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Mit einem Buch in der Hand saß Finya in der Morgensonne. Den Rücken hatte sie an die Brüstung der Terrasse ihres Herren gelehnt.
Die Sonne fing sich in den goldenen Reifen an Handgelenken und Hals, welche sie trug und brachte den Schmuck zum funkeln. Im Zimmer saß Andrej und wachte über sie. Der Besuch bei Imperator Aegir war jetzt gut zwei Wochen her und Finya hatte ihre Entscheidung nicht bereut.
Sie war nach wie vor die Sklavin von König Aaron und daran würde sich auch in Zukunft nichts ändern. Doch trotz der Regeln und Beschränkungen, die ihr auferlegt waren, fühlte sie sich freier als je zuvor in ihrem Leben.
Finyas Blick fiel auf die Sanduhr, die auf einem kleinen Tischchen neben ihr stand. Der Sand war fast komplett durchgelaufen. Sie klappte das Buch zu und legte es zur Seite. Nicht mehr lange, und sie hätte ihr erstes Buch zu Ende gelesen .
Finya verließ die Terrasse und trat in die kühlen Gemächer ihres Herren, des Königs.
Zielstrebig ging sie auf einen der Schränke zu und öffnete ihn. Die Schranktüre klappte ihr entgegen, wurde so zu einer kleinen Abstellfläche. Die junge Frau stellte einen schlichten Becher bereit und griff dann nach einer Flasche mit einer grünen Flüssigkeit. Kurz verzog sie das Gesicht, als sie die Flasche entkorkte und der bittere Geruch in ihre Nase stieg. Sie füllte den Becher zu zwei Dritteln mit dem Trank, verkorkte die Flasche und stellte sie sorgsam zurück an ihren Platz.
Mit dem Becher in der Hand verließ sie schließlich die Gemächer des Königs. Noch immer schienen Finya die vielen Gänge der Burg wie ein Labyrinth, auch wenn sie - dank Dimitri - die wichtigsten Wege inzwischen kannte. Geduldig war Dimitri in der letzten Woche wieder und wieder die Wege mit ihr abgelaufen. Thronsaal, Bibliothek, Küche, Büro des Königs, der Garten, der Salon und auch die Kammer, in der sie selbst die erste Zeit hier in der Burg verbracht hatte. All diese Orte fand sie inzwischen im Schlaf, denn das war die Bedingung ihres Herren gewesen. Finya durfte erst dann alleine seine Gemächer verlassen, wenn sie sich in der Burg zurecht fand, die wichtigsten Orte alleine finden konnte.
Zielstrebig ging Finya in den ersten Stock, wo ihre alte Kammer lag. Die Kammer, aus der sie vor gar nicht all zu langer Zeit versucht hatte, zu fliehen, indem sie aus dem Fenster geklettert war. Wie dumm und naiv sie doch gewesen war. Heute wusste sie, warum sie nie eine Chance zur Flucht gehabt hätte. Einem Vampir konnte man nicht entfliehen. Einer ganzen Garde an Vampiren erst recht nicht.
Finya blieb vor der Türe stehen, holte den Schlüssel unter ihrem Kleid hervor und betrat kurz darauf den Raum. Er sah noch genauso aus, wie an dem Tag, an dem sie die Kammer zuletzt bewohnt hatte. Selbst der Griff am Fenster fehlte nach wie vor.
Das Mädchen im Bett war wach, blickte Finya jedoch mit vor Angst geweiteten Augen an.
Finya seufzte. Seit zwei Wochen lag sie schon hier. Seit einer Woche war sie zumindest zeitweise bei Bewusstsein, was wohl auch der geringeren Menge an Noxanum geschuldet war, doch Finya kam einfach nicht an sie heran.
Das Essen stand unangerührt auf dem kleinen Schränkchen und somit eigentlich in Reichweite des Mädchens. Finya stellte den Becher auf den Tisch und zog sich den Stuhl heran. „Hallo Rebecca" grüßte sie die junge Frau freundlich, die jedoch nur erneut zusammenzuckte. „Du musst essen, damit du wieder zu Kräften kommst." Sie griff nach dem stärkenden Eintopf und begann das Mädchen behutsam zu füttern. Anfangs wollte sich diese noch dagegen wehren, doch Finya redete ihr beständig zu, bis Rebecca zumindest die Hälfte gegessen hatte. Anschließend hielt sie ihr einen Becher mit Wasser an die Lippen. „Trink. Das wird dir gut tun."
Erst zögerlich, dann gierig leerte Rebecca das Wasser. Lächelnd füllte Finya den Becher ein zweites Mal.
„Du bist seine Sklavin." durchbrach Rebecca auf einmal die Stille. Ihre Stimme klang schwach und kraftlos. Finya folgte Rebeccas Blick bis zu ihren Armreifen. „Ja das bin ich" erwiderte sie lächelnd, froh darüber, dass Rebecca endlich mit ihr sprach. „Ich habe Angst." brach es auf einmal aus der jungen Frau heraus. Sie begann zu weinen. „Ich weiß." erwiderte Finya sanft. „Mir ging es vor gar nicht all zu langer Zeit genauso wie dir. Aber König Aaron ist ein gerechter Herr. Er ist nicht wie dein alter Herr."
„Aber er wird mich demütigen, so wie er dich demütigt." „Wie kommst du darauf?"
Anklagend deutete Rebecca auf die Goldreifen an Finyas Körper. Finya lächelte. „Du hast Recht. Aber nur teilweise." erklärte sie. „Anfangs empfand ich es wirklich als demütigend, diese Ringe zu tragen. Und genau so war es von unserem Herren manchmal auch gedacht, wenn er mich strafen wollte. Ich wollte mich ihm nicht beugen und die Reifen waren seine Art, mir meinen Platz aufzuzeigen. Doch diese Zeit ist vorbei. Ich trage seine Zeichen freiwillig, Rebecca.
Ich kann seine Zeichen nicht entfernen, selbst wenn ich wollte. Aber ich war es, die ihn bat, sie tragen zu dürfen."
Ungläubig blickte Rebecca die junge Frau neben sich an. „Eines Tages wirst du es vielleicht verstehen." Finya lächelte.
„Aber zuerst musst du gesund werden. Und bevor dein Körper nicht geheilt ist, wirst du ohnehin nicht auf unseren Herren treffen."
Rebecca nickte erleichtert, doch das kurze Gespräch schien sie mehr als nur erschöpft zu haben. Finya griff nach dem Becher und setzte ihn an Rebeccas Lippen. „Trink."
Sie stützte Rebeccas Kopf, bis diese den Becher geleert hatte. Noch bevor Finya den Stuhl zurück gestellt hatte, war Sie bereits eingeschlafen.
Leise verließ Finya den Raum und verschloss sorgfältig die Türe. Sie bezweifelte, dass Rebecca in ihrem Zustand in der Lage wäre, eine Flucht auch nur zu planen, doch sie hatte eindeutige Anweisungen bekommen. Und sie wusste, dass ihr Herr nicht zögern würde, sie zu bestrafen, egal wie sehr sie sich ihm unterworfen hatte. König Aaron wusste genau, wie er seine Sklavin effektiv bestrafen konnte. Nie waren seine Strafen schmerzhaft und dennoch verfehlten sie nie ihr Ziel.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt