3. Kapitel - Wie soll es jetzt weiter gehen?

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Mit einem mulmigen Gefühl gehe ich den langen, tristen Korridor entlang. Der beißende Geruch von Desinfektionsmitteln liegt in der Luft und hinter der ein oder anderen Tür ist scherzhaftes Wimmern zu hören. Ich hasse Krankenhäuser.

Die nette Dame am Empfang hat mir den Weg recht gut beschrieben, daher dauert es nicht lange, bis ich Harriets Zimmer gefunden habe. Ich atme noch einmal tief durch, bevor ich an der Tür klopfe.

Nach einen leisen „Ja, bitte." betrete ich den Raum. Harriet ist allein in ihrem Zimmer. Sie hat das Kopfteil etwas nach oben gestellt, legt ihr Buch zur Seite und schaut mich mit müden Augen an.

„Harry, schön, dass du gekommen bist." Die alte Dame versucht fröhlich zu wirken, doch man sieht ihr an, wie schwer es ihr fällt.

Ich ziehe einen Stuhl zu ihr heran und setze mich neben ihr Bett.

„Wie fühlst du dich heute?" auch wenn diese Frage völlig überflüssig ist, ist mir gerade nichts Besseres eingefallen, um ein Gespräch zu beginnen. Sie hat Tränen in den Augen und das Sprechen fällt ihr schwer.

„Es tut mir so leid." bringt sie schließlich schluchzend hervor.

„Was tut dir leid, Harriet?" noch verstehe ich nicht, was sie mir sagen möchte.

„Das Jungendamt hat mich gestern angerufen. Charlottes Mutter ist bei einem Hochseilakt abgestürzt und tödlich verunglückt." berichtet sie mir und muss immer wieder kleine Pausen beim Sprechen machen.

„Ihre leiblichen Großeltern wollen das Mädchen zur Adoption frei geben."

„NEIN!" rufe ich entsetzt aus. Augenblicklich springe ich auf und laufe durch den Raum. Ich kann jetzt nicht stillsitzen. Das darf doch nicht wahr sein. Womit hat Charlie das verdient? Sie ist noch so jung und unschuldig. Das muss ein schlechter Scherz sein.

„Wie soll es jetzt weiter gehen?" stelle ich die Frage, auf die ich eigentlich gar keine Antwort haben möchte.

„Ich weiß es nicht Harry. Ich liebe Charlotte, aber ich bin einfach zu alt und habe auch nicht mehr die Kraft um mich noch 15 Jahre um die Kleine zu kümmern."

„Es muss doch eine Möglichkeit geben, dass sie in ihrem gewohnten Umfeld bleiben kann!" Verzweifelt fahre ich mir durch meine Haare.

„Finde jemanden in unserem Dorf der sie nimmt." sagt die alte Dame dann, als wäre es gar kein Problem. Ich glaube ihre Schmerzmittel zeigen ihre Wirkung. Wie kommt sie nur auf so eine Idee? Charlie ist doch kein Gegenstand, den man einfach mal so weiter reichen kann.

„Ich werde mir etwas einfallen lassen, das verspreche ich dir. Charlie soll das ganze Leid erspart bleiben. Ich werde nicht zulassen, dass sie hin und her gereicht wird. Sie hat eine Familie verdient, die sie liebt und beschützt. Glaube mir Harriet, ich habe in meiner Ausbildung ausreichend Erfahrung mit solchen Kindern sammeln können." Völlig außer mir laufe ich noch immer im Zimmer auf und ab.

Unser Gespräch wird durch ein leises Klopfen an der Tür unterbrochen. Harriets Arzt betritt den Raum.

„Entschuldigen Sie die Störung, aber wir müssen noch einige Tests für die OP morgen machen. Ich würde sie bitte, sich voneinander zu verabschieden. Ich schaue in 5 Minuten wieder rein." Mit diesen Worten wendet sich der Doktor wieder von uns ab und verlässt den Raum.

„Versprich mir, dass du dich um Charlotte kümmern wirst." Bittend schaut mir Harriet in die Augen, dass ich gar nicht anders kann, als ihr das Versprechen zu geben.

„Mach dir darüber keine Sorgen. Du wirst jetzt erst mal ganz schnell wieder gesund." Zum Abschied umarmen wir uns noh einmal, bevor ich das Krankenhaus verlasse.

Auf dem Heimweg kann ich nicht aufhören an das Gespräch zu denken. Ich kenne Charlie nun seit zwei Jahren. Sie ist quasi wie eine Schwester für mich. Damals hatte Harriet sie in ihre Obhut genommen, als der Zirkus, aus dem Charlies Mutter stammt, weitergezogen ist. Für ein Kleinkind wäre ein Zirkus nicht der richtige Ort. War damals die Begründung ihrer leiblichen Mutter. Sie würde das Kind wieder zu sich holen, wenn es älter ist. Wozu es jetzt jedoch nie kommen wird.

Niedergeschlagen setzte ich mich bei Mom an den Küchentisch. Charlie ist bereits im Bett und schläft friedlich.

„Was ist los, Harry?" Sie setzt sich zu mir und schenkt uns beiden eine Tasse Tee ein.

„Charlie wird zur Adoption freigegeben, ihre Mutter ist tödlich verunglückt." erzähle ich ihr ohne Umschweife.

„Mom, was sollen wir denn jetzt machen? Wir können doch nicht zulassen, dass sie zu wildfremden Menschen kommt." Ich glaube, so verzweifelt war ich noch nie in meinem Leben. Mom schaut mich ratlos an. Dabei hatte ich mir gerade von ihre einen aufmunternden Rat erhofft.

„Kannst du sie nicht adoptieren?" Meine Mom verschluckt sich fast an ihrem Tee.

„Harry, wie stellst du dir das vor? Ich bin beruflich so oft unterwegs, wie soll das funktionieren?"

„Und Gemma? Sie könnte wieder nach Holmes Chapel ziehen!"

„Denkst du wirklich deine Schwester gibt ihre Karriere für ein Kind auf?"

„Stimmt auch wieder." Muss ich meiner Mutter leider recht geben. Gemma ist zwar eine wunderbare Persönlichkeit, aber sie liebt ihren Job über alles. In Gedanken gehe ich alle Bekannten durch, die in Frage kommen würden, aber es sind nicht wirklich viele dabei, denen ich Charlie anvertrauen würde.

„Was hältst du von Niall?"

„Also bitte Harry! Ich mag Niall, wirklich, aber er ist doch selbst noch ein Kind, da kannst du sie auch gleich selbst adoptieren..." etwas belustigt schaut Mom mich an.

„Sehr witzig. Ich bin gerade mal 23 Jahre alt und versuche mein Leben auf die Reihe zubekommen. Meinst du ich könnte mich da um ein Kind kümmern?" Meine Mutter hat manchmal wirklich komische Ideen.

„Harry, jetzt mal im Ernst. Du betreust jeden Tag fünf Kinder. Sie lieben dich und du gehst bei deiner Arbeit richtig auf. Ist es da so abwegig eins bei dir aufzunehmen? Ich meine, eigentlich verbringst du auch jetzt schon deine Freizeit ständig mit Charlotte."

„Mom, ich weiß nicht..."

„Denk einfach mal darüber nach. Im Notfall wäre ich auch noch da, um dich zu unterstützen."

Doch bevor ich mir darüber weiter den Kopf zerbrechen kann, höre ich Charlie rufen. Schnell laufe ich die Treppen hinauf zu meinem alten Zimmer. Weinend sitzt das kleine Mädchen im Bett und drückt ihre Lieblingspuppe fest an sich.

„Hey Süße, was ist denn los?" schniefend wischt sie sich die Tränen aus den Augen und zeigt auf den Kleiderschrank.

„Monster!" flüstert sie mir zu und zieht sich die Decke über die Nase. Auf Zehenspitzen schleiche ich mich an den Schrank heran und öffne mit einem Ruck beide Türen.

„Siehst du" ich zeige mit meiner Hand auf den leeren Schrank.

„Keine Monster da." Wieder fängt sie an zu schluchzen, springt dann aus dem Bett und klammert sich an mein Bein.

„Soll ich bei dir bleiben?" mit einem kräftigen Nicken bestätigt sie meine Frage.

„Na gut, dann ab ins Bett. Aber wehe du schnarchst heute Nacht."

„Nein" kichert Charlie.

„Das machen nur Männer." Sie krabbelt zurück unter die Decke und rutscht ein Stück zur Seite, damit ich mich neben sie legen kann. Sie legt sich auf meinen Arm und kuschelt sich an meine Seite, bis ihr die Augen wieder zufallen.

„Schlaf gut Prinzessin." Flüstere ich und drücke ihr noch einen Gute-Nacht-Kuss auf die Stirn. Ich lösche noch das kleine Nachtlicht auf der Kommode neben dem Bett und versuche auch etwas zu schlafen.

lonely hearts  ➵ larry stylinsonWo Geschichten leben. Entdecke jetzt