Das Boot sollte Coyote erst in der Dunkelheit über den See bringen. Das gab ihm genug Zeit für einen Besuch bei Mildes Chili. Er war schon lange nicht mehr auf dem Chinampas gewesen und sie sollte zumindest wissen, dass er jetzt einen gefährlichen Auftrag hatte. Vielleicht war dies ja auch sein letzter Auftrag? Wer konnte schon wissen, ob sich die Tlaxcalteken nicht schon morgen das Fleisch seiner Arme und Beine schmecken ließen?
Auf dem Weg zum Chinampas zog er seine neuen Sandalen aus, damit sie nicht nass wurden. Beide Frauen waren bei der Arbeit und wie immer waren sie dabei vollkommen nackt, weil sie ihre Kleider schonen wollten. Sofort geiferte die Alte, als sie ihn kommen sah.
„Hast du gedacht, du könntest mich einfach hier sitzen lassen, bis in alle Ewigkeit? Glaube ja nicht, dass ich vollkommen machtlos bin! Streng dich gefälligst mehr an, dass du endlich zu einem Jaguar wirst und mich freikaufen kannst!"
Ihr drohender Blick wanderte von Coyote hinüber zu Mildes Chili und beide wussten, was sie ihnen mit diesem Blick sagen wollte. Wenn er sie nicht bald von hier weg holte, dann war das Leben von Mildes Chili in Gefahr.
Coyote war genervt von der Alten und ihren ständigen Drohungen. Ohne sie weiter zu beachten wartete er darauf, dass Mildes Chili sich ihr Kleid über zog, nahm sie bei der Hand und ging mit ihr in die Stadt. Er wollte sie allein sprechen, ohne dass die Alte von seinem geheimen Auftrag hörte.
„Noch heute Abend fahre ich über den See nach Texcoco und in der Nacht gehe ich über die Mauer nach Tlaxcala."
Mildes Chili wurde blass. Sie wusste genau, was das zu bedeuten hatte und fürchtete sich. Sie hatte Angst um ihn, aber auch um ihre eigene Zukunft. In der Regel war eine Reise nach Tlaxcala eine Reise ohne Wiederkehr. Aber wenn sie ihm jetzt zeigte, wie viel Angst sie hatte, dann machte sie ihn damit nur wirr im Kopf und das behinderte ihn bei seinem Auftrag. Also riss sie sich zusammen.
„Gehst du ganz allein?", fragte sie mit großer Selbstbeherrschung.
Er schüttelte den Kopf. „Wir gehen zu dritt, aber ohne Graue Eule. Wir gehen als Händler verkleidet und werden ein paar Waren mitnehmen."
Er wies auf die Farben seines neuen Umhangs und seine neuen Sandalen, die ihn als Händler auswiesen, aber sie war schockiert. „Mit einem Tragebrett und mit Gemüse auf dem Rücken sollst du durch Tlaxcala laufen?"
Erneut schüttelte er den Kopf und lächelte sie an. „Ich habe ein wenig Gold und durchsichtige Steine bekommen. Das lässt sich leichter tragen als ein Gemüsebrett."
„Aber Gold ist doch vollkommen wertlos! Wie willst du denn damit den Tlaxcalteken vorspielen, dass du ein Händler bist?" Sie war entsetzt.
„Viele Menschen glauben, dass Gold vollkommen wertlos ist, aber das stimmt nicht. Es ist sogar sehr wertvoll, genau wie die Steine, durch die das Licht hindurch scheint."
Sie wollte nicht mit ihm streiten und ließ seine komische Behauptung einfach so stehen, ohne zu widersprechen. „Was wirst du in Tlaxcala machen?", fragte sie mit leiser Stimme.
„Wir sollen herausfinden, ob die Spanier noch immer am Leben sind oder ob das Fleisch ihrer Arme und Beine bereits die Bäuche der Tlaxcalteken füllt. Es heißt, sie haben sich bereits mehrmals geschlagen und die Spanier waren wohl siegreich. Aber im Palast kann das niemand glauben und deshalb sollen wir dort hingehen und schauen, ob die Gerüchte wahr sind oder nicht."
Sie war überrascht. „Hältst du es denn für möglich, dass diese wenigen Männer sich gegen die Tlaxcalteken behaupten konnten und nicht alle gefangen wurden? Du hast sie doch an der Küste gesehen. Sind sie wirklich so stark, wie alle sagen?"
Er legte die Stirn in Falten und dachte nach. „Ihre Arme sind ganz sicher nicht stärker als meine. Aber diese Männer sind schon etwas Besonderes. Allein ihr Mut ringt jedem Respekt ab. Sie wagen Dinge, die andere für vollkommen unmöglich halten. Ich halte es schon für möglich, dass ein paar von ihnen noch immer am Leben sind."
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Der letzte Jaguarkrieger
Historische RomaneBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...