48.

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Das Abendessen war schon weit voran geschritten, doch noch immer war kein Ende in Sicht. Finya seufzte innerlich. Sie war so müde und erschöpft, wie schon lange nicht mehr. Wie sollte sie da das Essen bloß durchstehen?
Endlich legte Aaron seine Gabel weg. Finya wollte schon innerlich aufatmen, als sie die Stimme ihres Herren vernahm. „Ich möchte, dass du mir in der Bibliothek Gesellschaft leistest" erklärte er und machte damit Finyas Hoffnung auf Schlaf und Erholung zunichte. Ergeben folgte sie ihrem Herren, nur, um kurz darauf erneut - eine Schüssel und einen Kelch vor sich stehend - vor ihm zu knien.
König Aaron vertiefte sich in sein Buch ohne Finya groß zu beachten. Nur gelegentlich ließ er sich von ihr etwas reichen. Finya hatte sichtlich Mühe, aufmerksam zu bleiben. Sie war nicht nur am Ende ihrer Kräfte, sondern inzwischen auch hungrig. Ihre letzte Mahlzeit lag etliche Stunden zurück, doch der König schien keine Anstalten zu machen, ihr etwas zuzustecken. Nach außen hin gelassen, war er in Wirklichkeit ziemlich unzufrieden. Ja, er wollte Finya für ihr respektloses Verhalten am Vortag bestrafen, aber derart unterwürfig gefiel sie ihm genauso wenig. Außerdem vermisste er ihre Gesellschaft in seinen Räumen. Ja, er hatte sie für ihr zu spät kommen gemaßregelt, doch wenn er ehrlich war, so war es nicht ihre Schuld, sondern die Schuld des Küchenmeisters Lucien gewesen. Andererseits gefiel ihm Finya mit all den Ringen zu gut, als dass er ihr diese wieder abnehmen wollte. Vielleicht wäre es ja eine Möglichkeit, dass....
Aaron's Blick hellte sich auf und er nahm die junge Frau, die blass und erschöpft neben ihm kniete, nun wieder aufmerksamer wahr.
Seine Hand wanderte erneut in ihr Blickfeld, doch dieses Mal steckte er ihr eine Nascherei zwischen die Lippen. Dankbar und hungrig nahm sie den kleinen Happen fast schon gierig entgegen.
Aaron schmunzelte, gab ihr weitere Bissen, bis die Schüssel schließlich leer war. „Mehr habe ich nicht, meine hungrige, kleine Sklavin" wandte er sich leicht amüsiert an Finya. Diese stellte die Schüssel ab, griff nach der Serviette und säuberte die Finger ihres Herren. Wohlwollend blickte er auf sie hinab und ließ sich seinen Weinkelch reichen, der noch gut gefüllt war. Er lächelte, als ihm eine Idee kam. Anstatt selbst aus dem Kelch zu trinken, wandte er sich Finya zu und führte ihn an ihre Lippen. Reflexartig wollte Finya den Kelch mit ihren Händen greifen, doch als Aaron missbilligend mit der Zunge schnalzte, ließ sie ihre Hände sinken. Langsam neigte Aaron den Kelch und ließ Finya einige Schlucke von dem süßen, fast sirupartigen, Dessertwein trinken, bevor er selbst den Becher leerte.
„Finya?" sprach er sie schließlich an. „Weißt du, wo die Schmiede ist?" „Nein, Herr" Finya schüttelte den Kopf. „Dann geh zu Dimitri und lass es dir zeigen. In der Schmiede sagst du Yorick, dass er zu mir in die Bibliothek kommen soll. Danach gehst du in die Küche, isst etwas anständiges und kommst dann wieder direkt hier her. Finya verneigte sich. „Ich werde mich beeilen, Herr."
Bald darauf betrat Yorick die Bibliothek. Aaron nickte ihm zu und der stämmige Schmied nahm seinem Herrscher gegenüber Platz. „Ich hätte nicht gedacht, dass euer kleines...Spielzeug...nochmal versucht zu fliehen." platzte es aus ihm heraus, kaum, dass er saß. Aaron blickte ihn irritiert an, bevor er verstand, dass Yorick sich auf die Fußreifen bezog. „Das hat sie auch nicht." nun wirkte Yorick irritiert. „Was hat die Kleine dann angestellt?"
Aaron seufzte. „Im Grunde nichts schwerwiegendes. Ich habe nur eine Gelegenheit ergriffen, ihr die Reifen anzulegen. Wenn ich ehrlich bin, gefällt sie mir so. Das ist auch der Grund, warum ich nach dir geschickt habe." Yorick nickte verstehend. „Ihr wollt andere Reifen für sie, mein König?"
Aaron nickte. „Ich möchte, dass sie meine Zeichen dauerhaft trägt. Doch es soll nicht so aussehen, als stünde sie unter Strafe." Yorick nickte. „Also noch feiner gearbeitet, mehr Zierde als Zweck?" Aaron nickte erfreut.
Yorick strich sich nachdenklich durch den Bart. „Wenn ich einen Vorschlag machen darf, mein König...?" Aaron nickte ihm zu, weiter zu sprechen. „Ihr geht bei Finya bereits jetzt unkonventionelle Wege...was wäre, wenn Ihr noch einen Schritt weiter geht? Ich könnte einen anderen Verschluss einarbeiten, sodass Finya die Reifen selber öffnen und schließen kann." Aaron wirkte nachdenklich. „Einverstanden. Sie gab mir auf der Rückreise von Imperator Aegir ihr Wort, mein Zeichen mit Stolz zu tragen. So kann sie ihre Worte unter Beweis stellen. Aber dann auch ohne die üblichen Ösen und Ketten."
Yorick verneigte sich leicht. „ich werde Euch die Entwürfe zeitnah zukommen lassen. Allerdings sollte ich Finya erneut vermessen. Seit ich damals, als sie  bewusstlos im Kerker lag, Maß genommen habe, hat sie glücklicherweise zugelegt."
Aaron nickte nur. „Sie müsste  bald wieder kommen."
Kurz darauf betrat Finya erneut die Bibliothek. Noch bevor sie niederknien konnte, hielt Aaron sie auf. „Yorick muss ein paar Maße von dir nehmen. Also halte still und tu, was er sagt."
Finya neigte nur ergeben den Kopf. Sie war viel zu müde, um sich Gedanken zu machen, was ihr Herr jetzt schon wieder vor hatte.
Yorick nickte Aaron zu, und dieser nahm Finya alle Reifen ab, nachdem er sie mit dem Schlüssel um seinen Hals geöffnet hatte.
Yorick holte Papier, Stift und sein Maßband hervor und begann Hals, Arme, Beine und diverse Gelenke zu vermessen. Finya half so gut sie konnte, indem sie ihm den Arm oder das Bein entgegenstreckte. Schließlich nickte Yorick. „Ich habe alles was ich brauche."
Als der gutmütige Schmied gegangen war, wandte sich Aaron an Finya. „Du kannst schlafen gehen. Ich brauche dich heute nicht mehr." Finya neigte respektvoll den Kopf, zögerte aber. „Wollt Ihr mir nicht wieder die Reifen anlegen?"
Obwohl sie diesen Schmuck erst kurze Zeit trug, fühlte sie sich seltsam nackt ohne die Ringe. Aaron lachte amüsiert auf. „Das klingt ja fast so, als ob du sie unbedingt tragen willst..."
Finya errötete leicht. „Du wirst die Reifen vorerst nicht tragen." erwiderte er dann jedoch und wies auf einen freien Sessel. „Eine Sache wäre da doch noch, bevor ich dich für heute entlasse..." Aaron wartete, bis Finya saß, bevor er fortfuhr. „Du wolltest mit mir über Rebecca reden. Wie macht sie sich?"
„Sie beginnt sich mir gegenüber zu öffnen, Herr. Und auch gesundheitlich scheint es ihr besser zu gehen. Heute Morgen saß sie am Fenster, als ich bei ihr war. Allerdings geht es ihr wie mir..." Finya lächelte schief. „Sie vermisst es, nach draußen zu dürfen."
Aaron nickte nur. „Vermisst du es denn noch?"
Finya sah ihren Herren offen an. „Manchmal Ja, Herr. Die Nacht, in der ich versucht habe zu fliehen...ich...habe mich einfach frei gefühlt, unbeschwert..." Aaron's Blick verdunkelte sich etwas. „Herr, ich habe akzeptiert, Eure Sklavin zu sein. Ich habe mich in mein Schicksal gefügt. Ich gebe Euch mein Wort, dass ich nie mehr versuchen werde, Euch zu entfliehen. Ich will es nicht mehr. Und selbst wenn, ich weiß, dass ich es nicht schaffen würde. Aber bitte, Herr, nehmt mir meine Träume nicht." Finya ließ sich auf ihre Knie gleiten und sah ihren Herren offen an. Sofort wurde Aaron's Blick wieder sanfter. „Ich glaube dir, meine kleine Sklavin."
Mit einem Fingerzeig wies er sie an, wieder im Sessel Platz zu nehmen. „Was hast du Rebecca gesagt?" „Im Grunde das Gleiche, was Dimitri mir anfangs gesagt hat. Dass es besser wird, wenn sie Eurer Forderung nach Gehorsamkeit, Demut und Respekt nachkommt."
Aaron schüttelte den Kopf und lachte leise. „Allerdings..." sofort wurde Aaron wieder ernst. „Sie fürchtet Euch. Sie fürchtet Euch mehr, als ihren alten Herren." König Aaron nickte nur. „Du kennst meinen Ruf selber." „Ja Herr, mit nur einem Unterschied. Ich hatte vor Euch keinen Herren, kannte nur die Geschichten über Euch. Rebecca hingegen hatte einen grausamen Herren, der ihr noch damit gedroht hat, dass Ihr noch grausamer wäret." Erneut nickte Aaron. „Was hast du ihr gesagt?" fragte er neutral, auch wenn er innerlich mehr als gespannt war. „Ich habe ihr gesagt, dass Ihr sehr streng seid, aber auch gerecht. Ich habe ihr gesagt, dass ihr MICH noch nie geschlagen habt, dass Eure Strafen aber mitunter sehr hart sein können, wenn nicht sogar härter als Schläge." Finya lächelte verlegen „Manchmal wären mir Schläge  sogar lieber." fügte sie leise hinzu, musste aber dann ein Gähnen unterdrücken.
Aaron lächelte. „Du hast bei Rebecca alles richtig gemacht. Gewinne weiterhin ihr Vertrauen. Aber jetzt geh schlafen. Ich erwarte dich morgen zum Mittagessen im Salon, damit du mich bedienst. Und keine Sorge: ich kümmere mich darum, dass Lucien dich nicht wieder aufhält."
Finya stand auf und verneigte sich. „Ich danke Euch, Herr."
Insgeheim war sie mehr als erleichtert, dass ihr Herr nicht mehr so kalt und abweisend war. So würde sie ihre Strafe ertragen können.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt