Einen Teil seiner Läufer ließ Graue Eule bei den Spaniern zurück. Sie sollten die Augen offen halten und jedes Mal einen Mann schicken, so bald etwas Ungewöhnliches passierte oder die Spanier sogar das Lager abbrachen und woanders hinzogen.
Coyote freute sich darüber, dass er am Strand bleiben durfte. So konnte er sehr viel mehr über die Spanier erfahren, auch wenn er sie aus der Entfernung beobachten musste. Denn Graue Eule hatte die Läufer angewiesen, ihr Lager eine Pfeilschussweite entfernt aufzubauen. Es wäre ihm sehr viel lieber gewesen, wenn er mit der Schönen sprechen könnte. Aber das hatte er ihnen nicht erlaubt. Die Läufer sollten sich von den Spaniern fern halten und so musste er sie aus der Distanz bewundern.
Seit Coyote in Tenochtitlán lebte, hatte er bisher keinen einzigen Tag frei gehabt. Jetzt genoss er es sehr, dass er einmal nichts zu tun hatte und verbrachte seine Zeit damit, im Meer zu schwimmen und riesige Krebse zu fangen. Gekocht schmeckten die einfach nur köstlich. Dabei schaute er immer wieder zu der Schönen hinüber und sie schaute zurück. Doch meistens war sie mit einem der Spanier zusammen.
Den Kerl hatte er schon an Bord gesehen und sich über ihn gewundert, denn er trug so kurzes Haar wie ein Sklave. Doch wie ein Sklave benahm sich dieser Mann nicht. Eher schien es Coyote, dass er einer der Unterführer der Fremden war. Mit diesem Mann sprach die Schöne immer wieder. In der ganzen Zeit überlegte Coyote und suchte nach einem Vorwand, einem Grund, um mit der Schönen zu sprechen. Aber es wollte ihm einfach nichts einfallen und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sie aus der Entfernung zu bewundern.
*
In seiner leichten Sänfte ließ Graue Eule sich im Laufschritt von den Bauern nach Tenochtitlán bringen. In jedem Dorf warteten andere Bauern bereits auf ihn an der Straße. In sehr schnellen Staffeln wechselte er die Träger immer wieder aus und selbst in der Nacht gönnte er sich keine Pause. So kam er nach nur etwas mehr als drei Tagen in Tenochtitlán an.
Der Palast des Großen Sprechers war nicht nur eine Residenz, sondern ein Symbol uneingeschränkter Macht. Seine gewaltigen Mauern umschlossen ein Labyrinth aus Sälen und Kammern, die von Sklaven sauber gehalten wurden. Die vielen Matten und Kissen auf dem Boden und der kostbare Federschmuck an den Wänden, diente nicht nur der Schönheit, sondern auch der Demonstration der unendlichen Ressourcen des Imperiums.
Mit gesenktem Blick schritt Graue Eule ehrfürchtig über den blank polierten Boden. Seine Sandalen glitten nahezu geräuschlos darüber hinweg. Vor ihm öffnete sich der Saal, in deren Mitte Moctezuma thronte. Auf einem reich verzierten Thron aus Gold und Jade saß der Große Sprecher. Das Licht der Fackeln wurde von den Federn seines kostbaren, grünen Kopfschmucks aus Quetzalfedern reflektiert.
Zu beiden Seiten Moctezumas saßen seine Berater, doch ihnen hatte man nur weiche Kissen am Boden zugestanden.
Ehrerbietig verbeugte Graue Eule sich tief vor seinem Herrscher und wartete geduldig, bis er sich erheben durfte. Mucksmäuschenstill war es im Thronsaal, alle waren angespannt und wollten wissen, was Graue Eule zu berichten hatte.
Mit einem ernsten, nachdenklichen Blick winkte der Herabstürzende Adler Graue Eule ein wenig näher heran. Das war das Zeichen, dass er jetzt sprechen durfte.
„Großer Sprecher", begann er. „Ich habe die schwimmenden Türme der Fremden gesehen. Das sind nicht wirklich Türme, sondern riesige Kanus. Sie sind gigantisch, größer als jedes Kanu, das wir je gebaut haben. Sie schaukeln auf dem Wasser und sie werden nicht gepaddelt. Die Fremden fangen den Wind in großen Tüchern und sie lassen sich von ihm über das Meer tragen. Doch das Seltsamste waren nicht die Schiffe, sondern die Menschen an Bord."
Die Berater Moctezumas begannen zu flüstern, doch ein scharfer Blick von Moctezuma brachte sie zum Schweigen. Graue Eule fuhr fort. „Mit Hilfe zweier Dolmetscher konnte ich den Anführer der Fremden sprechen. Seine Haut ist so hell wie der Mond. Er trägt Haare im Gesicht, so dicht wie das Gras. An ihren Körpern tragen diese Männer glänzendes Metall."
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Der letzte Jaguarkrieger
Historical FictionBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...