Wie an fast jedem Tag ließ Moctezuma sich auch heute ein heißes Bad bereiten. Wie immer liefen seine persönlichen Bediensteten mit ihren Holzeimern und dem heißen Wasser aus der Küche in das Bad. Dort lag der riesige Baumstamm, den man innen ausgehöhlt hatte, wie ein Kanu. Außen hatte der Stamm jedoch nicht die Form eines Bootes, sondern wunderschöne, geschnitzte Füße in Form von Jaguar Tatzen. Auf diesen Füßen stand die hölzerne Wanne und sie war so groß, dass die Diener 40 Eimer heißes Wasser hineinschütten mussten, um sie zu füllen.
Wie immer ließ Moctezuma sich von den jungen Frauen entkleiden und stieg in sein Bad. Dort streckte er sich aus, schloss wohlig die Augen und genoss es, wie die Hände seiner Dienerinnen ihn verwöhnten. Oft entspannte er sich in seiner Wanne so sehr, dass er für kurze Zeit einschlief und auch heute wäre er fast ins Reich der Träume abgedriftet, als ihn eine sehr leise, geflüsterte, männliche Stimme wieder in die Wirklichkeit zurückholte.
„Großer Sprecher, ich bin es! Der Graugrüne Coyote in der Nacht!"
Moctezuma riss die Augen auf. „Wer? Sollte ich dich kennen?"
Nur für einen kurzen Augenblick war Coyote enttäuscht. Doch es war nicht wichtig, dass dieser Mann ihn in der Kleidung eines Dieners nicht erkannte. Er hatte einen Auftrag und nur der zählte. Als wäre er einer der Leibdiener packte Coyote einen Fuß seines Großen Sprechers und schrubbte ihn mit einer schäumenden Lotion aus Yucca, Agave und Saponaria ab.
Mit einem kurzen Blick versicherte Coyote sich, dass keiner der Tlaxcalteken in ihrer Nähe war und sie belauschen konnte. „Graue Eule schickt mich. Ich soll dir sagen, dass weitere Spanier an unserer Küste gelandet sind. Sie sind mit 18 schwimmenden Türmen und sehr vielen Männern über das Meer gekommen und so wie Graue Eule es erfahren hat, sind es wohl keine Freunde des Herren von Malinche."
Mit einem Ruck richtete Moctezuma seinen Oberkörper auf, senkte genau wie Coyote die Lautstärke seiner Stimme und grinste verschlagen. „Es sind keine Freunde des Herren von Malinche?"
Coyote schüttelte den Kopf. „Die Neuankömmlinge haben Unterhändler in die kleine Festung an der Küste geschickt. Aber Sandoval, der neue Kommandant der Festung hat diese Unterhändler sofort verhaftet. An Stangen gebunden wurden sie von den Totonaken hier her getragen. Genau in diesem Augenblick werden diese Männer dem Herren von Malinche vorgeführt. Der scheint sehr erbost über die Ankunft der neuen Spanier."
Immer breiter grinste Moctezuma und überlegte. „Diese neuen Spanier werden ja vermutlich nicht alle so dumm sein wie diese Unterhändler." Er schaute Coyote an und grinste erneut. „Sag Graue Eule, dass er mit den neuen Fremden Kontakt aufnehmen soll! Sag ihm, dass er ihnen große Goldgeschenke machen soll. Er soll ihnen meine Freundschaft anbieten und er soll ihnen erklären, in welcher Lage ich mich befinde und dass ich ihnen helfe, wenn sie mir helfen! Geh, Junge! Geh, bevor die Spanier dich hier finden."
Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch verließ Coyote seinen Großen Sprecher. Dieser Mann verursachte ihm körperliches Unwohlsein. Er war kein Junge! Er war ein Krieger und er könnte kotzen, wenn er nur an ihn und seine Feigheit dachte. Er tat, als wäre er noch immer der Große Sprecher. Dabei war dieser Kerl seit der Verbrennung der beiden Adler schon so gut wie tot. Er verhandelte mit den Feinden der Mexica, anstatt seine Truppen gegen sie zu schicken. Hier ließ er sich verwöhnen und war doch nur ein Gefangener.
Anscheinend fühlte er sich sehr wohl, in seiner Gefangenschaft. Zu gern hätte er den Großen Sprecher an seinen Schultern gepackt und ihn so lange unter Wasser gedrückt, bis ihm die Luft ausging. Nur schwer konnte er sich wieder beruhigen.
Erst als er Graue Eule gegenüber stand, hatte er sich wieder im Griff. Der verstand genau was der Große Sprecher wollte. Er stellte keine Fragen und machte sich sofort auf den Weg an die Küste. Begleitet wurde er von mehreren Läufern, die er mit Gold beladen hatte. Auch Coyote musste einen großen Beutel voller Gold schleppen.
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Der letzte Jaguarkrieger
Ficción históricaBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...