Zum ersten Mal war Coyote zusammen mit Mesquiteblüte in der Stadt unterwegs und staunte über die vielen Menschen. Dieses Gedränge aus bunten Gewändern, Leibern und Köpfen erinnerte ihn an einen wimmelnden Ameisenhaufen. An das ohrenbetäubende Stimmengewirr und die Enge musste er sich noch gewöhnen.
Überall duftete es nach anderen Gewürzen und nach gebratenem Fleisch. Der beißende Geruch von vielen Holzfeuern lag in der Luft.
Ganz anders als Zuhause, lebten die Menschen hier in zwei- und dreistöckigen Häusern. Ein Haus stand direkt neben dem anderen. Es gab keine Lücken zwischen den Häusern, wie in Xochimilco.
Genau wie zu Hause spielte sich auch hier das gesamte Leben der Azteken auf der Straße ab. Handwerker stellten ihre Waren vor ihren Häusern unter großen Sonnensegeln her und wenn jemand vorbeikam und ein fertiges Stück kaufen wollte, dann handelte er so lange mit dem Handwerker, bis beide mit dem Preis leben konnten.
Die Vielfalt der Waren war überwältigend. Noch nicht einmal im Traum hätte Coyote sich so viele verschiedene Dinge vorstellen können. Oft wurden bestimmte Waren in nur einer einzigen Straße hergestellt.
Es gab die Straße der Töpfer, Sandalenschneider, Obsidian Schläger, Weber, Werkzeugmacher, Seiler, Fell- und Federkünstler, aber auch eine Straße in der nur Blumen verkauft wurden. Anscheinend waren die Azteken verrückt nach Blumen. Dafür gaben sie Unmengen an Kakaobohnen aus.
Besonders staunte er über die Korbflechter. Seinen eigenen ersten Korb hatte er schon vor Jahren geflochten, das war nichts Besonderes, das konnte schließlich jeder. Aber was diese Flechter hier anfertigten, war einmalig schön. Sie fertigten nicht nur Körbe, sondern auch Matratzen, Matten und sogar Kleidung aus Binsen oder aus den Fasern der Agave.
Auf den großen Märkten hingegen wurden fast nur Lebensmittel verkauft und genau auf einen solchen Markt wollte Mesquiteblüte mit ihrem neuen Träger. Sie bewegte sich hier wie ein Fisch im Wasser. Sie kannte jeden Winkel der Stadt. Auch wenn sie jetzt weit draußen auf dem Chinampas lebte, fühlte sie sich hier in der Stadt zu Hause. Sie liebte das Chaos, die Energie, die Farben und Gerüche. Hier fühlte sie sich lebendig.
Stolz baute sie ihren kleinen Stand an ihrem Stammplatz auf und grüßte die beiden Frauen, die links und rechts neben ihr ebenfalls Gemüse verkauften. Sie kannte hier viele Händlerinnen und schon bald wollten zwei von ihnen wissen, wer der Junge war, der sie heute begleitete.
Sie schaute zu Coyote hinüber und zum ersten Mal seit langer Zeit lächelte sie ihn wieder einmal an. „Du kannst dir den Markt ansehen!", rief sie mit harter Stimme, die so gar nicht zu ihrem Lächeln passte.
„Lauf aber nicht zu weit, Coyote! Ich brauche dich noch!", rief sie ihm hinterher.
Erst als er sie nicht mehr hören konnte, wandte sie sich den Frauen zu.
„Ich habe euch doch erzählt, dass mein Neffe mich eines Tages besuchen wird und ihr wolltet es nicht glauben. Sieht er nicht stattlich aus?", log sie ihnen ins Gesicht. Dabei lächelte sie stolz und als eine Kundin an ihrem Stand stehen blieb, verkaufte sie ihr ein paar Honigtomaten und ein paar Lauchzwiebeln. Sie lächelte noch immer, als sie die ersten Kakaobohnen des Tages einnahm.
Coyote war überrascht, dass die Alte ihn einfach so gehen ließ. Doch als er einen Moment darüber nachdachte, wurde ihm klar, dass er nicht einfach so verschwinden konnte. Wohin hätte er gehen sollen? Von dieser Insel konnte er nicht so leicht entkommen und wo sollte er sich in dieser riesigen Stadt verstecken? Selbst wenn er ein gutes Versteck fand, schon bald würde ihn dort der Hunger plagen und was sollte er dann essen? Zudem saß Mildes Chili noch immer auf dem Chinampas und ohne sie wollte er keinen Fluchtversuch wagen.
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Der letzte Jaguarkrieger
Ficción históricaBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...