Es war bereits Abend. Finya leistete ihrem Herren in der Bibliothek Gesellschaft und saß auf dem Sessel neben ihm, ein Buch in der Hand.
„Zeig mir deinen Arm..." forderte Aaron sie auf einmal auf. Bereitwillig hielt Finya ihm ihren Arm mit der Tätowierung entgegen. Aaron strich sanft den Ärmel nach hinten. Beinahe zärtlich fuhr sein Finger über das Bild auf Finyas Haut. Anders als das letzte Mal, als er das getan hatte, schien die Haut nun unempfindlich.
Aaron wirkte sichtlich zufrieden. „Die Haut scheint verheilt zu sein." erklärte er. „Aber um wirklich sicher zu sein, soll Arvid morgen noch einmal einen Blick darauf werfen. Wenn er sagt, dass alles in Ordnung ist, darfst du mir wieder uneingeschränkt dienen."
Finya lächelte zufrieden. So sehr sie es anfangs gehasst hatte, ihren Herren zu bedienen, so gerne tat sie es inzwischen.
„Knie dich neben mich. Ich möchte, dass du mich heute Abend bedienst."
Sofort ging Finya neben ihm auf die Knie und Aaron reichte ihr den Weinkelch, der bisher auf dem Tisch gestanden hatte.
Die Sonne war bereits am Untergehen, als es an der Türe klopfte. Aaron stellte den Kelch, aus dem er Finya gerade noch zu Trinken gegeben hatte, auf den Tisch neben sich. „Herein." rief er leise.
Kurz darauf betrat Jonas den Raum. Er ging auf Aaron zu und sank respektvoll vor ihm auf das Knie. „Hoheit..." grüßte er seinen Herrscher.
Aaron hob leicht die Hand, wies ihn so aufzustehen. „Gregori schickt mich. Er meinte Ihr wollt mich sprechen."
„Das ist richtig." Aaron wies auf den Sessel ihm gegenüber. „Setzt Euch."
Jonas neigte respektvoll den Kopf und nahm Platz. Etwas steif blieb er auf der Kante des Sessels sitzen und blickte Aaron unsicher an.
„Entspannt Euch." Aarons Stimme war ruhig und freundlich, während seine Hand über Finyas Rücken strich.
„Wie geht es Euch?"
Jonas rutschte weiter auf die Sitzfläche, ohne sich jedoch anzulehnen. „Ich kann nicht klagen, Hoheit. Man behandelt mich gut und die Arbeit geht mir auch gut von der Hand."
Aaron musterte ihn intensiv. „Gefällt Euch die Arbeit?" Jonas zuckte fast schon hilflos mit den Schultern. „Ich...glaube nicht, dass es darum geht, welche Arbeit mir gefällt, Hoheit. Immerhin arbeite ich nicht zum Vergnügen in den Ställen, sondern zur Strafe. Aber falls Ihr meint, ob mich die Art der Arbeit stört...." erneut zuckte er leicht die Schultern. „Jegliche Arbeit hat ihren Stellenwert und ist auf ihre Art wichtig. Daher ja. Mir gefällt die Arbeit, weil ich etwas sinnvolles tue."
Aaron schmunzelte. „Eine sehr weise und diplomatische Antwort."
Er wandte sich an Finya, gab ihr ein Zeichen, aufzustehen, und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Finya verneigte sich und verließ die Bibliothek.
Aarons Blick lag weiterhin prüfend auf Jonas, der immer noch steif auf dem Sessel saß. Er seufzte. „Ich sagte: Entspannt Euch. Ihr habt nichts zu befürchten. Andernfalls würdet Ihr nicht mir gegenüber in einem Sessel sitzen, sondern vor mir auf dem Boden knien."
Jonas lächelte verlegen, gestattete es sich aber dann, zu entspannen und lehnte sich im Sessel zurück.
Einige Minuten später kehrte Finya mit einem Servierwagen zurück.
Neben Aaron blieb sie stehen und reichte ihm eine geschlossene Weinflasche. Aaron warf einen kurzen Blick auf das Etikett und nickte. Blind griff Finya auf den Wagen und reichte Aaron den Korkenzieher.
Mit geübten Handgriffen entkorkte dieser die Flasche. Finya nahm Korken und Korkenzieher entgegen. Sie wollte ihm gerade den kristallenen Dekanter reichen, als er ihr die Flasche reichte. „Füll du den Wein um."
Überrascht nahm Finya die Flasche entgegen und füllte sie behutsam um. „Du kannst ausnahmsweise gleich die Kelche füllen." forderte er sie auf.
Kurz darauf reichte Finya den ersten gefüllten Kelch an ihren Herren. Dieser schüttelte jedoch nur leicht den Kopf und deutete leicht in Richtung Jonas.
Überrascht nahm dieser kurz darauf den Kelch entgegen. Finya griff den zweiten Kelch. Erneut wollte sie ihn ihrem Herren reichen, doch zum zweiten Mal schüttelte dieser den Kopf. „Der ist für dich. Setz dich." dabei wies er auf den noch freien Sessel.
Aaron wartete, bis Finya saß, bevor er sich wieder an Jonas wandte.
„Wie gesagt: Eure Antwort war sehr weise und diplomatisch." griff er das Gespräch wieder auf. „Also stört es Euch auch nicht, dass ich Euch die gleiche Arbeit wie meine Sklaven verrichten lasse?"
Jonas schüttelte den Kopf. „Nein, Hoheit. Die Arbeit, die sie verrichten ist wichtig. Somit sind sie selbst es auch. Nur weil sie Menschen sind, ist ihr Leben deswegen nicht weniger wert. Außerdem hattet Ihr gesagt, dass ich zur Strafe einem Sklaven gleich für Euch arbeiten werde. Warum sollte es mich also stören, mit ihnen zusammen zu arbeiten, Hoheit?"
Aaron lächelte zufrieden. Gregori und Jakob schienen recht gehabt zu haben mit ihrer Einschätzung.
„Was war das eigentlich gestern mit dem Sklaven, der fliehen wollte?" hakte er dann nach.
Jonas seufzte leise. „Ich kann Euch nur sagen, was er selber mir erzählt hat, Hoheit." Aaron nickte ihm zu, fortzufahren.
„Er ist wohl noch nicht so lange in Euren Diensten, vielleicht einen Monat." begann Jonas zu erklären. „Als wir gerade die Pferde auf die Koppel gebracht haben, begannen einige von ihnen zu steigen. Diese Ablenkung nutzte er für einen Fluchtversuch. Der Stallmeister war zu sehr abgelenkt mit den Pferden. Deshalb bin ich ihm hinterher, um ihn zurück zu holen. Als ich ihn eingeholt hatte, wirkte er ziemlich verzweifelt. Er flehte mich an, ihn laufen zu lassen." Aaron lauschte interessiert der Erklärung, ohne Jonas zu unterbrechen. „Er meinte, seine Frau sei schwanger und müsste dieser Tage das erste gemeinsame Kind auf die Welt bringen. Er würde nur einmal sein Kind in den Armen halten wollen. Danach, versprach er, würde er sogleich zu Euch zurück kehren." endete Jonas seine Erklärung.
„Der Stallmeister hat erzählt, dass der Mann ohne Gegenwehr mit Euch zurückgekommen ist."
„Das ist richtig, Hoheit." „Wie habt Ihr ihn dazu gebracht?"
„Ich habe mit ihm geredet. Ich habe ihm erklärt, dass eine Flucht auf jeden Fall der falsche Weg ist, dass er auf diese Weise nur Euren Zorn auf sich zieht. Ich habe ihm gesagt, dass seine einzige Chance darin besteht, mit Euch zu reden."
Aarons Blick verdunkelte sich etwas. „Also habt Ihr ihm Hoffnungen gemacht?"
„Nein, Hoheit. Ich habe ihm gesagt, dass ich seinen Wunsch verstehen kann, dass aber IHR sein Herr seid. Ich habe ihm erklärt, dass ich nicht weiß, wie hoch die Chance steht, dass Ihr auch nur erwägt zuzustimmen. Und ich habe ihm klar gemacht, dass es auf jeden Fall besser für ihn sein wird, wenn er freiwillig mit zurück kommt. Das hat er dann auch getan."
Aaron neigte den Kopf. „Ihr habt richtig gehandelt."
„Lasst uns trinken." damit hob er leicht den Kelch und trank von dem teuren Wein. Jonas und Finya taten es ihm gleich.
„Warum ich Euch eigentlich auch hergebeten habe...." ergriff Aaron schließlich wieder das Wort und stellte seinen Kelch ab. „Ein Mitglied meiner Garde, Gregori, äußerte mir gegenüber die Vermutung, dass die Ställe der falsche Aufgabenbereich für Euch sind. Nach einem Gespräch mit dem Stallmeister und auch mit Euch, teile ich diese Vermutung." Jonas schluckte merklich und wurde sichtlich nervös. „Es...tut mir Leid, Hoheit, wenn ich Eure Erwartungen nicht erfüllt habe." erwiderte er und senkte den Kopf.
Aaron schmunzelte sichtlich amüsiert. „Das habe ich nicht gesagt, Jonas Taliza. Ihr habt meine Erwartungen vielmehr sogar übertroffen. Daher werdet Ihr ab morgen nicht mehr in den Ställen arbeiten."
Jonas Augen weiteten sich überrascht. „Es mag mehr als unkonventionell sein, jemanden der unter Strafe steht, in den Wachdienst aufzunehmen, doch gemeinsam mit Gregori bin ich zu genau diesem Entschluss gekommen." Jonas blickte seinen König verwirrt an. „Ich verstehe nicht recht, Hoheit."
„Ihr habt Euch als zuverlässig und verantwortungsbewusst erwiesen. Aufgrund der Umstände werde ich Euch zwar nicht allein oder in....sensiblen...Bereichen einsetzen, doch einem Wachdienst in der Gruppe steht nichts entgegen. Ihr habt mir erneut bewiesen, dass Ihr nicht vorhabt zu fliehen. Deshalb werdet Ihr für den Anfang die Torwachen am Eingang unterstützen. Es sind gute und erfahrene Männer, die Euch gegenüber weisungsbefugt sind. Ihr werdet tun, was sie sagen. Verstanden?"
Jonas erhob sich und verneigte sich tief und respektvoll vor seinem König.
„Ja, mein König. Ich danke Euch für das Vertrauen, das Ihr mir entgegen bringt und werde Euch nicht enttäuschen."
Aaron nickte ihm zu. „Nichts anderes erwarte ich." Er wartete, bis Jonas wieder saß. „Da Ihr aber nach wie vor unter Strafe steht, werdet Ihr Euch direkt nach Schichtende zum Einschluss in den Kerker begeben. Ich werde die Wachen dort anweisen, Euch rechtzeitig zu den Schichten hinaus zu lassen."
Erneut neigte Jonas seinen Kopf. „Habt Ihr noch irgendwelche Fragen?" „Nein, Hoheit."
„Gut. Dann kehrt jetzt in den Kerker zurück. Gebt Bescheid, dass man mir den Sklaven von gestern in mein Büro bringen soll."
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Finya 2
VampireBitte zuerst Teil 1 lesen! Finya hat ihren Platz als Sklavin an König Aaron's Seite letztendlich akzeptiert. Dennoch sieht sie sich immer wieder neuen Herausforderungen gegenüber. Wird sie Aaron weiterhin vertrauen oder wird sie doch scheitern?