Im Palast in Tenochtitlán war man zutiefst schockiert über die neuesten Nachrichten. Der Herr von Malinche zog über Cholula in ihr Reich ein. Es hieß, er wolle unbedingt den Großen Sprecher treffen und mit ihm reden, so wie er es von Anfang an gesagt hatte. Für dieses Unterfangen hatte er nur seine wenigen Spanier und nur 2000 Tlaxcalteken dabei.
Das war keine Streitmacht, die ihnen Angst machte, aber es war diese Selbstverständlichkeit, diese Unverfrorenheit, die sie sorgte. So etwas wie Angst kannte dieser Herr von Malinche vermutlich nicht. Was war in den gefahren, dass er glaubte, er könne tun und lassen, was immer ihm einfiel? Hielt der Kerl sich selbst etwa für einen Gott?
Erst gestern hatte er Hummel den Jüngeren einfach aufgehängt. Alle Männer im Rat kannten diesen unerbittlichen Heerführer der Tlaxcalteken. Er hatte ihnen vor ein paar Jahren eine schwere Niederlage zugefügt, als einer der vielen Blumenkriege außer Kontrolle geriet und sich zu einem Gemetzel entwickelte.
Sie erinnerten sich noch gut an das Angebot, welches er ihnen vor ein paar Tagen gemacht hatte. Er wollte mit ihnen gemeinsam gegen die Spanier kämpfen, aber sie hatten ihm nicht geglaubt. Jetzt war er tot und sie hatten einen wertvollen Verbündeten verloren.
Was war dieser Herr von Malinche für ein Mann, dass er einfach so Hummel den Jüngeren aufhängen konnte, ohne dass dessen Männer dagegen rebellierten? Niemand im Rat konnte sich das erklären.
Zudem besagten Gerüchte, dass Hummel der Ältere die Nachricht vom Tod seines Sohnes sehr befreit aufgenommen habe. Es hieß, dass er sich über seinen Tod gefreut habe und dass er ihn selbst umgebracht hätte, wenn die Spanier das nicht getan hätten.
So konnte es nicht weiter gehen! Sie wussten nichts über diesen Herren von Malinche. Koste es was es wolle, aber sie mussten mehr über diesen Mann in Erfahrung bringen. Egal ob in einer Schlacht oder mit Hilfe von Diplomaten oder Spionen, sie mussten mehr Wissen über ihn sammeln. Im Moment erschien es ihnen, als würden sie sich in dunkler Nacht mit verbundenen Augen durch einen Wald tasten.
*
Cholula war auch nach der Eroberung durch die Azteken noch immer ein heiliger Ort für die Menschen der ganzen Region. Sie kamen von weit her, um hier an den Opferungen und anschließenden Feiern und Tänzen teilzunehmen.
Geändert hatte sich eigentlich nicht viel, nur dass jetzt keine gefangenen Azteken mehr geopfert wurden, sondern Tlaxcalteken und weil Cholula ein heiliger Ort war, wurden hier sehr viele gefangene Tlaxcalteken geopfert.
Genau hier, vor den Toren der Stadt, sammelte sich jedes Mal die Armee der Azteken, wenn sie gegen Tlaxcala in einen Blumenkrieg zogen oder auf Raub und Mord aus waren.
Natürlich machten die ständigen Überfälle aus Cholula die Tlaxcalteken rasend und zumindest die 2.000 Männer, die zusammen mit Cortés die Grenze überschritten hatten und Cholula immer näher kamen, freuten sich sehr.Vielleicht ergab sich ja eine Gelegenheit, es Cholula und den Azteken heimzuzahlen. In schweren Kämpfen hatten sie die Spanier kennen und schätzen gelernt. Mit diesen in Eisen gekleideten Männern an ihrer Seite, fühlten sich die Tlaxcalteken unbesiegbar. Genau diese Zuversicht in den Gesichtern der Krieger machte den Adligen aus Cholula große Angst, als sie Cortés entgegenkamen, um ihn ehrfürchtig zu begrüßen und ihn in ihre Stadt einzuladen.
Sie glaubten ihm, dass er keinen Streit mit ihnen habe und wollten ihn gern in ihrer Stadt beherbergen, aber die schwer bewaffneten Tlaxcalteken machten ihnen so große Angst, dass sie Cortés darum baten, sie vor der Stadt zu lassen und allein mit seinen Männern ihre Gäste zu sein.
Als die Tlaxcalteken davon hörten, machte es sie unglaublich wütend. Sie rieten Cortés davon ab und wollten auf keinen Fall zulassen, dass er sich in ihre Gewalt begab. Doch er beruhigte sie und versicherte ihnen, dass er wachsam bleiben würde. Zudem nahm er ein paar Hundert seiner treuesten und tapfersten Totonaken mit. Gegen die hatten die Adligen aus Cholula nichts einzuwenden. Die hielten sie für vollkommen ungefährlich.
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Der letzte Jaguarkrieger
Historical FictionBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...