Mesquiteblüte ging es nicht gut. Sie lag in ihrer Hütte und hatte ihren Fuß hoch gelegt. Er war dick angeschwollen und tat schrecklich weh, weil sie sich am Schilf an den scharfen Halmen verletzt hatte. Ihrer Laune tat das gar nicht gut, sie war heute wieder einmal unausstehlich und so war Mildes Chili allein Wasser holen gegangen, nur weil sie die Nähe von Mesquiteblüte nicht mehr ertrug.
Sie brauchte unbedingt ein wenig Freiraum und weil die Alte ihr mit ihrem dicken Fuß nicht folgen konnte, hatte sie sich gleich nach dem Wasser holen das Tragebrett mit dem Stirnband aufgeladen und war zum Markt gegangen. Auf dem Stammplatz von Mesquiteblüte hatte sie ihr Gemüse ausgebreitet und viel Spaß daran, es zu verkaufen.
Endlich war sie einmal allein hier auf dem Markt, ohne die unausstehliche Alte. Sie fühlte sich frei und war von netten Menschen umgeben. In gewisser Weise hatte sie sich mit dem Leben in Tenochtitlán und auf dem Chinampas abgefunden. Woran sie sich jedoch nicht gewöhnen konnte, das waren die täglichen Gemeinheiten dieser grässlichen, alten Frau. Immer wieder schlug sie mit der Weidenrute zu. Da reichte oft schon ein einziges falsches Wort oder ein Blick. Schon fuhr sie aus der Haut und ließ die Weidenrute auf ihrem Rücken tanzen.
Am Abend kam sie dann auch noch auf ihr Schilflager und steckte ihr die Zunge in den Mund. Sie befummelte und beleckte sie und zwang sie immer wieder zu Dingen, die sie nicht wollte. Immer wieder drohte sie ihr, dass sie doch noch als Opfer ihr Leben verlieren würde, wenn Coyote nicht bald kommen und sie hier wegholen würde.
Sie konnte doch nichts dafür, dass Coyote sich so selten sehen ließ! Er hatte sehr viel weniger Freizeit als alle anderen. Immer wieder wurde er neben seinen Pflichten als angehender junger Krieger auch als Läufer eingesetzt und rannte durch das ganze Land. Jetzt war er sicher damit beschäftigt, seiner Ausrüstung den letzten Schliff zu geben. Denn ein neuer Blumenkrieg gegen Cholula war beschlossen und dieses Mal wurde er nicht mehr nur als Träger für die Krieger eingesetzt. Jetzt war er selbst ein in Weiß gekleideter Otonin Krieger.
Vielleicht bekam er sogar die Gelegenheit, auf dem Blumenfeld zu kämpfen und vielleicht gelang es ihm sogar, einen Gefangenen zu machen. Doch selbst wenn er einen Gefangenen machte, das würde noch lange nicht reichen, um sie von ihrem Chinampas zu holen. Er brauchte sechs Gefangene. Bis er die zusammen hatte konnte noch viel Zeit vergehen, denn es war ja nicht gesagt, dass er bei jedem Feldzug zum Zweikampf auf das Blumenfeld durfte. Manche Krieger konnten in ihrem ganzen Leben keinen einzigen Gefangenen machen, weil sie nicht ausgewählt wurden.
Nicht nur Mesquiteblüte, auch Mildes Chili wünschte sich, dass Coyote sich öfter bei ihnen auf dem Chinampas sehen ließ. Aber er kam so selten und wenn er dann einmal da war, dann schaute er sich ständig um, wie ein gehetztes Tier. Sie konnte ihm dann ansehen, dass er sich ganz weit weg wünschte.
Wollte er sie überhaupt noch befreien? Für immer zusammen sein, wollte er ganz sicher nicht mehr mit ihr. Denn sonst würde er sie ja viel öfter auf ihrem Chinampas besuchen. Zudem hatte sie das Gefühl, dass er sich in eine adlige Dame verliebt hatte. Immer wieder sprach er von der »Glitzernden Schneeflocke auf dem Fell eines Jaguars« und schwärmte von ihrer Klugheit.
Sie war eine Schülerin aus dem Calmecac, eine zukünftige Priesterin. Wenn ihre Ausbildung abgeschlossen war, würde sie vermutlich den Gefangenen das Herz heraus reißen. Doch im Moment erledigte sie die Arbeit eines Schreibers für ihren Vater. Dieser Adler führte Coyotes Calpulli und seine schöne Tochter war wohl ständig an der Seite ihres Vaters. So wie es aussah, war diese Schneeflocke auch ständig in Coyotes Kopf und er merkte gar nicht, wie sehr er sie damit verletzte.
Trotzdem gab es da doch noch immer eine Verbindung zwischen ihnen, oder etwa nicht? Sie war sich da nicht mehr so sicher. Früher hatte sie geglaubt, dass sie ihn lieben würde, aber heute war das anders. Sie war an ihn gebunden, aber die Gefühle, die sie als Kind für ihn hatte, waren in der langen Zeit einfach verflogen.
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Der letzte Jaguarkrieger
Historical FictionBevor die Spanier Mittelamerika betraten, waren die Azteken die beherrschende Macht auf dem Kontinent. Niemand konnte ihnen das Wasser reichen. Doch ihre Macht beruhte auf Gewalt und Terror. Die unterworfenen und geknechteten Völker warteten sehnsüc...