deutlich mehr als 300.000 Krieger und 100.000 Träger aus dem jungen Mais. Es war für jeden offensichtlich, dass Cholula ausbluten sollte. Die Stadt sollte ihre Blüte, ihre Jugend verlieren und wenn sie überreif war, dann würde sie auch ihre Freiheit verlieren.
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Der letzte Jaguarkrieger
Historical FictionBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...