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Als Aaron wieder seine Räumlichkeiten betrat, war der Hauptraum in das sanfte Licht mehrerer Kerzen getaucht.
Dimitri saß auf einem der Sessel, einen Weinkelch in der Hand. Neben ihm auf dem zweiten Sessel lag Finya, eng zusammengerollt, und schlief.
Aaron setzte sich auf den verbleibenden dritten Sessel und nahm seinen Kelch zur Hand.
Sein Blick ruhte beinahe sanft auf der schlafenden Sklavin. „Hat sie noch irgend etwas gesagt?"
„Nein. Sie war nur sehr aufgelöst und erschöpft. Irgendwann ist sie dann eingeschlafen." Aaron nickte und trank einen Schluck Wein. Dimitri tat es ihm gleich, bevor er das Wort an Aaron richtete. „Warum hatte sie eigentlich zwei Weinkelche neben sich stehen?"
Aaron grinste. „Ich habe sie Wein trinken lassen."
Dimitri hob die Augenbrauen. „Wein..." wiederholte er. „Zwei Kelche...."
Aaron hob abwehrend die Hände, grinste aber dabei. „Es sind verschiedene Weine." sprach er dann unschuldig.
Dimitri schüttelte nur den Kopf. „Kein Wunder, dass sie so schnell eingeschlafen ist...."
Sofort wurde Aaron ernster. „So viel hat sie nicht getrunken, die Kelche waren nicht einmal ganz gefüllt. Allerdings scheint sie einen sehr feinen Gaumen zu haben. Sie hat sofort die Nuancen im Geschmack erkannt. Deswegen der zweite Wein. Ich war neugierig."
Dimitri verkniff sich ein Lachen. „Hast du da etwa eine gemeinsame Leidenschaft entdeckt?"
„Das wird sich zeigen, doch ich habe nicht vor, sie regelmäßig Wein trinken zu lassen. Es soll etwas besonderes für sie bleiben."
Dimitri wurde wieder ernster. „Sie ist keinen Wein gewöhnt. Gut möglich, dass bereits eine kleine Menge ausreicht, um sie müde zu machen." Aaron nickte leicht.
Schweigend genossen die beiden Männer ihren Wein, während Finya ruhig und entspannt neben ihnen schlief. Spät in der Nacht trug Dimitri das Mädchen in ihre Schlafkammer, bevor er seinen König alleine ließ.
Aaron blieb noch lange im Halbdunkel seines Wohnzimmers sitzen. Noch immer hörte er die für menschliche Ohren nicht wahrnehmbaren Schreie Harutos. Noch hatte er nicht entschieden, welches Schicksal seinem Sohn zuteil werden sollte. Das würde er entscheiden, wenn er den Jungen sah.
Entspannt lehnte er sich zurück und goss sich noch einmal nach. Finya hatte ihn heute wie so oft überrascht. Nicht nur ihr Verhalten im Kerker, als sie ihrem Peiniger gegenüber gestanden hatte, sondern auch später, hier, in seiner Wohnung. Erneut hatte sie ihm ihr Vertrauen bewiesen. Er würde sogar so weit gehen zu sagen, dass sie ihm inzwischen fast komplett vertraute und doch hatte sie ihre Furcht vor ihm nicht gänzlich abgelegt. Er genoss es, wie seine Sklavin auf kleinste Nuancen seiner Stimmung reagierte, wie er sie formen, wie er sie lenken konnte.
Finya kannte ihren Platz und hatte ihn akzeptiert. Gerade deswegen räumte er ihr mehr Freiheiten ein, als je einem Sklaven zuvor.
Sie genoss diese zusätzlichen Freizeiten, ohne sie für selbstverständlich zu nehmen oder irgend etwas einzufordern. Sie war zufrieden, mit dem was sie hatte. Sie schien glücklich zu sein.

Am nächsten Vormittag saßen Aaron und Finya gemeinsam beim Frühstück auf der Terrasse. So sehr Aaron es auch mochte, wenn Finya neben ihm kniete und ihn bediente, so sehr er es genoss, wenn sie die Speisen bereitwillig aus seinen Fingern entgegennahm, so sehr gefiel es ihm von Zeit zu Zeit auch, wenn sie ihm auf Augenhöhe am Tisch gegenübersaß und gemeinsam mit ihm frühstückte. Und auch zu diesen Gelegenheiten vergaß sie nie ihre Stellung, goss seinen Tee nach oder reichte ihm die Platten mit den Speisen.
Sie waren gerade fertig, als es an der Türe klopfte. Kurz darauf stand Andrej an der Terrassentür. Auf seinen Armen trug er einen schlafenden, vielleicht vierjährigen Jungen.
Finyas Augen weiteten sich. „Ichiro..." sie stand auf und trat auf Andrej zu. „Und wieder ein gefallenes Kind..." murmelte sie kaum hörbar. Fast schon zärtlich strich sie dem schlafenden Knaben eine Strähne aus der Stirn. „Ichiro. Ist das sein Name?"
Aaron trat neben sie und blickte ebenfalls auf den Jungen herab. „Was wird mit ihm geschehen, Herr?" „Das werde ich entscheiden, wenn er wach ist. Was hast du gerade gemeint mit ‚gefallenes Kind?"
Aaron sah seine Sklavin an. „So nennt man in den Dörfern die Kinder, die auf Euren Befehl geholt werden und die man nie wieder sieht. Die Kinder, die geholt werden, wenn ihre Eltern sich etwas schwerwiegendes zu Schulden kommen lassen. Keiner weiß, was mit ihnen geschieht aber viele sind überzeugt, dass Ihr die Kinder für die Schuld ihrer Eltern leiden lasst."
Aaron sah Finya wie so oft schweigend an.
„Und du, meine kleine Sklavin, was glaubst du?"
Nachdenklich senkte Finya den Blick. „Ich weiß es nicht, Herr. Früher dachte ich ebenso, aber jetzt..." Sie hob den Blick wieder an und sah ihrem Herren in die Augen. „Ihr habt mir gezeigt, dass Ihr nicht das Monster seid, das Ihr nach außen hin gebt."
Aaron lächelte. Doch das Lächeln erreichte nicht seine Augen. „Ich BIN das Monster, Finya. Lasse dich von meinem Verhalten dir gegenüber nicht täuschen. Ich bin ein Monster und werde es immer sein, aber ich werde NIE ein Kind für die Schuld seiner Eltern leiden lassen.
Ich bestrafe die Eltern, indem ich ihnen ihre Kinder entziehe. Die Kinder können ein relativ gutes, wenn nicht sogar besseres Leben führen."
Finya nickte langsam. „Und wie sieht dieses Leben aus, Herr?"
Aaron lächelte. „Findest du, dass Taro ein schlechtes Leben hat?" Finyas Augen wurden groß. „ER ist ein gefallenes Kind?" Aaron nickte nur. „Wenn du es so nennen willst...Sein Vater hat ihn gezwungen, zu klauen. Immer mehr, in immer größerem Maße. Der Vater wurde bestraft, seinen Sohn habe ich in meine Dienste genommen."
„Also dienen alle gefallenen Kinder Euch als Sklave? Also wird auch Ichiro Euer Sklave werden ?"
Erneut musste Aaron Lächeln. „Nein. Nicht alle dienen mir als Sklave. Manche teile ich auch meinen Fürsten zu. Und was Ichiro angeht....er ist noch jung."
Fragend sah Finya ihren Herren an. „Die jüngeren Kinder gebe ich mitunter auch an kinderlose Eltern in weit entfernten Dörfern.  Vorausgesetzt sie wurden von ihren Eltern noch nicht verdorben. Das werde ich bei Ichiro erst herausfinden müssen. Aber er soll sich erst einmal ausschlafen und einleben."
Aaron wandte sich Andrej zu, der immer noch abwartend da stand. „Bring ihn in eine der Kammern, Andrej. Bleib bei ihm und kümmere dich um ihn. Ihm soll vorerst an nichts fehlen."
Er wartete, bis Andrej den Raum verlassen hatte. „Ich muss nach Haruto sehen und ich möchte, dass du mich begleitest." Finya schluckte, nickte aber dann. Bald darauf standen sie vor der Kerkertür. Im Inneren war es still. Lediglich ein schmerzvolles Stöhnen war immer wieder zu hören.
Aaron öffnete die Türe und trat ein. Finya folgte ihm. Als sie neben ihm niederknien wollte, hielt Aaron sie jedoch davon ab.
Gregori lehnte am Tisch und spielte mit der Peitsche in seiner Hand.
Haruto hingegen hing schwer in den Fesseln. Er war blass, sein Gesicht Schmerz verzerrt. Seine Seiten waren rot von inzwischen getrocknetem Blut. Auch der Rücken war blutig und über und über von teils aufgeplatzten Striemen übersät.
Haruto hob langsam den Kopf und stöhnte. Jeglicher Stolz, jegliche Überheblichkeit war aus seinem Blick verschwunden.
Abschätzig blicke König Aaron auf seinen Gefangenen herab.
„Jetzt bist du wohl nicht mehr so stolz und überheblich." sprach er ihn kalt an.
„Allerdings sind da noch ein paar Fragen offen..." Gregori gab seine lässige Haltung auf und straffte sich, die Peitsche in der Hand.
Harutos Augen weiteten sich panisch. „Bitte...keine Schläge mehr." kam es flehend über seine Lippen.
„Das liegt allein bei dir." Aaron's Stimme war kalt und emotionslos.
Auch wenn Finya die Schmerzen ihres ehemaligen Peinigers mehr als gut nachempfinden konnte, empfand sie kein Mitleid.
Nicht nur einmal hatte ihr Rücken so ausgesehen, wenn Haruto mal wieder besonders grausam oder besonders betrunken gewesen war.
„Wenn ich mich recht erinnere, hast du meine letzten Fragen noch nicht beantwortet." Lauernd blickte Aaron auf Haruto herab, der fieberhaft zu überlegen schien, welche Fragen der König meinte. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Sein Blick wurde mehr und mehr panisch.
„Ich glaube, Gregori muss deinem Gedächtnis etwas auf die Sprünge helfen"
Harutos Augen weiteten sich noch mehr, als er sah, wie Gregori den Arm für den nächsten Schlag hob.
„Ich weiß nicht, welche Fragen ihr meint" schrie er panisch, bevor Gregori den Schlag ausführen konnte.
Aaron seufzte theatralisch, gab Gregori aber ein Zeichen, abzuwarten.
„Wie oft hast du diese Scharade bereits durchgezogen?" wiederholte er dann eine der Fragen vom Vorabend. „Fünf oder sechs Mal" kam es sogleich ängstlich von Haruto.
Aaron schüttelte entgeistert den Kopf. „Ich fasse es nicht. Du weißt es nicht einmal mehr. Und da sagt man, wir Vampire wären grausam."
Sein Blick legte sich wieder scharf auf Haruto. „Wie viele Dörfer hast du dem Überfall preis gegeben?"
Haruto versuchte, sich möglichst klein zu machen, wagte nicht zu antworten. Erst, als sich die Peitsche leicht bewegte, schrie er schon fast. „Es müssen an die 10 Dörfer gewesen sein. „
Aaron rechnete kurz nach. Das war in etwa die Anzahl an Dörfern, aus denen ihm Überfälle gemeldet worden waren.
„Welchen Lohn hast du dafür erhalten? Und von wem?"
Haruto schien in sich zusammen zu sinken. „1000 Gold für jeden Überfall. Bezahlt hat mich jedes Mal ein Diener von Imperator Aegir."
„Imperator Aegir scheint ein guter Freund von dir zu sein." erwiderte Aaron sarkastisch.
„Er wird sich bestimmt freuen, dich wieder zu sehen." Aaron's Stimme troff inzwischen vor Spot.
„Gregori. Ivar. Bindet ihn los. Dann schnürt ihn zu einem netten Paket zusammen und schickt ihn mit einer Delegation zu Imperator Aegir. Richtet ihm meine Besten Grüße aus und dass ich ihm viel Freude mit meinem kleinen Geschenk wünsche. Sagt ihm, dass unser kleines Problem damit hoffentlich aus der Welt geschafft sein sollte."
Auf einmal kam Leben in Haruto. Panisch begann er sich zu wehren. „Nein! Ich will nicht." schrie er, als ihm auf einmal eine Idee zu kommen schien. „Ihr habt doch meinen Sohn. Schickt ihn an meiner statt. Soll er ihm als Sklave dienen. Er ist jung und wird sich daran gewöhnen. Lasst mich dafür frei."
Im ganzen Raum herrschte auf einmal eisige Stille. Finya stand das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. „Er ist dein Sohn! Dein eigen Fleisch und Blut!" schrie sie ihn an, alles um sich herum vergessend. Im nächsten Augenblick sah sie rot und ging auf Haruto los. „Halt Finya" Fuhr Aaron sie in scharfem Tonfall an, gerade laut genug, dass sie es hören konnte. Finya reagierte nicht. Wie von Sinnen schlug sie auf Haruto ein. „Stopp!" fuhr Aaron sie noch schärfer an, packte sie am Arm und zog sie zurück.
Mit vor Wut blitzenden Augen sah Finya ihren Herren an. Als dieser sie jedoch weiterhin scharf ansah, senkte sie ihren Blick.
Kaum, dass Finya nicht mehr neben Haruto stand, prasselten Gregoris Peitschenhiebe auf dessen Rücken herab. Dieses Mal bremste er sich nicht und schlug erbarmungslos auf den brüllenden Mann ein. Dieses Mal stoppte er erst, als Haruto bewusstlos wurde.
Aaron sah auf den vor Schmerz brüllenden Mann. „Genieße deine Zeit in diesem Kerker. Wenn Imperator Aegir mit dir fertig ist, wirst du dir wünschen, nie geboren worden zu sein.
Er griff Finya am Arm und verließ mit ihr den Raum.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt