Der letzte Jaguarkrieger

Cholula ist gefallen - Teil 20

Coyote hatte seinen Gefangenen abgegeben und sein Name stand in der Liste. Eigentlich war dieser Blumenkrieg jetzt für ihn vorbei. Aber weil das riesige Heer der Mexica die Krieger aus Cholula noch immer vor sich her trieb, schlossen auch Coyote und Blaue Eidechse sich an. Im lockeren Dauerlauf folgten sie dem Heer und hofften darauf, einen weiteren Gefangenen zu machen.

„Wie geht es Mildes Chili? Ist sie am Leben?" Blaue Eidechse schaute Coyote ins Gesicht und als er sein Lächeln sah, musste der eigentlich nichts mehr sagen. Die Last, die er all die Jahre mit sich herumgetragen hatte, fiel von ihm ab. Weder er selbst, noch sein Vater waren schuld am Tod von Coyote und Mildes Chili.

„Sie lebt, aber es geht ihr nicht wirklich gut. Sie ist die Sklavin einer Sklavin auf einem Chinampas am Stadtrand von Tenochtitlán. Doch vermutlich wird sich das schon bald ändern. Sobald wir die Gefangenen nach Hause treiben, werde ich im Rang aufsteigen und wenn ich noch ein paar weitere Gefangene mache, dann werde ich ein Jaguar. Dann bekomme ich Land, Sklaven und ein paar Bauern. Dann kann ich Mildes Chili befreien."

Für einen Moment hatte Blaue Eidechse das Bedürfnis, seinen Freund darum zu bitten, doch wieder mit nach Hause zu kommen. Doch das war vollkommen ausgeschlossen. Er war nicht mehr derselbe, wie noch vor ein paar Jahren. Seine Gesichtszüge sahen aus, als wären sie aus Stein gemeißelt. Darin konnte Blaue Eidechse sehen, wie viel er durchgemacht hatte und wie hart das Leben als Krieger im Calpulli war.

Er bewegte sich auch vollkommen anders und er dachte wie ein Azteke. Auch hatte er sich bereits die ersten Federn verdient und schon bald würden sehr viel mehr Federn und Farben auf seiner Kleidung dazu kommen, denn er hatte nicht nur irgendeinen Adler gefangen, sondern den Bär aus den Bergen. Mehr konnte ein Krieger fast nicht erreichen.

Ganz bestimmt würde Coyote nicht wieder mit ihm nach Xochimilco kommen, um dort mit seinem Vater auf dem Feld zu arbeiten.

„Wenn dieser Krieg gegen Cholula vorbei ist, werde ich zu deinen Eltern gehen und ihnen sagen, dass ihr Sohn jetzt ein großer Krieger ist." 

Blaue Eidechse sah zu ihm hinüber, aber Coyote biss nur die Zähne aufeinander. Er wollte jetzt nicht an zu Hause denken. Sie waren im Krieg und er konnte sich keine Ablenkung leisten. Doch dann entschloss er sich doch zu antworten.

„Vergiss auch die Eltern von Mildes Chili nicht. Sage ihnen, dass ihre Tochter noch lebt und dass ich sie aus ihrem Elend befreien werde." 

Blaue Eidechse nickte, sah zur Seite und wischte sich heimlich ein paar Tränen der Erleichterung aus dem Gesicht. Er war so froh, dass nicht nur Coyote, sondern auch Mildes Chili noch immer am Leben war. Seite an Seite rannten sie immer weiter in Richtung Cholula. 

In der Stadt herrschte Chaos. Überall lagen Tote auf den Straßen. Es gab viele Verletzte, die um Hilfe schrien. Doch auf der großen Pyramide der Stadt schlug noch immer jemand die große Kriegstrommel und rief einen jeden, der eine Waffe tragen konnte, zum Kampf gegen die Azteken. Dabei war dieser Kampf schon längst entschieden. Die Azteken hatten die Häuser geplündert und trugen weg, so viel sie tragen konnten. Sie trieben ihre Gefangenen vor sich her und freuten sich über ihren Sieg.

Viele Krieger der Azteken waren froh, dass sie noch immer am Leben waren und feierten ihren Sieg über die Feinde, indem sie sich an den jungen Frauen vergriffen. So etwas war in Tenochtitlán undenkbar! Wer sich dort an einer Frau vergriff, der war des Todes. Doch hier herrschte kein Gesetz. Hier war jeder frei, genau das zu tun, was immer ihm gerade in den Sinn kam.

Niemand hielt die Krieger zurück, niemand sagte ihnen, dass sie mit dem Plündern und den Vergewaltigungen aufhören sollten. Raubend und mordend zogen einige in Gruppen durch die Stadt, drangen in die Häuser ein und trieben die Menschen aus ihren Verstecken. Keine Frau und kein junges Mädchen war vor ihnen sicher und setzte sich jemand zur Wehr, dann hackte man ihn einfach in Stücke.