Der falsche Mönch - Teil 12

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Nur mit seiner Kutte bekleidet, schritt ein junger Mönch weit aus und freute sich an dem schönen Tag. Er trug keine Last und den Wanderstock hätte er eigentlich auch nicht gebraucht. Doch weil der Stecken ihm gefiel, hatte er ihn aufgehoben und behalten. Nun begleitete ihn dieses harte Stück Holz schon seit zwei Wochen. Kurz hinter der kleinen Stadt Gotarrendura, noch in Kastilien, hatte er ihn gefunden und jetzt hatte er sich vorgenommen, diesen Stock vom Deck eines Schiffes in den Ozean zu werfen.

Still lächelte er vor sich hin, denn für einen Mönch war dieser Gedanke doch sehr absonderlich. Normalerweise verbrachten Mönche ihre Tage mit Beten und Arbeiten, aber nicht damit, einen Stock zum Meer zu tragen, um ihn in den Wellen davon schwimmen zu sehen. Doch in dieser Kutte steckte gar kein richtiger Mönch, auch wenn er sich jetzt Manuel nannte.

Sein richtiger Name lautete Moshe Chaim Abraham und in Wahrheit war er ein Jude, der sich über Jahre hinweg hinter den dicken Mauern im Kloster von El Burgo Ranero in der Nähe von León versteckt gehalten hatte. Im Alter von zwölf Jahren hatte man ihn dort nichts ahnend aufgenommen, weil er die Bibel gut kannte und weil er Lesen und Schreiben konnte.

Dem Abt erschien es ein frommes Werk, wenn er diesen vielversprechenden Knaben aufnahm und ihn nicht verhungern ließ. Damals war er ganz allein, er hatte niemanden mehr und es hätte wirklich nicht viel gefehlt, dann wäre er tatsächlich verhungert. Deshalb war er dem Abt unendlich dankbar. Das Kloster war seine letzte Rettung, denn seine Eltern und alle seine Geschwister waren tot. 

Trotz allem, was er an schrecklichen Dingen erlebt hatte, erinnerte er sich gern an die schönen Bilder aus seiner frühen Kindheit. Vor seinem geistigen Auge sah er die engen, verwinkelten Gassen seiner Heimatstadt, die mit Menschen, Händlern und vor allem mit Kindern gefüllt waren. Er erinnerte sich an die lebhafte Geräuschkulisse aus Rufen, Lachen und dem Klappern von Pferdehufen in den engen Gassen. Vor allem der Duft von frischem Brot und Gewürzen aus fernen Ländern hatte sich in sein Gedächtnis gebrannt.

Besonders gern erinnerte er sich an seine Geschwister und an seine Eltern, die ihm die Geschichten aus der Thora erzählten und ihm nicht nur die hebräischen Schriftzeichen, sondern auch die lateinischen Buchstaben der christlichen Spanier beibrachten. Zuhause hatte er sich immer sicher gefühlt und seine Eltern hatten ihm das Gefühl vermittelt, dass er etwas Besonderes war. Aber dann war die Stimmung in der Stadt umgeschlagen. 

Der religiöse Hass auf alle, die nicht dem einzig wahren Glauben folgten, hatte sich im ganzen Land ausgebreitet wie eine Seuche. In den Kirchen wurden die Leute jetzt auch noch zusätzlich aufgehetzt. Nur wenige Jahre zuvor hatte es keine Rolle gespielt, wer welcher Religion anhing. Doch das war jetzt vorbei. Die Reconquista war schon seit Jahren abgeschlossen und die religiöse Freiheit, die unter den Muslimen geherrscht hatte, gab es nicht mehr. 

Auch die Muslime hatten unter der neuen, christlichen Herrschaft zu leiden, aber bei weitem nicht so schlimm, wie die Juden. Trotzdem hatten viele Muslime das Land verlassen. In großen Gruppen waren sie an die Küste, in die Hafenstädte gezogen und von dort über das Meer nach Afrika gesegelt. Andere Muslime wollten ihren Besitz nicht aufgeben und hatten ihren Glauben abgelegt. Sie waren zu Christen geworden und wollten im Land bleiben.

Lange Zeit hatten Moshes Eltern gehofft, dass es schon nicht so schlimm werden und sich die Situation wieder beruhigen würde. Sie kannten doch ihre Nachbarn und vertrauten ihnen. Doch ihre Zuversicht hatte sich als reines Wunschdenken herausgestellt. Immer schlimmer war es geworden und irgendwann wurde es lebensgefährlich. Gerade ihre Nachbarn waren am Ende die Schlimmsten. Der religiöse Wahn hatte sie gepackt und sie brauchten einen Prügelknaben, den sie für all ihr eigenes Ungemach verantwortlich machen konnten.

Dafür eigneten sich die Juden hervorragend. Sie waren daran Schuld wenn es nicht genug regnete und wenn es zu viel regnete, waren sie auch Schuld. Wenn jemandem die Kuh verreckte oder wenn der Blitz in den Apfelbaum einschlug, waren die Juden daran Schuld. Sie waren auch daran Schuld, wenn jemand einen schlechten Tag hatte. Eigentlich waren sie an allem Schuld.

Der letzte JaguarkriegerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt