Xochimilco - Teil 64

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Sie waren geschlagen! Jetzt würden ihre Feinde sie töten. Doch auch dieses Mal war Cortés für eine Überraschung gut. Er ging zum Herabstürzenden Adler, half ihm auf die Füße und drückte ihn mitsamt seinem Holzkragen an sich, als wäre er sein Bruder. Dabei lächelte er in die Runde und jeder konnte sehen, wie sehr ihn dieser Sieg freute.

„Der Krieg ist vorbei!", rief er laut. „Es wird keine Rache an den Gefangenen geben! Der Herabstürzende Adler ist mein Gast."

Doch trotz seiner freundlichen Worte nahm Cortés dem letzten Kaiser der Azteken nicht den Holz Kragen ab. Malinche übersetzte seine Worte ins Nahuatl und Coyote hörte sie, doch sie waren ihm vollkommen gleichgültig. Er war so müde und hungrig, ihm wäre es egal gewesen, wenn man ihn jetzt geopfert hätte.

Mit dem Gesicht im Dreck lag er mit den anderen Gefangenen am Boden, lauschte den trunkenen Freudenschreien und den Gesängen der Tlaxcalteken, die ihren Sieg ausgelassen feierten. Ergeben warteten die Gefangenen auf das, was auch immer mit ihnen geschehen würde.

Doch nach dem man sie mehrfach gründlich durchsucht hatte, jagten die Tlaxcalteken die Gefangenen nur mit Tritten und Schlägen davon. Man ließ sie gehen. Einfach so!

Für viele Krieger war diese Schmach kaum zu ertragen. Sie hatten sich nach ihrer Niederlage auf ihren Tod für die Götter gefreut und selbst das verweigerte man ihnen jetzt. Genau wie die Kriegshunde, die den Spaniern so lange treu gedient hatten, jagte man sie jetzt mit Schlägen davon! Diese Hunde brauchten viel zu viel Fleisch und weil es keine neuen Leichen mehr geben würde, mussten sie sich von nun an selbst versorgen.

Genau wie diese Hunde konnte auch Coyote das nicht begreifen. Damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Doch freuen konnte er sich nicht darüber, dass er noch immer am Leben war und dass man ihn einfach so gehen ließ. Wie betäubt blieb er in einiger Entfernung stehen und wusste nicht weiter. In seinem Kopf herrschte eine solche Leere, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte.

Ein gutes Stück neben ihm hatten sich die Hunde zu einem Rudel versammelt. Sie sahen ebenso verloren aus, wie die geschlagenen Azteken und weil keiner der Hunde wusste, wie es weiter gehen sollte, kämpften sie jetzt gegen einander. Einer von ihnen musste die Führung des Rudels übernehmen, denn es gab keinen Menschen mehr, der sie führte. Doch diese Führung vertrauten sie nur dem Stärksten an. So kämpften die Hunde erbittert mit einander und Coyote sah ihnen teilnahmslos zu.

Nach ihrem ausgiebigen Freudenfest verließen die meisten Spanier und etliche ihrer Verbündeten die vollkommen zerstörte Stadt. Andere blieben zurück, um auch die letzten noch stehenden Häuser zu plündern und niederzubrennen. Sie nahmen alles mit, was sie gebrauchen konnten und überließen die Geschlagenen ihrem Schicksal.

Noch immer wusste Coyote nicht, wie es jetzt weiter gehen sollte. Er war kein Krieger mehr.

Er hatte den Sinn seines Lebens verloren. Ganz langsam kehrte das Denken zurück, aber das Gefühl der Betäubung blieb.

In Tenochtitlán konnte niemand mehr leben. Über die Dämme zogen die letzten Azteken mit ihren Frauen und Kindern ab. Es dauerte lange, bis auch die letzten verhungerten Gestalten die Ruinen verlassen hatten. Sie waren geschlagen und keine Gefahr mehr. Die Spanier ließen sie ziehen. Wer nicht mehr laufen konnte, der blieb in der Trümmerlandschaft und viele von ihnen starben, denn noch immer wüteten hier die Pocken und der Hunger.

Coyote wusste nicht ob Schneeflocke noch lebte. Seit mehreren Monden hatte er sie nicht mehr gesehen. Ihr Vater war tot und ihr Elternhaus stand nicht mehr. Wo sollte er nach ihr suchen? Es war vollkommen zwecklos!

Er kannte nur einen einzigen Ort, an den er gehen konnte. Er wollte nach Hause, nach Xochimilco. So lief er aus dem Norden der Trümmerwüste, ganz in den Süden. Als er an dem Chinampas vorbeikam, auf dem er zusammen mit Mesquiteblüte und Mildes Chili gelebt hatte, dachte er an die vielen Pflanzen. Ob sie wohl neue Früchte trugen?

Der letzte JaguarkriegerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt