„Dimitri?" hielt Aaron seinen Hauptmann auf. „Wie hat sich Simon die letzte Zeit verhalten?"
„Tadellos, Aaron. Er ist fleißig und zuverlässig. Nach seinem Dienst verbringt er die Zeit bei seiner Familie. Pünktlich zum Sonnenuntergang meldet er sich im Kerker und lässt sich einsperren." Aaron nickte zufrieden. „Und seine Frau?" „Sie hat sich soweit eingelebt, verlässt aber kaum die Wohnung."
Erneut nickte Aaron nachdenklich. „Siehst du Fluchtgefahr bei ihm, falls ich ihm den Kerker erlasse?"
Dimitri schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht. Abgesehen davon wäre er dumm, wenn er mit seiner Familie zu fliehen versucht. Laut Ivar und Andrej stammt er aus einem sehr armen Dorf, in dem er täglich um das Überleben kämpfen musste. Hier ist seine Familie versorgt..."
„Gut." Aaron blickte in Richtung der Ställe, wo Simon gerade ein Pferd versorgte. „Simon..." sprach er den Sklaven an. „...auf ein Wort."
Unsicher trat der Mann auf Aaron zu und verneigte sich. „Dimitri hat mir soeben bestätigt, dass du gute und zuverlässige Arbeit leistest. Ich werde daher deine Strafe offiziell beenden. Du brauchst ab sofort nicht mehr in den Kerker." strahlend sank Simon auf die Knie. „Das heißt, ich darf auch die Nächte bei meiner Familie verbringen?"
Aaron schmunzelte. „Genau das heißt es. Du unterliegst keinen Einschränkungen mehr."
Mit Tränen in den Augen blickte Simon zu seinem Herren auf. „Ich danke Euch vielmals, Herr."
Für einen kurzen Moment zögerte er. „Ich gebe Euch mein Wort, dass ich Euch immer treu dienen werde." Aaron lächelte. Dennoch klang er ernster, als er Simon antwortete. „Ich hätte deine Strafe nicht aufgehoben, wenn ich mir dessen nicht sicher wäre."
Simon sah Aaron glücklich an. Dann erschrak er jedoch auf einmal. „Wie lange darf meine Familie noch hier bleiben, Herr?"
Aaron legte ihm die Hand auf die Schulter.
„Steh auf." er wartete, bis Simon stand. „Deine Frau kann so lange bleiben, wie sie möchte." erklärte er dann. „Ich würde es allerdings begrüßen, wenn sie sich für die Unterkunft revanchiert und kleinere Arbeiten übernimmt, sobald euer Sohn größer ist. Aber das ist keine Bedingung. Ich denke allerdings, eine Aufgabe würde ihr gut tun."
Simon nickte eifrig. „Ich werde mit ihr reden, Herr."
„Gut. Dann geh jetzt wieder an die Arbeit."Gemeinsam mit Dimitri ging Aaron die Gänge entlang. „Wie weit sind eigentlich die Reparaturarbeiten an der Gartenmauer."
„Sie wurden gestern abgeschlossen. Man sieht nichts mehr von dem Loch. Wir konnten sogar den Efeu an der Außenseite retten. Man merkt also nicht, dass wir das Loch entdeckt und ausgebessert haben. Sollte jemand versuchen durch das vermeintliche Loch in die Burg zu gelangen, werden wir ihn schnappen."
Aaron nickte zufrieden, seufzte dann aber. Er musste dringend mit Finya reden, doch noch konnte er dieses Gespräch herauszögern. Da kam ihm sein Gedanke von zuvor gerade recht.
Fragend sah Dimitri seinen König an.
„Ich muss noch entscheiden, was ich mit David tun werde." Dimitri nickte, schmunzelte dann aber. „Das ist aber nicht, was Dich zum Seufzen bringt, mein Freund." stellte er fest. Aaron lachte freudlos auf. „Du hast mal wieder Recht, mein Freund. Du kennst mich einfach zu gut." erneut seufzte er.
„Ich muss mit Finya reden. Und ich weiß jetzt schon, dass es ihr nicht gefallen wird."
Dimitri lachte leise. „Bei keinem anderen Sklaven würde es dich derart interessieren, ob ihm gefällt was du willst oder nicht. Was ist es denn, was du von ihr möchtest?"
„In drei Wochen wird hier ein Kampf statt finden, von dem keiner weiß, wie er ausgeht.
Ich möchte Finya möglichst weit weg von hier wissen, zumal scheinbar der Plan besteht, sie zu entführen. Ich möchte, dass sie im Ernstfall in Sicherheit ist. Daher habe ich entschieden, sie zu meinem Bruder zu schicken, bis das alles hier vorbei ist."
Dimitri nickte. „Du hast Recht. Das wird ihr nicht gefallen. Aber ich sehe auch keine andere Lösung. Für den Fall, dass die Burg wirklich fällt, ist sie hier nirgends sicher."
Inzwischen standen sie vor Aaron's Wohnung, doch Aaron zögerte, einzutreten.
„Bring mir David in mein Büro." wandte er sich statt dessen an Dimitri. Dieser blickte ihn skeptisch an. „Du willst das Gespräch herauszögern."
Aaron nickte nur müde. „Du solltest es nur nicht zu lange herauszögern, mein Freund. Aber jetzt hole ich dir erst einmal David"
Dimitri hatte längst den Gang verlassen als Aaron immer noch mit der Hand auf dem Türknauf vor seiner Wohnungstüre stand.
Dann öffnete er sie doch und trat in den Hauptraum.
Finya lag vor dem brennenden Kamin und las. Hinter ihr, in einem Sessel, saß Gregori entspannt zurück gelehnt.
Aaron trat auf die Sitzgruppe zu und beobachtete Finya eine Weile, die so sehr in ihr Buch vertieft war, dass sie ihn noch nicht bemerkt hatte.
„Finya" wandte er sich schließlich an das Mädchen. Sofort schloss Finya ihr Buch und blickte fragend zu ihrem Herren.
„Ich muss nochmal in mein Büro um mit David zu reden." er seufzte leicht. „Ich weiß immer noch nicht, was ich mit ihm tun soll, aber ich kann es nicht länger hinauszögern.
Allerdings möchte ich dich bei mir haben. Du wirst mich also begleiten müssen." erklärte er, wobei sich bei seinen letzten Worten ein Lächeln auf sein Gesicht setzte. „Du auch, Gregori. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass David Ärger macht."
Kurz darauf bogen die drei auf den Gang zu Aaron's Büro ein. Die Türe stand offen. Dimitri und David waren vermutlich schon da.
Gefolgt von Gregori und Finya betrat Aaron sein Büro. David saß auf einem Hocker vor dem Schreibtisch, die Hände recht locker vor dem Körper gefesselt.
Hinter ihm stand Dimitri.
Als Aaron hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, hob David unsicher den Blick und ließ sich vom Hocker auf die Knie gleiten.
„Bleib sitzen." wies Aaron ihn müde an, während seine Hand nach Finya tastete, die inzwischen neben ihm kniete.
Zögerlich setzte sich David wieder auf den Hocker.
„Wie sieht es mit seiner Genesung aus, Dimitri?"
„Seine Verletzungen sind soweit abgeklungen, Hoheit. Sein jetziger Zustand wird sich allerdings wohl nur mit sehr viel Blut und auch nur vorübergehend verbessern lassen. Es ist das Silber unter seiner Haut...Er reagiert selbst auf die verstärkten Fesseln." erklärte Dimitri.
Eine ganze Weile musterte Aaron den jungen Mann. „Wie alt bist du?"
„Ich war 16, als ich verwandelt wurde, Hoheit."
Im nächsten Moment zuckte David zusammen, als Aaron mit der Faust auf den Tisch schlug.
„Das war viel zu früh." knurrte er. „Aegir hätte dich nie verwandeln dürfen. Schon gar nicht gegen deinen Willen."
David zuckte nur hilflos die Schultern.
„Nimm ihm die Fesseln ab, Dimitri."
Dimitri löste das Seil und steckte es in die Tasche. „Danke, Hoheit." wandte David sich an Aaron.
Dieser nickte nur gereizt, stand auf und begann unruhig im Raum auf und abzugehen. „...was mache ich nur mit dir..." murmelte er.
David schluckte schwer. „Hoheit..." setzte er dann unsicher an. „Ich habe Euch ausspionieren wollen. Ich weiß, welche Strafe darauf steht und werde sie annehmen. Ich habe nur eine einzige Bitte."
Langsam drehte Aaron den Kopf zu David und taxierte ihn fragend. „Ich bitte nur darum, so lange am Leben bleiben zu dürfen, bis ich weiß, dass Ihr den Imperator ausschalten konntet. Wenn ich weiß, dass er meinem Bruder nicht mehr schaden kann, kann ich in Frieden sterben."
Wie in Zeitlupe wandte Aaron sich komplett David zu. „Woher willst du wissen, dass ich ihn ausschalten werde?"
„Ich...bin davon ausgegangen, Hoheit, weil er Eure Sklavin haben will."
Aaron lächelte sacht und trat noch näher auf David zu. Dicht vor ihm blieb er stehen. „Du hast das alles nur für deinen Bruder getan. Dennoch flehst du jetzt nicht um dein Leben."
Betrübt senkte David den Kopf. „Natürlich würde ich lieber leben, Hoheit. Aber diese Entscheidung liegt nicht in meinen Händen."
Langsam begann Aaron den Gefangenen zu umrunden. „Du hast Recht." begann er dann hinter Davids Rücken zu sprechen. „Die Entscheidung, ob du lebst oder stirbst liegt nicht in deinen Händen. Eine andere Entscheidung lag aber sehr wohl in deinen Händen."
Ebenso langsam wie zuvor trat Aaron wieder vor David, der inzwischen ziemlich angespannt auf dem Hocker saß. „Du hast dich von Anfang an entschieden, zu kooperieren. Du hast von Anfang an geholfen, Aegirs Plan aufzudecken. Du warst offen und ehrlich. Ich schenke dir daher dein Leben.
Allerdings wirst du weiterhin mein Gefangener bleiben. Du würdest alles für deinen Bruder tun. Du würdest auch mich verraten, wenn du dadurch deinen Bruder retten könntest. Dieses Risiko kann ich nicht eingehen."
David verneigte sich respektvoll. „Ich danke Euch für dieses Urteil."
„Bis auf weiteres wirst du im Kerker bleiben. Später werde ich entscheiden, ob ich dir eine normale Kammer gewähre."
Aaron's Blick wanderte zu Dimitri. „Bring ihn zurück in seine Zelle."
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Finya 2
VampireBitte zuerst Teil 1 lesen! Finya hat ihren Platz als Sklavin an König Aaron's Seite letztendlich akzeptiert. Dennoch sieht sie sich immer wieder neuen Herausforderungen gegenüber. Wird sie Aaron weiterhin vertrauen oder wird sie doch scheitern?