52.

182 11 0
                                    

Kalt und emotionslos blickte König Aaron auf Haruto herab, der wimmernd und halb bewusstlos in seinen Ketten hing. Dank der heißen Schere war die Blutung sofort gestoppt worden. An Blutverlust würde der Mann daher nicht sterben.
Sein Blick wanderte zu den Mitgliedern seiner Garde. „Schafft ihn in eine Zelle. Sobald sicher ist, dass er überlebt, schickt ihn zu Imperator Aegir. Ich will ihn endlich fern von diesen Gemäuern wissen."
Er wartete nicht einmal die Bestätigung seiner Wachen ab, sondern machte sich direkt auf den Weg in seine Gemächer. Je näher er jedoch seinen Gemächern kam, desto mehr hatte er das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmte.
Er erhöhte sein Tempo immer mehr, bis er schließlich, die Hand auf dem Türgriff, stehen blieb.
Äußerlich ruhig öffnete er die Türe und sah sich nach seiner Sklavin um, die er jedoch nirgends entdecken konnte. Er betrat seine Wohnung und sah sich um. „Finya" rief er, erhielt jedoch keine Antwort. „Finya komm her" wiederholte er seine Worte, nun doch etwas verärgert. Als er immer noch keine Antwort erhielt durchsuchte er die gesamte Wohnung. Er spürte, wie die Wut in ihm aufstieg. Wo war seine Sklavin? Hatte sie sich irgendwo versteckt oder hatte sie es etwa trotz ihres Versprechens gewagt, die Flucht zu ergreifen?
„Dimitri!" rief er auf den Gang hinaus, so laut, dass dieser ihn in jedem Winkel der Burg hören musste. Nur Augenblicke später stand der Anführer seiner Garde vor ihm. „Hast du Finya gesehen?" „Nein, Hoheit."
„Dann ruf die Garde zusammen und sucht sie. Sollte sie sich versteckt haben, bringt sie zu mir. Sollte sie jedoch geflohen sein, sperrt sie in den Kerker. Ich bin in meinem Büro. Informiert mich, wenn ihr sie habt."
Dimitri nickte nur und war im nächsten Augenblick verschwunden.
Kurz darauf durchsuchten sie die gesamte Burg, jedoch erfolglos. Auch Dimitris Mine verfinsterte sich immer weiter. Er respektierte das Mädchen und sie hatte einen guten Stand bei ihm, doch sein König kam an erster Stelle. Und wenn sie wirklich geflohen war, konnte auch er ihr nicht mehr helfen. „Sucht das Gelände außerhalb der Burg ab." knurrte er seine Männer gereizt an.
Gemeinsam verließen sie die Burg. Sie wollten sich gerade aufteilen, als Andrej die Hand hob und in Richtung der Bäume wies. „Sie scheint in diese Richtung gelaufen zu sein." Eric stöhnte leise. „Nicht schon wieder..."
Mit hoher Geschwindigkeit rannten sie auf den Wald zu, wurden aber langsamer als sie Finya im Schatten der ersten Bäume wahrnahmen. Auf einen Wink Dimitris hin, umkreisten sie die junge Frau, bevor Dimitri das Mädchen ansprach. „Steh auf Finya und komm mit zurück. Vielleicht kannst du deinen Herren milde stimmen, wenn du freiwillig mit zurück kommst." Dimitri erhielt keine Antwort. Langsam ging er einen Schritt auf das Mädchen zu und musterte sie genauer. Finya hatte die Augen geöffnet und sah ihn an. Dimitri runzelte die Stirn, musste sich dann selbst korrigieren. Finya schaute ihn nicht an, sie sah vielmehr direkt durch ihn hindurch.
Er berührte sie leicht an der Schulter. Sofort spürte er die verkrampften Muskeln und den Schweißfilm auf ihrer Haut. Im nächsten Moment begann das Mädchen panisch zu schreien und unkontrolliert zu zittern.
Finya spürte die Hand an ihrer Schulter, nahm jedoch nicht wahr, wer sie wirklich berührte. Ihre Augen weiteten sich in Panik, während sie gleichzeitig begann zu wimmern. „Ich...ich werde brav sein..."
Irritiert hob Dimitri seine Augenbraue und sah die anderen Männer fragend an.
Langsam löste er seine Hand von Finyas Schulter und trat einen Schritt zurück. Schwer atmend und gänzlich verkrampft blieb Finya sitzen, ohne auch nur die kleinste Bewegung zu machen.
„So ist es brav, mein kleines Mädchen." Finya keuchte, als sie erneut die Stimme ihres Stiefvaters hörte. Warum konnte er es nicht einfach tun? Warum konnte er diese Sache nicht endlich einfach hinter sich bringen?
Dimitri schüttelte leicht den Kopf, trat dann erneut auf Finya zu. Er beugte sich zu ihr hinunter, um sie hochzuheben. Kaum, dass er sie berührte, wurde Finyas Wimmern lauter und ihr Körper versteifte sich noch weiter. Ihr Atem ging nur noch stoßweise.
Jetzt würde es gleich geschehen. Bald hätte sie es überstanden - zumindest für dieses Mal. Aber warum zögerte er nur so? Warum quälte ihr Stiefvater sie, indem er immer wieder abbrach, nur, um ihr beim nächsten Mal noch näher zu kommen? „Tu es doch endlich." sprach sie verzweifelt.
Dimitri atmete tief durch. Er löste sich von Finya und strich ihr eine feuchte Haarsträhne aus dem verschwitzten Gesicht. „Das bringt so nichts. Sie scheint nicht einmal zu wissen, wo sie gerade ist. Sie scheint mich nicht einmal zu erkennen."
Haruto lachte hämisch. „Das wäre doch nur der halbe Spaß, wenn ich es schnell machen würde..."
Finya begann voller Angst zu schreien. Sie zitterte nicht mehr, doch ihr Körper war bis aufs äußerste verkrampft.
Dimitri blickte zu Gregori. „Geh zum König und sag ihm, wo und wie wir Finya vorgefunden haben. Soll er entscheiden, was wir mit ihr tun sollen." Gregori nickte. „Ich glaube nicht, dass sie wirklich fliehen wollte. Dann würde sie nicht hier sitzen, sondern wäre weitergelaufen." Die anderen nickten zustimmend.
Kurz darauf betrat Gregori bereits die Burg und nur Augenblicke später stand er vor dem Büro seines Königs.
Er atmete einmal tief durch, bevor er, nach einem kurzen Klopfen, das Büro betrat. Auch wenn er seinem Herren tief ergeben war, ihm jederzeit sein Leben anvertrauen würde, konnte er nicht einschätzen, wie der König in dieser Situation reagieren würde. Zu gut kannte er die Stimmungsschwankungen des Königs, auch wenn diese besser geworden waren, seit er Finya in seinen Diensten hatte. Das Mädchen tat ihm irgendwie Leid und er hoffte für sie, dass Aaron die Sache gut auffassen würde.

Aaron saß hinter seinem Schreibtisch, blickte jedoch auf, als Gregori sich vor ihm verneigte.
„Wir haben Finya gefunden, mein König." begann Gregori sofort.
Aarons Blick wurde etwas kälter. „Nachdem du sie nicht dabei hast, gehe ich davon aus, dass sie wirklich versucht hat zu fliehen und daher im Kerker sitzt."
Gregori kam einen Schritt auf den Schreibtisch zu. „Es...ist etwas komplizierter..." begann er.
Aaron blickte ihn ungeduldig an. Er wirkte so gereizt wie schon lange nicht mehr. „Was kann daran kompliziert sein? Sie hat sich nicht an meine Anordnung gehalten. Also wo ist sie?"
Gregoris Blick ruhte einen kurzen Moment auf seinem König. Seine Hoffnung, dass der König milde gegenüber Finya wäre, schien zu schwinden.
„Sie sitzt am Waldrand, mein König. Sie..." Aaron schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. „Sie hat also wirklich versucht zu fliehen, obwohl sie mir ihr Wort gegeben hat." unterbrach er Gregori.
Gregori straffte sich. „Nein, Aaron..." wechselte er auf die freundschaftliche Ebene. Vielleicht würde er so eher an seinen König und Freund herankommen.
Aarons Augen schienen Funken zu sprühen. „Nein? Warum ist sie dann am Waldrand? Warum ist sie überhaupt ausserhalb der Burg?" Gregori ließ sich von dem neuerlichen Wutausbruch dieses Mal jedoch nicht einschüchtern. „Sie scheint nicht Herr ihrer Sinne zu sein, Aaron." Er hob die Hand, als Aaron ihn erneut unterbrechen wollte. „Nein, du hörst mir jetzt zu." Aaron hob beinahe amüsiert die Augenbraue. Keiner außer seiner Garde durfte es wagen, ihn so anzufahren. Und selbst diese wagten einiges bei diesem Tonfall. Gregori schien es wirklich wichtig zu sein, dass er sich traute, so mit ihm zu sprechen.
„Sprich." forderte Aaron Gregori nun etwas ruhiger auf.
„Wir fanden sie am Waldrand, an einen Baum gelehnt. Allerdings scheint sie keinen von uns wahr zu nehmen. Sie scheint nicht einmal zu wissen wo sie ist und redet wirr. Bei der geringsten Berührung scheint sich ihr Zustand zu verschlechtern. Dimitri wollte sie hertragen, doch sie wurde panisch, als er sie nur berührte."
Aaron nickte nachdenklich, wirkte auf einmal viel ruhiger. „Danke, Gregori." Dieser nickte nur leicht. Innerlich war er jedoch mehr als nur erleichtert. „Keine Ursache."
Langsam stand er auf. „Bring mich zu ihr."
„Was wirst du mit ihr tun?" „Das hängt von ihr ab." Gregori nickte nur.
Kurz darauf standen sie am Waldrand. Nichts schien sich in der Zwischenzeit verändert zu haben. Finya lag nach wie vor starr und verkrampft an den Baum gelehnt, die Augen weit aufgerissen. Dimitri stand in ihrer Nähe und der Rest der Garde hatte den Baum in einem Kreis umstellt.
Als ihr König sich näherte, öffneten sie den Kreis. Dimitri ging zur Seite und Aaron trat an seine Stelle. „Finya..." sprach er das Mädchen an. Er beobachtete sie genau, erhielt jedoch keine Reaktion.
„Finya..." sprach er sie erneut an, dieses Mal etwas lauter. Ein leichtes Zucken der Pupillen war die einzige Reaktion. Aaron wirkte jedoch zufrieden. Er ging näher auf Finya zu und vor ihr in die Knie.
„Finya...." sprach er sie ein drittes Mal an und griff nach ihrem Arm.
Sofort begann seine Sklavin panisch aufzuschreien. „Nein...nein ich will das nicht. Lass mich los, Haruto."
Aarons Augen weiteten sich, doch er ließ seine Sklavin nicht los. „Finya. Ich bin Aaron, dein Herr. Haruto kann dir nichts mehr antun."
Finya begann zu blinzeln, ihr Körper begann langsam, sich zu entspannen. Dann weiteten sich ihre Augen jedoch erneut. Erschrocken sah sie sich um, bis ihr Blick auf Aaron hängen blieb. Das bisschen Farbe, das in ihr Gesicht zurück gekehrt war, verschwand augenblicklich und sie war fast noch blasser als zuvor. Schwer schluckte sie und begann unkontrolliert zu zittern. „Ich...Herr...Das..." unfähig, einen klaren Satz hervor zu bringen schloss sie die Augen und ließ ihren Kopf hängen.
Wenn sie nur wüsste, wie sie hierher gekommen war...In einem Moment stand sie noch vor dem Kerker und war auf dem Weg in die Gemächer ihres Herren und im nächsten Moment saß sie hier am Waldrand.
„Sieh mich an." forderte Aaron streng, aber nicht unfreundlich. Nur langsam hob Finya den Blick. „Es tut mir Leid, Herr." sprach sie fast tonlos. Sehr zu ihrer Überraschung winkte ihr Herr aber nur ab. „Wir reden später darüber, was passiert ist. Für den Moment denke nicht daran."
Finya schluckte schwer und sah ihren Herren immer noch angstvoll an. Aaron seufzte. „Ich bin dir nicht böse. Du scheinst wirklich nicht Herr deiner Sinne gewesen zu sein. Daher werde ich dich nicht bestrafen. Aber ich erwarte, dass du mir später erzählst, was passiert ist." Finya nickte langsam, schien sich zumindest etwas zu entspannen.
Zufrieden stand Aaron auf und reichte Finya die Hand. „Dann komm. Wir gehen zurück in die Burg."
Zaghaft griff Finya nach der Hand und ließ sich aufhelfen.

Finya 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt